Neuartiges Kamerasystem soll Mitarbeiter vor falschen Bewegungen warnen
Bisher brauchte man Sensoren und Marker, um Fehlhaltungen automatisiert zu erkennen. Doch in Hannover wird an einer Technologie gearbeitet, die darauf verzichten könnte.
Allein im letzten Berichtsjahr wurden in Deutschland knapp 945.000 Arbeitsunfälle gemeldet. Und das sind nur die Unglücke, die zu einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen geführt haben. Hinzu kommen Krankheitsfälle durch physische Belastung am Arbeitsplatz oder falsche Bewegungsabläufe. Um die frühzeitig zu erkennen, arbeiten Wissenschaftler aus Hannover an einer ausgefeilten Technologie.
Eine Kamera soll Arbeitern etwa bei der Montage künftig über die Schulter schauen und bei unergonomischen Bewegungen warnen. Der Clou: Das WorkCam-System benötigt dafür nicht nur ein aufmerksames Auge, sondern auch ein intelligentes Hirn. Eines, das Bewegungsabläufe nicht nur erkennt, sondern in ihrer mittel- bis langfristigen Auswirkung bewerten kann – in Echtzeit.
Die Weiterentwicklung des Kamerasystems
Die Wissenschaftler am Institut für Integrierte Produktion Hannover (IPH) sind zunächst für das Auge zuständig. Bisher müssen Mitarbeiter in der Produktion spezielle Anzüge tragen, sie werden mit Markern und Inertialsensoren ausgestattet, damit Bewegungsabläufe überhaupt technisch erkannt werden können. In dem nun angelaufenen Projekt „WorkCam“ wollen die Forscher dem Kamerasystem beibringen, den Arbeiter, seine Bewegungen und sein Umfeld selbstständig zu identifizieren.
„Es gibt schon einige Frameworks, die in diese Richtung gehen und auf die wir aufbauen können“, sagt Projektleiter Sebastian Brede. Im vergangenen Jahr haben seine Kollegen das Projekt „FTF-Out of the Box“ abgeschlossen und eine markerlose Gestensteuerung verwirklicht, basierend nur auf Kameratracking. Sie sorgt dafür, dass sich fahrerlose Transportsysteme (FTF) nach einem einmaligen geführten Rundgang durch ihre künftige Arbeitsumgebung, selbstständig orientieren und auf Ansprachen sowie Gesten des Bedieners reagieren können.
Für Unternehmen hat diese Technologie einen klaren Vorteil, denn die bisherigen Farbmarker und Intertialsensoren lenkten den Mitarbeiter eher ab. „Das Filmen dagegen ist keine Beeinträchtigung der Arbeit und das Ergebnis viel natürlicher“, so Brede.
Der Clou: die Ergonomie wird automatisiert bewertet
Bei der Ausarbeitung des Hirn dürften die Wissenschaftler kaum auf Prototypen zurückgreifen können. Denn bisher gibt es keine komplett automatisierte Ergonomiebewertung. Die Bewertungskriterien für gute und schlechte Bewegungsabläufe und Körperhaltungen müssen daher erst definiert und dann in Algorithmen übersetzt werden. Auch das ist ein Ziel des zweijährigen Forschungsprojektes, das gemeinsam mit dem Kooperationspartner, dem Institut für Fabrikanlagen und Logistik (IFA) der Leibniz-Universität Hannover, erreicht werden soll.
In zwei Jahren kann der Protoyp des Systems dann in die Werkshallen einziehen und die Arbeiter auf ungesunde Bewegungen hinweisen: „Was Du machst, verursacht Rückenschmerzen. Hol das Werkstück besser näher zu Dir heran“, könnte es dann heißen. Oder so. Denn nicht nur meckern soll das System. Es soll auch helfen, indem es gesunde Bewegungsalternativen vorschlägt. „Wenn korrekte Bewegungsabläufe schon während der Einarbeitung trainiert werden, bleiben die Mitarbeiter länger fit, ermüden nicht so schnell und werden seltener krank“, so der Ansatz der Forscher.
Eine Technologie auch für den Mittelstand
Wenn alles klappt wie von den Wissenschaftlern skizziert, wird die neue Technologie auch für kleine und mittlere Unternehmen erschwinglich sein. Denn die teure Sensorik fiele ebenso weg wie die aufwendige Ausstattung des Arbeitsplatzes mit sonstigen Markern. Und den Gesundheitsexperten, der die erfassten Daten nachher auswertet, braucht es auch nicht. Stattdessen stünde das System für sich, es wäre schnell und flexibel. „ Sobald sich ein Mitarbeiter die richtigen Bewegungsabläufe angewöhnt hat, können die Kameras wieder abgebaut und an einem anderen Montage-Arbeitsplatz genutzt werden“, erklärt Brede. In zwei Jahren will er das Forschungsprojekt abschließen und das entwickelte Kamerasystem bei Partnerunternehmen testen.
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