Ausländische Fachkräfte: Wenn hochqualifizierte Ingenieure als Hilfsarbeiter eingestuft werden
Eine top ausgebildete kroatische Nuklearingenieurin, die in Deutschland als Eisverkäuferin arbeitet? Eine ukrainische Luft- und Raumfahrttechnikerin, die hier als Arzthelferin arbeitet? Ein indischer Ingenieur der Mechatronik, der hierzulande lieber Gebäude überwacht?
Es gibt unzählige Fälle von hoch ausgebildeten ausländischen Fachkräften, die in Deutschland arbeiten und ihre Fähigkeiten hier einsetzen wollen – aber nicht können oder dürfen. Oft scheitern sie an bürokratischen Hürden. Sie nehmen fachfremde Aushilfsjobs an, für die sie vollkommen überqualifiziert sind, während die Wirtschaft händeringend Fachkräfte wie ihnen sucht.
Laut des aktuellen Ingenieurmonitors des VDI und IW sind aktuell 148.230 offene Stellen in den Ingenieurs– und IT-Berufen in Deutschland unbesetzt. Zwar stieg der Anteil ausländischer Fachkräfte zwischen 2011 und 2023 von 6% auf 11% an. Dennoch bedeuten die unbesetzten Ingenieurs-Stellen in Deutschland einen jährlichen Wertschöpfungsverlust von 9-13 Mrd. Euro.
Welche Hürden führen zu solch einer Diskrepanz? Wie erleben ausländische Ingenieurinnen und Ingenieure den deutschen Markt? Und: Können wir es uns als Wirtschaftsstandort leisten, dass topqualifizierte ausländische Ingenieurinnen und Ingenieure in Deutschland eher Eis verkaufen – bei aller Liebe zum Eis und Respekt für den Job – als ihrem eigentlichen Beruf nachzugehen, Patente anzumelden, Unternehmensnachfolge zu sichern?
Gut 150.000 Stellen in den Ingenieursberufen sind in Deutschland unbesetzt
„Viele denken, alle wollen nach Deutschland. Tatsächlich stehen wir als Land aber in Konkurrenz zu anderen um hochqualifizierte Fachkräfte“, so Ingo Rauhut, Initiator von VDI Xpand, einem neuen an den VDI angeschlossenen Programm, das ausländischen Ingenieurinnen und Ingenieuren den Eintritt in den deutschen Arbeitsmarkt erleichtern will. „Hochqualifizierte Fachkräfte fragen: Was kann mir Deutschland bieten – im Vergleich zu Kanada?“
Das vom Bundesarbeitsministerium und der EU geförderte Programm ist an den VDI angeschlossen und wird zunächst in NRW getestet, dem Bundesland mit den meisten Ingenieurinnen und Ingenieuren. Es klärt die Mentees auch über ihre Rechte auf, übt Bewerbungsgespräche, stellt per Mentorship Connections in die jeweilige Branche her.
„Es ist ein Dreiklang aus Mentoring, Networking und Qualifizierung. Wir vernetzen berufserfahrenere Ingenieure und Ingenieurinnen aus dem VDI als Mentorinnen und Mentoren mit ausländischen zugewanderten Ingenieurinnen und Ingenieuren, um die typischen Probleme auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu bewältigen., so Ingo Rauhut. Für ihn eine Herzensangelegenheit, sagt er selbst, denn die Geschichten, die die arbeitswilligen ausländischen Fachkräfte ihm erzählen, sind oft haarsträubend.
„Wir haben einen Fall von einem ausländischen Elektroingenieur, der so frustriert ist, dass er der Behörde einer Weiterbildung zum Elektrotechniker zugestimmt hat – obwohl er genau darin bereits einen Abschluss in seinem Herkunftsland hat“, so Rauhut.
So geht es auch Milos Pavlovic, 34, aus Serbien. Der Master-Ingenieur für Katastrophen- und Brandschutz durch Familienzusammenführung nach Deutschland und besitzt die sog. Blaue Karte, eine Art Green Card für hochqualifizierte Fachkräfte aus Drittstaaten. Der ehemalige Militäroffizier der ABC-Abwehr hat mit Organisationen der UN gearbeitet. Deutschland als Land für ihn, seine Expertise und seine Familie hat er sich gewissenhaft ausgesucht, es hätte auch ein anderes sein können. Er hat durch die militärische Karriere eine Weiterbildung als Strahlenschutzbeauftragter, ist zertifizierter Instruktor für Kampfstoffe, besitzt das Zertifikat für Arbeit mit geschlossenen Quellen ionisierender Strahlung vom Institut für Nuklearwissenschaften in Vinča bei Belgrad. Er fand hier auch gleich einen Arbeitgeber, der bei der Ausländerbehörde Krefeld zudem noch ein gutes Wort einlegte mit der Bitte, er brauche diese Fachkraft dringend.
Trotz all dieser Umstände hieß es von der Behörde in Krefeld: Milos Pavlovic kommt ganz regulär auf die interne Warteliste, bei der die Anwärter bis zu 12 Monate lang erstmal nur auf die Beantragung der Niederlassungserlaubnis warten. Statt sein hochspezialisiertes Fachwissen als einzubringen, arbeitet er nun als Security-Mann.
Er ist dankbar für den Job, aber der Frust über Bürokratie-Hürden ist mittlerweile groß. Er sagt selbst – übrigens in fließendem Deutsch: „Mich wundert es, dass Fachkräfte mit akademischer Ausbildung, die wie ich all ihre Unterlagen und Dokumente vorbereitet haben, alle Beglaubigungen selbst bezahlt haben, sich dem lokalen System angepasst und die Voraussetzungen für den nächsten Schritt erfüllt haben… Wieso haben die keinen Vorrang, wenn die Regierung selbst Fachkräfte nach Deutschland locken will?“
Trotz aller Zertifikate als fachfremd eingestuft
Seiner Frau ging es nicht anders mit der Ankunft in Deutschland. „Andere ausländische Fachkräfte kämpfen auch ihre eigenen Kämpfe, was viele in der Gesellschaft nicht merken“, so Milos Pavlovic. Seine Frau kam 2020 nach Deutschland, der gemeinsame Sohn ist in Deutschland geboren. Sie habe einen akademischen Abschluss als fachliche Krankenschwester und 4,5 Jahre Arbeitserfahrung als examinierte Krankenschwester am Universitätsklinikum, lehrte auch selbst an der Medizinhochschule als Dozentin. „Obwohl sie alle Beweise der Arbeitserfahrung nachgewiesen hat, wurde sie von der Bezirksregierung Düsseldorf und damit auch Krefeld als Quereinsteigerin ohne Fachkenntnisse eingestuft. Es gab ein sprachliches Missverständnis beim Anerkennungsverfahren. Wir kämpfen immer noch dafür, das zu klären.“
Um fachlich fit zu bleiben und um Deutschland etwas zurückzugeben, engagiert sich Milos Pavlovic ehrenamtlich bei den Maltesern als Katastrophenschutzhelfer. Außerdem ist er Mitglied der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes sowie der Polizeiorganisation IPO. Das macht er, um „seinen beruflichen Beitrag zur Gesellschaft und Wirtschaft beizutragen“, sagt er selbst.
„Wir sprechen alle dieselbe Sprache: die Sprache der Technik“
Ingo Rauhut kennt solche Fälle nur zu gut. „Gerade, wenn ich als ausländische Fachkraft vor solchen Hürden stehe und Familie habe, stellt sich mir ja irgendwann die Frage: Warte ich jetzt, bis mir eine bildungsadäquate Beschäftigung angeboten wird, oder verdiene ich jetzt einfach meinen Lebensunterhalt, um meine Familie ernähren zu können?“, so Rauhut. „Es geht auch darum: Wie integriere ich mich ins Land? Können meine Kinder hier zur Schule gehen? Kann ich langfristig planen?“, so auch Shirin Ernst, Projektreferentin bei VDI Xpand.
Dass Milos Pavlovic selbst Mentee bei VDI Xpand ist, ist für ihn ein absoluter Glücksfall. Er hat einen Mentor aus seiner Branche, der ihn fit macht in Sachen Gesetzesregelung im deutschen Brandschutz. „Der Mentor hat mir gute Empfehlungen zum Lernen der Gesetze und Pflichten im Brandschutz am deutschen Markt gegeben, ich bin ihm dafür sehr dankbar. Ich finde außerdem die VDI-Webinare und den direkten Austausch mit den VDI-Mitarbeitern extrem hilfreich“, so Pavlovic. „Jeder Ausländer braucht nicht nur persönliche Führung wie von den Mentoren, sondern auch systematische Führung wie die von VDI Xpand“, so Pavlovic. „Ich bin davon ehrlich begeistert.“
Begeistert sind auch die Mentorinnen und Mentoren von ihren Mentees. „Wir bekommen die Rückmeldung, dass die Mentees sehr engagiert sind, sehr dankbar, fachlich top. Und gerade in den Ingenieurs- und IT-Berufen haben wir einen großen Vorteil: Wir sprechen wir die gleiche Sprache: die Sprache der Technik.“
Wer sich für etwa zehn Monate als Mentorin oder Mentor engagieren will, oder Workshops geben will, ist herzlich eingeladen, sich bei VDI Xpand für das Programmjahr 2025 zu melden.
Auch die Zusammenarbeit mit Unternehmen ist geplant. Mentee-Interessenten können sich hier melden.
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