Freie Platzwahl im Tal der Stühle
Der arbeitende Mensch sitzt – im Büro, im Labor, am Steuer und sogar am Fließband. Deshalb, so meint Jochen Ihring, obliege Ergonomie zunehmend der unternehmerischen Verantwortung. Als Geschäftsführer des Büromöbelanbieters Dauphin legt er Wert darauf, der Arbeitswelt das optimale Sitzmöbel zu bieten. Das Unternehmen hat sich über die Jahre mit viel Gespür für Marktveränderungen und Branchentrends von der klassischen Bürositzmöbelfabrik zum global agierenden mittelständischen Konzern gewandelt.
Knapp 2000 Sitzgelegenheiten verlassen jeden Tag das Tal der Stühle. Das Hammerbachtal am Ende von Offenhausen, einem kleinen Dorf nahe Nürnberg, ist seit den 1970er-Jahren Sitz des Familienunternehmens Dauphin. Und obwohl die Möbelfabrik mittlerweile auch Industriestühle, Saalbestuhlung und sogar komplette Wohnungseinrichtungen liefert, bleibe der Bürostuhl das Kerngeschäft, so Geschäftsführer Jochen Ihring.
Mit dem klassischen Drehstuhl erzielt der mittelfränkische Möbelbauer den Großteil seines Umsatzes, der 2011 bei weltweit 143 Mio. € lag. Rund 770 Mitarbeiter sind in 70 Ländern für die Dauphin Holding tätig: u. a. in Kanada, Australien, Großbritannien, Frankreich, Italien, Belgien und den Niederlanden.
Dabei gleicht hier kaum ein Stuhl dem anderen. „Wir haben bei Dauphin über 30 Modelllinien, von denen wir jede in 10 000 Konfigurationen darstellen können“, zeigt sich Ihring stolz auf die Möglichkeiten, die das Offenhausener Werk bietet. „Diese Vielfalt ergibt sich durch die unterschiedliche Kombination von Stoffen und Stofffarben, Fußkreuzvarianten, Armlehnen, Mechanikausführungen, Rollen, Gasfedern sowie Spezialausstattungen wie Kleiderbügel.“
Bei Dauphin arbeiten Designer, Ingenieure und Handwerker Hand in Hand
In der Prototypenentwicklung arbeiten Designer, Ingenieure und Handwerker Hand in Hand – vom ersten Entwurf über den Prototypenbau im 1:1-Maßstab bis hin zur Produktionsabnahme. Da werden Rohre gefeilt und gebogen, Hölzer gesägt und lackiert, Stoffmuster entworfen und Polster aufgeschäumt. Die Funktionalität eines jeden einzelnen Stuhls können die Ingenieure in 3-D darstellen, die Mechanik visualisieren und die Festigkeit der eingesetzten Materialien nach GS-Standards prüfen.
Variabilität ist aber nicht nur von der Entwicklungsabteilung gefragt, sondern stets auch von der Geschäftsführung. Denn die Büromöbelbranche ist krisengeschüttelt. „Was sparen Unternehmen als Erstes, wenn sie Kurzarbeit anmelden müssen?“, fragt Ihring listig. Wird das Budget gestrichen, müsse die alte Büroeinrichtung eben durchhalten, egal wie marode sie ist, gibt er selbst die Antwort. Insgesamt hänge die Branche immer hinter der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung hinterher. Ihring: „Werden wieder Mitarbeiter eingestellt, dann brauchen die aber auch neue Stühle.“
Von Anfang an haben die Mittelfranken auf Export gesetzt. Nahezu die Hälfte des Umsatzes wird im Ausland generiert, wobei nicht alles aus dem direkten Export stammt. Vielmehr unterhält der Möbelhersteller eigene Produktionsstandorte für die lokalen Märkte in Südafrika, den USA und in der Schweiz.
In Offenhausen setzt das Unternehmen auf Lean Production. „Wir sind ein reines Assembling-Werk“, räumt Ihring ein, „wir klipsen und schrauben nur zusammen.“ Fußkreuze, Gestelle, Holzteile und Mechanikkomponenten liefern Holzwerke, Kunststofffabrik und Alu-Hersteller just in time, ebenso verfahren die eigene Polsterei und das eigene Mechanikwerk – knapp die Hälfte des wertmäßigen Materialeinsatzes wird in eigenen Zulieferbetrieben gefertigt. Im Gegenzug aber schafft Dauphin für die Werke die benötigten Spezialwerkzeugmaschinen etwa fürs Schaumspritzen oder für komplexe Kunststoffteile an.
Heraus kommen Stühle – mit Sitz und Lehne, die auf einem Fußkreuz stehen, das rollt. Dabei ist dem quirligen Geschäftsführer gesundes Sitzen sehr wichtig. „Es ist ja nicht damit getan, dem Kunden einen Bürostuhl mit 14 Hebeln hinzustellen. Denn kein Mensch liest sich wirklich eine Bedienungsanleitung dafür durch“, weiß Ihring.
Und der beste Stuhl nutze auch nichts, wenn er nicht individuell an seinen Besetzer angepasst wurde. Deshalb hat Dauphin auch interaktive Bedienungsanleitungen und den „60-Sekunden-Sitzcheck“ ins Netz gestellt (www2.dauphin.de/sitzcheck). Per Mausklick kann „homo sedens“ dort erfahren, wie der sitzende Mensch seinen Bürosessel optimal justiert. Moderne Automatikmechaniken sind auf dem Vormarsch, wobei der Benutzer mit seinem Eigengewicht die Federkraft automatisch reguliert.
Auch für Arbeiter auf Industriestühlen ist der korrekt eingestellte Sitz notwendig. Ob in der Kfz-Branche, im Reinraumlabor oder an der Kasse des Discounters: Ein Stuhl, der möglicherweise im Schichtdienst rund um die Uhr benutzt wird, muss robust, stabil und eben ergonomisch sein.
Dauphin setzt auf den industriellen Bereich
Den industriellen Bereich haben die Mittelfranken in den letzten vier bis fünf Jahren kräftig ausgebaut. Hier wurden etliche industriespezifische Lösungen entwickelt, die einen regelrechten Wachstumsschub auslösten: Belohnt wurde die hohe Investitionsbereitschaft mit der Verleihung des AGR-Gütesiegels der Aktion Gesunder Rücken (AGR e.V.) – ein von der Zeitschrift „Öko-Test“ mit „sehr gut“ bewertetes renommiertes Siegel, welches Dauphin als erster Hersteller für Industriestühle erhielt.
„Innovationen haben uns immer wieder über die Krisen der vergangenen Jahre gerettet“, erklärt Ihring. Regelmäßig entstehen in der Offenhausener Stuhlschmiede neuartige Sitzgelegenheiten.
So kamen die Entwicklungsingenieure etwa auf die Idee, den klassischen Stuhlaufbau zu revolutionieren. Anstelle der üblicherweise zwei beweglichen Teile Sitz und Rückenlehne bauten sie einen Bürostuhl mit dreiteiliger Sitzschale. Diese folgt ebenso wie die Rückenlehne den Bewegungen seines Benutzers und bleibt in direktem Körperkontakt – „InTouch“ heißt denn auch folgerichtig das Modell, das den Halte- und Bewegungsapparat umfassend stützen soll.
Ganz neu auf dem Markt kommt jetzt der Bürodrehstuhl „X-Code“. Der Clou daran: eine neu entwickelte, ergonomische Rückenlehne für den dynamischen Büroarbeiter. Durch nur an den benötigten Stellen präzise eingearbeitetes Fasergewebe im Stuhlrücken entsteht ein federleichtes, passgenaues, mehrdimensional-gestricktes Rückengewebe, das in Kombination mit einer dauerelastischen Lattenrostmembran für leicht bewegliches, sportliches Sitzgefühl sorgt. Die neuartige Kombination im Stuhlrücken aus tragender Kunststoffschale, membranbespannter Lamellenstruktur und softem Gewebe klimatisiert und stützt den gesamten Rückenbereich. Aktives und zugleich entspanntes Sitzen ohne die typischen Ermüdungserscheinungen sind die Folge.
Ein gut gestützter Rücken ist Dauphin ein maßgebliches Anliegen. Mit seinen Produkten und Techniken zum gesunden Sitzen setzten die Offenhausener in der Branche entscheidende Akzente und entwickelten sich zu einem der bedeutendsten europäischen Möbelanbieter. Ein Erfolgsschlager: das mobile Ergolab, mit dem gesundes Sitzen direkt beim Kunden erlebbar wird.
„US-Amerikaner wollen sich vor allem entspannt zurücklehnen – und telefonieren“
Die Wünsche der Kunden sind dabei so vielfältig wie die Nationen, die beliefert werden. So bestellen Dänen Stühle mit kleiner Rückenlehne, um Schulterfreiheit zu haben, und ohne Armlehne. Schweden hingegen bevorzugen grundsätzlich Kopfstütze und Armlehnen. „Und US-Amerikaner wollen sich vor allem entspannt zurücklehnen – und telefonieren“, schmunzelt Ihring.
Von diesem Wissen darum, dass jedes Land seine eigene Philosophie zur Arbeitsplatzgestaltung hat, profitiert Dauphin. Man könne die unterschiedlichsten Modelle vertreiben, vorausgesetzt man biete sie auf dem „richtigen“ Markt an, weiß der Geschäftsführer. Dabei helfe das Label „made in Germany“, weil es für hochwertige Qualität stehe, die die Offenhausener gerne lieferten.
Seit 2010 dringt man mit der Marke Dauphin Home auch in die heimischen vier Wände vor. Natürlich mit Sitzmöbeln, aber auch mit Regalsystemen für zu Hause, Garderoben, Esszimmereinrichtungen und Schlafzimmern – eigentlich mit allem außer Möbeln für Bad und Küche.
Für die Wohnkollektion hofft Ihring Synergieeffekte aus der Büromöbelfertigung ausnutzen zu können. „Das Marktvolumen ist hier zehnmal höher als im industriellen Bereich“, sagt Ihring. Selbst wenn man nur einen Teil davon abdecken würde, wäre das für den mittelfränkischen Möbelhersteller doch immer noch ein Marktsegment mit höchstem Potenzial.
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