Gesundheit 29.09.2006, 19:24 Uhr

Wenn die Straße krank macht  

Wohnen an stark befahrenen Straßen kann nicht nur zu chronischen Atemwegserkrankungen führen. Auch die Sterblichkeit steigt dramatisch an. Dennoch will das EU-Parlament die Grenzwerte für Feinstaub sogar lockern. Die EU-Regierungen müssen dem Vorschlag jedoch noch zustimmen.

Künftig kann ein Mitgliedsland beantragen, dass der Tagesmittelwert für Feinstaub (PM10 = Partikel mit einem Durchmesser von 10 µm) an 55 Tagen statt wie bisher an 35 Tagen pro Jahr überschritten werden darf. Allerdings nur, wenn die Überschreitung trotz geeigneter Umweltschutzmaßnahmen durch ungünstige geografische oder meteorologische Bedingungen – etwa durch Inversionswetterlagen – verursacht wird. Anfang September hatte eine internationale Gruppe von Umweltmedizinern und Experten für Atemwegserkrankungen noch gegen diese Regelung protestiert – ein ungewöhnlicher Schritt.

„An Tagen mit hoher Feinstaubbelastung kommt es häufiger zu Atemwegsbeschwerden, Asthmatiker leiden an stärkeren Symptomen und auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis zum Herzinfarkt sind häufiger“, erklärte Prof. H.-Erich Wichmann, Epidemiologe am GSF-Forschungszentrum in Neuherberg bei München.

Der Tagesgrenzwert selbst bleibt allerdings unverändert bei 50 µg/m3. Anders der PM10-Jahresmittelwert: Der wird ab 1. Januar 2010 auf 30 µg/m3 gesenkt derzeit liegt er bei 40 µg/m3. Wie nötig das ist, zeigt eine Untersuchung von Umweltmedizinern des GSF-Forschungszentrums und des Instituts für umweltmedizinische Forschung in Düsseldorf. „Erstmals konnten wir die Folgen einer Langzeitbelastung mit Feinstaub zeigen“, sagt Wichmann.

Die Wissenschaftler hatten eine Gesundheitsstudie an 4500 Frauen in Nordrhein-Westfalen ausgewertet. Ein Anstieg der PM10-Konzentration in der Atemluft um 7 µg/m3 ließ die Häufigkeit chronischer Atemwegserkrankungen um 33 % steigen, und 34 % häufiger starben die Frauen auch an Atemwegs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

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Deutlich war auch der Zusammenhang mit der Verkehrsbelastung: Bei den Frauen, die bis zu 100 m entfernt von einer stark befahrenen Straße lebten, traten Atemwegserkrankungen 79 % häufiger auf als bei Frauen in weniger belasteten Gegenden. Für Stickoxide zeigten sich ähnliche Zusammenhänge.

Bisher gibt es keinen Grenzwert für Kleinstpartikel (PM2,5). Am Dienstag wurde nun ein Zielwert von 20 µg/m3 ab 2010 beschlossen. Erst danach soll ein Grenzwert festgelegt werden – derzeit seien die verfügbaren Daten dafür noch nicht ausreichend. In ihrer Deklaration verweisen die Forscher hingegen auf die Empfehlung der WHO, einen Jahresmittelwert von 10 µg/m3 nicht zu überschreiten in den USA gilt seit zehn Jahren ein Grenzwert von 15 µg/m3.

Den angestrebten EU-Grenzwert halten die Forscher für zu hoch – bei Konzentrationen zwischen 20 µg/m³ und 25 µg/m3 träten bereits verstärkt Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Symptome auf eine langfristige Belastung könne die Zahl der Todesfälle aufgrund dieser Erkrankungen und durch Lungenkrebs erhöhen. RENATE ELL/ber

Ein Beitrag von:

  • Bettina Reckter

    Bettina-Reckter

    Redakteurin VDI nachrichten
    Fachthemen: Forschung, Biotechnologie, Chemie/Verfahrenstechnik, Lebensmitteltechnologie, Medizintechnik, Umwelt, Reportagen

  • Renate Ell

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