Krebskranke auf Tauchkurs
Was hat Tauchen eigentlich mit Gesundheit zu tun? Offensichtlich eine ganze Menge, wie sich am vergangenen Wochenende auf einer Tagung der Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmediziner herausstellte.
Sie haben im Kampf gegen die Krankheit gesiegt, doch leiden Krebspatienten oft noch Jahre später unter heftigen Beschwerden. Haarausfall, Hautveränderungen, Ödeme und unerträgliche Schmerzen: Die Liste der möglichen Nebenwirkungen von Strahlen- oder Chemotherapie liest sich selbst schon wie eine einzige Leidensgeschichte. Hoffnungsfroh stimmt deshalb nun der Bericht von Medizinern, die mit regelrechten „Tauchgängen“ die Beschwerden ihrer Patienten lindern wollen.
„Ein Drittel der schweren Nebenwirkungen von Bestrahlungen konnten wir direkt heilen“, freut sich Dr. Ulrich M. Carl von der Klinik für Strahlentherapie der Universität Düsseldorf. „Und einem weiteren Drittel der Patienten ging es nach der Behandlung wesentlich besser als zuvor“, so die Erfolgsbilanz der von Carl praktizierten Hyperbaren Oxygenation (HBO), zu deutsch der Sauerstoff-Überdrucktherapie. Die Patienten atmen währenddessen reinen Sauerstoff unter höherem Umgebungsdruck als dem normalen Luftdruck auf Meereshöhe – mit dem Effekt, daß sich nun wesentlich mehr Sauerstoff als sonst im Blut löst.
„Sauerstoff ist extrem wichtig für die Wundheilung, also auch bei schweren Verbrennungen“, erläutert Carl das Einsatzspektrum der HBO. Bei Brandwunden zweiten Grades beispielsweise bildeten sich rasch Ödeme. Durch den steigenden Druck im Gewebe nehme dann die Schwere der Verletzung sogar noch zu. Bei der Überdrucktherapie dringt nun der Sauerstoff viel besser in schlecht durchblutetes Gewebe zudem können sich kleine Blutgefäße neu bilden.
Doch nicht nur Verbrennungen und chronische Wunden lassen sich mit HBO behandeln. Sie eignet sich ebenso bei Rauchvergiftungen, Bestrahlungsschäden oder Gasbrandinfektionen sowie bei Dekompressionskrankheiten etwa nach Tauchunfällen. In jüngster Zeit wird HBO sogar bei Tinnitus und Hörsturz sowie bei arteriellen Verschlußkrankheiten angewendet.
Wie aber sieht nun solch eine Tauchfahrt aus? „Man sitzt dort so bequem wie im Flugzeug“, beschreibt Erika Schrader * ihre Erfahrungen in der Druckkammer. Sie wurde nach erfolgreicher Bekämpfung von Brustkrebs direkt mit hyperbarem Sauerstoff therapiert. Während des Abtauchens steigt der Druck innerhalb von 10 min bis 15 min langsam so weit, wie es die jeweilige Behandlung erfordert. Wie bei Start und Landung eines Flugzeugs erlebt der Patient dabei lediglich das typische Knacken im Ohr. In der Regel wird mit 2 bar bis 3 bar behandelt, doch es kann durchaus bis zu 5 bar hinaufgehen. 2 bar entspricht dabei genau dem Druck, der beim Tauchen in 10 m Wassertiefe herrscht. Über eine Maske atmet der Patient dann reinen Sauerstoff ein.
„Nein, Platzangst hatte ich dort nicht“, meint Erika Schrader. Doch auch für diesen Fall wäre vorgesorgt. Sehr schnell können Panikpatienten ausgeschleust werden. Beim ersten „Tauchgang“ ist außerdem immer Personal dabei, das auch später über Mikrofon und Videokamera in Kontakt zu den Patienten bleibt.
Viele Kliniken verfügen inzwischen über eine Überdruckstation. Im Woundcare Center der Tagesklinik Hofheim sowie an der Orthopädischen Universitätsklinik in Frankfurt/Main kümmert sich ein Team von Spezialisten um die Behandlung von Problemwunden. Daß die HBO auch für Tinnitus-patienten geeignet ist, muß noch wissenschaftlich bewiesen werden. Dennoch ist das aktue Ohrgeräusch derzeit die häufigste Indikation für eine Überdruckbehandlung. Am St. Joseph-Hospital in Duisburg wurde bereits jeder zehnte Patient völlig geheilt, bei gut einem Drittel verschwand immerhin die Hälfte der Ohrgeräusche. Allerdings sollte die Tinnitusbehandlung so früh wie möglich beginnen.
Und noch ein ganz anderer Aspekt gewinnt an Bedeutung – als Behindertensport erlebt das Tauchen in Deutschland derzeit einen regelrechten Boom. Ob Schnorcheln oder Gerätetauchen: Für Behinderte ist der Aufenthalt in der Fast-Schwerelosigkeit oft wie eine Erlösung. Doch Patienten mit Lähmungen oder Amputationen bevorzugen längst nicht mehr nur heimische Gewässer. „Beliebte Ziele sind vor allem das Rote Meer und die Malediven“, meint Henrike Aust von der Handicapped Scuba Association. „Dort ist das Wasser sehr warm, weshalb die Behinderten auf das oft quälende Hineinzwängen in die engen Neopren-Anzüge verzichten könnten.“
BETTINA RECKTER
* Name von der Redaktion geändert
Tauchen boomt im doppelten Sinne: als Sportart ebenso wie als Behandlungskonzept für schwerste Erkrankungen.
Erlebniswelt unter dem Meeresspiegel – immer mehr Behinderte lockt die Tiefe.
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