Burn-out-Epidemie plagt beliebte Arbeitgeber
Ausgerechnet bei Unternehmen, die in den Rankings als beliebteste Arbeitgeber gelistet werden, liegt die Zahl der Burn-out-Fälle oft weit über dem Durchschnitt. Machen enttäuschte Erwartungen auf Dauer krank? Oder geht es bei den Lieblingsarbeitgebern stressiger zu als anderswo?
Jürgen Knauf, Personal- und Unternehmensberater aus München, hat zwei Tabellen vor sich liegen und wandert mit den Augen fortwährend zwischen beiden hin und her. Das eine Ranking listet die beliebtesten Arbeitgeber auf. Ob auf „Deutschlands100“, „Top Job“ oder „Great Place to Work“: An der Spitze unterscheiden sie sich kaum. Das andere zeigt die unlängst vom Manager Magazin geschätzte Zahl der jährlichen Burn-out-Fälle in Unternehmen. „Sehen Sie selbst“, sagt er eifrig und markiert die übereinstimmenden Namen auf beiden Listen mit einem quietschgelben Leuchtstift. „Hier: Adidas, BMW, Daimler und die Deutsche Bank stehen im Spitzenfeld beider Gruppen.“
Beliebtheitsrankings der Arbeitgeber wenig aussagekräftig
Zufall? Knauf schüttelt den Kopf. Der Managing Director von Scopar, kurz für Scientific Consulting Partners, hat eine ganz andere Theorie: „Das Maß der Übereinstimmung zeigt, dass die Arbeitgeberrankings eine Farce sind.“ Zwar ginge man gerade in großen Unternehmen gern mit dem Beliebtheitssiegel hausieren, aber hinter den Kulissen sehe es augenscheinlich anders aus.
Jährlich bis zu 5200 ausgebrannte Mitarbeiter verortet die Zeitschrift bei BMW, beim Stuttgarter Konkurrenten Daimler gar bis zu 11 400. „Das ist doch Wahnsinn, oder? Letztlich führen nur ganzheitlich gesunde Menschen zu gesunden Unternehmen.“
Womit der gelernte Elektrotechnikingenieur mit diplomierter Zusatzausbildung bei seiner Kernbotschaft angelangt ist. „Gesunde Mitarbeiter und Führungskräfte ermöglichen in einem anregenden Betriebsklima eine höhere Wettbewerbsfähigkeit, Kundenzufriedenheit und eben auch eine höhere Arbeitgeberattraktivität.“
Letzteres freilich kann nur dann belegt werden, wenn ausschließlich die eigenen Mitarbeiter um Auskunft gebeten werden. Das aber ist bei keinem Arbeitgeberranking der Fall. Die bevorzugte Befragtengruppe – weil leicht verfügbar – sind Studierende, Absolventen und junge Arbeitnehmer. Diese bewerten die Arbeitgeber zumeist nur aus der Außensicht, und die wird häufig von der Attraktivität der erzeugten Produkte und den wortgewaltig beschriebenen Karrieremöglichkeiten überlagert.
Gewiss: Statistisch erwiesen ist es nicht, dass die Burn-out-Raten in Konzernen höher sind als im Mittelstand. Aber ein gewisser Zusammenhang zwischen den in großen Unternehmen üblichen pausenlosen Veränderungen und psychischen Erkrankungen in der Belegschaft liegt auf der Hand.
Burn-out-Risiko in Konzernen möglicherweise größer
Zumindest für Stefan Sommer, früher Personalchef bei ABB, HR-Vorstand und heute Unternehmensberater: „17 Jahre lang habe ich in Konzernen permanent reorganisiert, um das Unternehmen fit zu halten“, sagt der umgestiegene Topmanager und behauptet: „Durch die immer kürzer werdenden Restrukturierungszyklen steigen die Belastungen für Leistungsträger. Keine Überlastung von der Arbeitsmenge her, aber beim Zeitmanagement. Die Menschen haben weniger Möglichkeiten, ihre Work-Life-Balance aufrechtzuerhalten.“
Wie auch? Führungskräfte und Spezialisten müssten heute permanent erreichbar sein, im Viertelstundentakt ihre E-Mails checken und selbst im Urlaub und in den späten Abendstunden mit Anrufen ihrer Vorgesetzten rechnen. „Klar, zeitweilig gibt es immer Projektstress“, räumt Sommer ein, „aber man sollte wirklich mal nachdenken: Muss das sein? Was haben wir denn früher gemacht, als es noch keine Smartphones gab? Da haben die Unternehmen doch auch überlebt.“
Der anhaltende Druck auf die Unentbehrlichen, die sogenannten Leistungsträger, sei weder gut für die Firmen noch für ihre Mitarbeiter, meint Jürgen Knauf. „Privat wie beruflich machen wir immer mehr, aber wir leben immer weniger“, diagnostiziert der Berater, der sich mit Vorliebe dem nachhaltigen Gesundheitsmanagement in Betrieben widmet. „Wir steigern die Produktivität permanent – aber auf Kosten von langfristigem Erfolg und auf Kosten unserer Welt. Wir haben den Blick fürs Ganze verloren und funktionieren – aber wir haben die Freude an der Arbeit verloren.“
Dauerhafter Druck auf Leistungsträger erhöht Burn-out-Risiko
Tatsächlich erwarten immer mehr Unternehmen von ihren Angestellten, dass sie in ihrer Freizeit permanent online sind und vom Grillabend auf Geschäft umschalten. Auf Druck des Betriebsrats hat der Automobilkonzern Volkswagen bereits Ende letzten Jahres der totalen Erreichbarkeit einen Riegel vorgeschoben: Wer ein Firmen-Blackberry besitzt, kann nach Feierabend zwar noch telefonieren, aber keine E-Mails mehr empfangen oder verschicken.
Allerdings fühlt sich nicht jeder Manager dadurch entspannter. Hinter vorgehaltener Hand wird berichtet, dass die zwangsweise vom Server Abgeschnittenen nun auf ihre privaten Smartphones ausweichen, um jederzeit für Chefs und Kollegen erreichbar zu sein. „Was soll ich denn sonst machen“, klagt ein Abteilungsleiter bei VW, „wenn mich mein Vorgesetzter am Abend um Zahlen bittet, die er selbst am nächsten Morgen bei einer Sitzung präsentieren muss? Soll ich ihm etwa sagen: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben? Was glauben Sie, was dann passiert?“
Genau da liegt für Stefan Sommer die wahre Ursache, warum sich mehr und mehr Führungskräfte ausgebrannt fühlen und bereit sind, offen darüber zu sprechen. Den Server abzuschalten, reiche nämlich nicht. „Man muss die Topmanager überzeugen, dass deren Verhalten gegenüber ihren Mitarbeitern 1:1 in die Etagen darunter weitergereicht wird“, sagt der Berater, „und um das zu ändern, ist eine neue Sichtweise auf das Personal notwendig. Sollte man nicht mit den Human Resources ebenso schonend umgehen wie mit anderen Ressourcen? Maschinen lasse ich auch nicht 24 Stunden ohne Wartung laufen.“
Die seit Mai amtierende Personalchefin der Telekom, HR-Vorstand Marion Schick, ist diesem Zusammenhang offenbar auf der Spur. „Handystress und Smartphone-Terror bedrohen unser Wohlbefinden, machen uns mürbe und krank“, schreibt sie in einem Beitrag auf der Webseite der Telekom, „der permanente Erreichbarkeitswahn führt zu mentaler Erschöpfung.“
Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen mehr und mehr
Die modernen Kommunikationsmittel machten die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit durchlässiger, aber: „Nicht die Möglichkeiten der Technik sind das Problem, sondern der Umgang damit in einer verantwortlichen Grundhaltung ist es. Übertragen auf die Beziehungen zwischen Chefs und Mitarbeitern heißt das: Wo Führung versagt, fängt Burn-out (leichter) an.“ Solche Änderungen müssten top down durchgesetzt werden: „Wenn der Vorstand nicht akzeptiert, dass gewisse Zeitfenster da sein müssen, dann ändert sich nichts.“
Wohl wahr. Kurz nach ihrem Eintritt in den Bonner Konzern, so erzählen Insider, habe Marion Schick die wöchentlichen Telefonmeetings mit ihren direkten Mitarbeitern auf den Sonntagvormittag verlegt, weil alle dann am besten erreichbar seien. Möglicherweise ist das ja jetzt schon wieder Vergangenheit.
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