Sucht am Arbeitsplatz: Ursachen erkennen – Drogenkonsum vorbeugen
Fast 19 Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Suchterkrankung oder sind davon bedroht. Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen bleibt das häufig verborgen. ingenieur.de klärt auf, wie man Anzeichen einer Sucht am Arbeitsplatz erkennen und den Betroffenen helfen kann.
Inhaltsverzeichnis
- Sucht hat viele Gesichter
- Wie definiert man Sucht?
- Ist Sucht am Arbeitsplatz für jeden sichtbar?
- Woran erkennt man Sucht am Arbeitsplatz?
- Sucht als Gefahr am Arbeitsplatz
- Illegale Drogen am Arbeitsplatz
- Präventionsmaßnahmen gegen Drogenkonsum am Arbeitsplatz
- Fürsorgepflicht der Arbeitgeber gegenüber suchtkranken Beschäftigten
- Stufenplangespräche mit suchtkranken Mitarbeitenden
- Eigenmotivation führt aus der Sucht heraus
- Wo gibt es Hilfe für Suchtkranke?
Sucht hat viele Gesichter
Lange war die allgemein verbreitete Vorstellung von Sucht sehr eng gefasst: Als süchtig oder abhängig betrachtete man vor allem Menschen, die täglich große Mengen Alkohol tranken und oder illegale Drogen konsumierten. Entsprechend sahen die Klischees aus: Da waren der Kollege, der schon morgens mit einer „Fahne“ ins Büro kam oder die abgemagerte blasse Gestalt, die sich in Bahnhofsnähe „einen Schuss setzte“. Dabei ist Sucht nicht nur weit verbreitet, sondern sie ist auch eine weitaus komplexere Erscheinung mit vielen unterschiedlichen Gesichtern. Nicht nur Substanzen wie zum Beispiel Alkohol und Heroin können viele Substanzen können abhängig machen, sondern auch bestimmte Aktivitäten. Entsprechend wird heute zwischen substanzgebundenen und nicht substanzgebundenen Abhängigkeiten entschieden. Einige Beispiele:
- Substanzgebundene Sucht
… kann sich unter anderem beim Konsum von Alkohol, Nikotin, Cannabis, Ecstasy, Kokain, Heroin, Schmerz- und Beruhigungsmitteln entwickeln. - Nicht substanzgebundene Sucht
… kann sich unter anderem als Glücksspielsucht, Kaufsucht oder auch exzessives Gaming und unkontrollierter sonstiger Smartphone- und Computernutzung zeigen.
Beiden Arten der Sucht ist gemeinsam, dass im Gehirn so genannte „Belohnungseffekte“ entstehen – beim Konsum von illegalen Drogen ebenso wie beim „Zocken“ im Casino.
Wie definiert man Sucht?
Es gibt viele Definitionen für eine Sucht und den in der Fachliteratur häufiger verwendeten Begriff der Abhängigkeit. Wikipedia gibt eine kurze, prägnante und dabei inhaltlich umfassende Varaiante wieder: „Abhängigkeit, auch Sucht, bezeichnet das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. In der Folge können die freie Entfaltung einer Persönlichkeit und die sozialen Chancen eines Individuums beeinträchtigt werden.“ Weiter ins Detail geht zum Beispiel die Einordnung der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie spricht im ICD-10, einem Katalog von Kurzbezeichnung für Diagnosen, von Abhängigkeit, wenn mindestens drei der folgenden Kriterien während des vergangenen Jahres vorhanden gewesen sind:
- Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang zu konsumieren.
- Verminderte Kontrollfähigkeit in Bezug auf den Beginn, die Beendigung oder die Menge des Konsums.
- Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums.
- Nachweis einer Toleranz, im Sinne von erhöhten Dosen, die erforderlich sind, um die ursprüngliche durch niedrigere Dosen erreichte Wirkung hervorzurufen.
- Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügungen oder Interessen zugunsten des Konsums sowie ein erhöhter Zeitaufwand, um zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen.
- Anhaltender Konsum trotz des Nachweises eindeutig schädlicher Folgen.
Zudem wird heute nicht mehr nur von Sucht oder Abhängigkeit, sondern darüber hinaus von schädlichem Gebrauch gesprochen. So unterschiedlich die wissenschaftlichen Definitionen klingen mögen – alle machen deutlich: Ein „normaler“, selbstbestimmter Alltag und damit auch ein sinnvolles Arbeitsleben sind mit fortschreitender Sucht oder fortschreitendem schädigenden Gebrauch immer weniger möglich.
Ist Sucht am Arbeitsplatz für jeden sichtbar?
Nein. Im Gegenteil. Sie bleibt in vielen Fällen lange unbemerkt, und dafür gibt es mehrere Gründe:
- Ein wichtiger Grund ist, dass viele Betroffene ihre Abhängigkeit zu kaschieren versuchen, weil sie eine Stigmatisierung fürchten, wenn sie offen zu ihrer Sucht stehen würden.
- Wie jede Not macht auch eine Suchterkrankung erfinderisch, was sich in einer Vielzahl plausibel wirkender Entschuldigungen und Ausreden zeigt. Die morgendliche Verspätung wird auf einen Zugausfall geschoben, aus dem „Kater“, der zur Krankmeldung führt, wird eine spontane Erkältung, und dass ein Teil eines Projekts unerledigt bleibt, wird mit bedauerlicherweise übersehenen E-Mails erklärt.
- Zum anderen gibt es nicht wenige Fälle, in denen Beschäftigte nur deshalb scheinbar normal und gut „funktionieren“, weil sie vor oder während der Arbeitszeit zum Beispiel stimulierende oder beruhigende legale, meist verschreibungspflichtige Medikamente oder Drogen einnehmen.
- Hinzu kommt: Häufig gelingt es, das Suchtverhalten (zum Beispiel: Cannabiskonsum, Alkoholkonsum, exzessives Online-Shopping) ganz oder weitgehend auf die freie Zeit zu beschränken, und am Arbeitsplatz fällt die Suchterkrankung nicht unmittelbar auf.
Woran erkennt man Sucht am Arbeitsplatz?
Doch, auch wenn es einzelne Ausnahmen geben mag: Irgendwann lassen sich die Sucht und ihre Folgen im beruflichen Umfeld nicht länger verbergen. Frank Schlaak, Leiter Fachstelle Sucht bei der Diakonie Dortmund, nennt in einem Artikel der VDInachrichten über Alkoholismus am Arbeitsplatz einige typische Anzeichen, die für vertraute Kolleginnen und Kolleginnen und Führungskräfte der betroffenen Beschäftigten kaum zu übersehen sein dürften:
- Viele Alkoholkranke schaffen es nicht mehr, während der Arbeitszeit nüchtern zu bleiben. Deutlichstes Anzeichen ist der Atemalkohol, die sogenannte Fahne.
- Möglicherweise treten Veränderungen auf, so dass jemand sein Äußeres vernachlässigt, stark nach Schweiß riecht, die Kleidung verrutscht oder verschmutzt ist, was vorher nicht der Fall war.
- Der oder die Betroffene geht aus dem Kontakt, meidet sogar den Blickkontakt, wird ungewohnt gereizt und aggressiv.
Sucht als Gefahr am Arbeitsplatz
Die Suchterkrankungen betroffener Mitarbeitender bergen Gefahren für das Team, manchmal sogar für Außenstehende und für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Das gilt nicht nur für substanzgebundene Erkrankungen wie Alkoholismus, sondern auch für nicht substanzgebundene. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wer bis in die frühen Morgenstunden am Computer „zockt“ und die digitale Spielsucht auch tagsüber nicht aus dem Kopf bekommt, wird sich kaum angemessen auf seine Arbeit konzentrieren können. Sucht, gleich welcher Art, kann großen Schaden am Arbeitsplatz anrichten – unter anderem:
- Mentale Auswirkungen auf das Team: Rückzug, Aggressivität und andere negative Verhaltensweisen können die Motivation und Leistungsfähigkeit des gesamten Teams empfindlich stören.
- Leistung des Teams: Häufige Fehlzeiten der Betroffenen können ebenso wie Unkonzentriertheit oder nachlassende Merkfähigkeit die Leistung des gesamten Teams gefährden.
- Fehlentscheidungen auf Management-, generell auf Führungsebene: Werden unrealistische Zielvorgaben formuliert oder ungeeignete Maßnahmen umzusetzen versucht, kann das zu betriebswirtschaftlichen Verlusten führen.
- Bedienungsfehler, insbesondere bei der Benutzung von Maschinen und Fahrzeugen, können zu Unfällen führen, bei denen schlimmstenfalls Menschen verletzt werden.
Illegale Drogen am Arbeitsplatz
Der AOK-Bundesverband eGbR (AOK) weist auf seinem Fachportal für Arbeitgeber darauf hin, dass kein absolutes gesetzliches Drogenverbot am Arbeitsplatz besteht und empfiehlt daher, „betriebliche Regelungen – beispielsweise durch das Aufstellen eines absoluten Drogenverbotes – vorzunehmen und präventive Maßnahmen anzuwenden“. Unter Bezugnahme auf die Empfehlungen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) wird Arbeitgebern geraten, unter anderem folgende Regeln einzuführen:
- Illegale Drogen dürfen nicht mit an den Arbeitsplatz gebracht werden.
- Sie dürfen weder während der Arbeitszeit noch in den Pausen konsumiert werden.
- Die Verteilung und der Verkauf illegaler Drogen auf dem Betriebsgelände des Betriebes sind nicht erlaubt verboten und werden zur Anzeige gebracht.
Diese Regeln können helfen, einem Teil des Drogenproblems am Arbeitsplatz entgegenzuwirken. Mindestens genau so wichtig sind aber Präventions- und Hilfsangebote.
Präventionsmaßnahmen gegen Drogenkonsum am Arbeitsplatz
Die AOK führt auf dem Fachportal für Arbeitgeber Maßnahmen der betrieblichen Suchtprävention auf. Diese Liste bezieht sich zwar auf illegale Drogen, gilt aber ebenso für legale Suchtmittel und lässt sich auch auf den Umgang mit nicht substanzgebundener Sucht übertragen:
„Folgende Maßnahmen haben sich in der betrieblichen Suchtprävention bewährt:
- Information und Aufklärung über die Wirkung von Suchtmitteln
- Suchtfördernde Arbeitsbedingungen einschränken, insbesondere durch Abbau von Stress und Angst auslösenden Situationen
- Führungskräfte im Umgang mit suchtkranken Beschäftigten schulen
- Suchtbeauftragte qualifizieren und beauftragen
- Betriebliche Hilfsangebote und Maßnahmen zur Suchtprävention ausarbeiten und bekannt machen (zum Beispiel in einer Dienst- oder Betriebsvereinbarung)“.
Fürsorgepflicht der Arbeitgeber gegenüber suchtkranken Beschäftigten
Zur Fürsorgepflicht der Arbeitgeber gegenüber den Beschäftigten gehört auch, sie vor Schäden und Gefahren durch den Konsum von Suchtmitteln zu schützen. Die betriebliche Suchtprävention umfasst eine Reihe von Maßnahmen. Dazu gehören Interventionstrainings, in denen frühzeitig Gespräche mit möglicherweise Betroffenen geführt werden. Zunächst steht der Fürsorge- und Klärungsgedanke im Mittelpunkt, berichtet die AOK auf dem Fachportal für Arbeitgeber: „In den ersten Sondierungsgesprächen sollte Beschäftigten rechtzeitig signalisiert werden, dass Veränderungen im Arbeits- und Leistungsverhalten wahrgenommen wurden und dass Unterstützung möglich ist, wenn dies gewünscht wird.“
Stufenplangespräche mit suchtkranken Mitarbeitenden
Kommt es im Zusammenhang mit Suchtmitteln zu Verstößen gegen arbeits- oder dienstrechtliche Verpflichtungen, werden Stufenplangespräche geführt. Die Systematik dieser Gespräche ist standardisiert, sie können und sollten aber je nach individueller Situation angepasst werden. Eine detaillierte Stufenplan-Beschreibung bietet zum Beispiel die Julius-Maximilians-Universität Würzburg auf ihrer Homepage an. Einige wichtige Aspekte aus dem fünfstufigen Plan:
- Stufe 1: Vertrauliches Gespräch zwischen Beschäftigtem oder Beschäftigter und unmittelbarem Vorgesetzten oder Vorgesetzter mit Personalverantwortung. Dabei werden konkrete Vorfälle angesprochen und Hilfsangebote gemacht. Zudem wird eine Zielvereinbarung getroffen, in der die oder der Vorgesetzte Erwartungen an Verhalten und Leistung des oder der Beschäftigten formuliert. Beschäftigte können auch Selbstverpflichtungen wie den Besuch einer Beratungsstelle eingehen. Das vertrauliche Gespräch hat noch keine arbeits- oder dienstrechtlichen Konsequenzen. Ein Termin für ein Rückmeldegespräch wird vereinbart.
- Stufe 2: Wenn die Problematik anhält, folgt das erweiterte vertrauliche Gespräch. Der Kreis der Beteiligten kann erweitert werden, zum Beispiel um die nächst höhere Vorgesetzte oder den nächst höheren Vorgesetzte, Mitarbeitende aus der Suchtberatung, Personalratsmitglieder. Da der oder die betroffende Beschäftigte das selbst gesteckte Ziel nicht erreicht hat, liegt nun ein Schwerpunkt darauf, Hilfe in einer Suchtberatungsstelle suchen. Erneut werden Zielvorgaben vereinbart, möglicherweise Selbstverpflichtungen eingangen und ein oder mehrere Rückmeldetermine vereinbart. Auch dieses Gespräch hat noch keine arbeits- oder dienstrechtlichen Folgen hat. Er/sie erläutert das weitere Vorgehen nach dem Fünf-Stufenplan, sollten die Probleme am Arbeitsplatz andauern.
- Stufe 3: Zeigt sich keine relevante Besserung der Situation, können arbeits- und dienstrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden. Der Gesprächskreis kann erneut erweitert werden, mögliche arbeits- und dienstrechtliche Konsequenzen werden geschildert, zum Beispiel eine Abmahnung oder Disziplinarmaßnahmen.
- Stufe 4: Besteht die Problematik weiterhin, können nach dem Gespräch auf der vierten Stufe Arbeits- und dienstrechtliche Konsequenzen umgesetzt werden. Hilfsangebote, Zielvereinbarungen und Selbstverpflichtungen gehören weiterhin dazu, zum Beispiel regelmäßige Kontrollen der Blutwerte beim Betriebsarzt. Der Inhalt des Gesprächs wird schriftlich festgehalten und in die Personalakte aufgenommen. Werden die Vereinbarungen nicht eingehalten, werden das Kündigungsverfahren oder bei Beamten die Entfernung aus dem Dienst eingeleitet.
- Stufe 5: Bei anhaltender Problematik wird das Beschäftigungsverhältnis beendet.
Eigenmotivation führt aus der Sucht heraus
Kolleginnen und Kollegen, die Suchtverhalten am Arbeitsplatz bemerken, wenden sich am besten an ihre Vorgesetzten. Bei einem besonderen Vertrauensverhältnis könnte auch ein Gespräch unter vier Augen ein erster Ansatz sein. Absolut tabu ist es, eine mögliche Suchtproblematik in Gegenwart Dritter anzusprechen. Wegschauen und Schweigen ist auch keine Lösung. In vielen Fällen hilft es den Betroffenen, wenn sie angemessen mit ihrem Suchtverhalten konfrontiert werden. Die Motivation zu einer Entgiftung und einer anschließenden Rehabilitation müssen die Betroffenen allerdings selbst entwickeln. Frank Schlaak, Leiter Fachstelle Sucht bei der Diakonie Dortmund und Motivationsexperte, stellt in einem Interview der VDInachrichten über Alkoholismus am Arbeitsplatz ein ambulantes Reha-Konzept vor, in dem er auch schon Ingenieuren dabei helfen konnte, auf Dauer abstinent zu bleiben.
Wo gibt es Hilfe für Suchtkranke?
Einen Überblick über die Problematik und hilfreiche Tipps geben sowohl die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) als auch die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS), die auf ihrer Homepage sowohl ihre Landesstellen als auch einige kooperierende Organisationen aufführt. Darüber gibt es eine Vielzahl von Stellen, die mit Informationen zu Themen rund um Suchtproblematiken je nach invidueller Problematik weiterhelfen können. zum Beispiel die Krankenkassen, das Blaue Kreuz, das Bundesgesundheitsministerium, der Suchtbeauftragte der Bundesregierung, die Sozialverbände, Drogenhilfeeinrichtungen und -notrufe und viele andere.
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