Deutschland braucht mehr Projektkultur
Große Bauprojekte wie die Elbphilharmonie oder der Berliner Flughafen sind nur die Spitze des Eisbergs. Deutschlands Unternehmen entgehen jährlich viele Milliarden Euro, weil Projekte sich verzögern, teurer werden oder gleich ganz scheitern. Unternehmensberaterin Andrea Ramscheidt erklärt in ihrem neuen Buch, welche Stellschrauben das verhindern könnten.
Um gleich vorweg mit einem Missverständnis aufzuräumen: Wenn Projekte scheitern, liegt das meist am Menschen. Selten allerdings an einem einzelnen. Viel eher fehlt die Vernetzung zwischen den einzelnen Beteiligten, es kommt zum sogenannten Vasa-Syndrom. Die Bezeichnung geht zurück auf das schwedische Kriegsschiff Vasa, das 1628 als eines der größten Kriegsschiffe jener Zeit in See stach und nach nur 1300 Metern noch innerhalb der Stadtgrenzen Stockholms sank. Grund: Die Statik des Schiffes war nicht auf die nachträgliche Anordnung des Königs ausgelegt, die Kanonenzahl von 32 auf 64 zu verdoppeln. Doch das schien dem Obersten Befehlshaber und König von Gottes Gnaden keiner sagen zu wollen. Ergebnis: Alle Projektbeteiligten arbeiteten nach Leibeskräften, obwohl das Ergebnis zum Scheitern verurteilt war. Ein Einzelfall? Mitnichten.
Kommunikation muss ermöglicht werden
In Managementkreisen wird als Vasa-Syndrom bis heute mangelnde Kommunikationsbereitschaft bezeichnet. An ihm scheitern wohl die allermeisten Projekte. Ramscheidt führt einige folgenschwere Strukturen auf, die dringend notwendige Kommunikationswege kappen. Etwa Abteilungsdenken, starre Hierarchien oder zu viele parallel laufende Projekte ohne zentrale Verbindungsstelle. Viele Ingenieure werden ein Lied davon singen können, da sie häufig in Projekte eingebunden sind. Denn in jeder Branche steigen die technischen Anforderungen und die individuellen Kundenwünsche an das Produkt oder die Dienstleistung rasant an und machen interdisziplinäre Projektarbeit unumgänglich. Alle Mitarbeiter agieren folglich über Abteilungs- und teilweise Unternehmensgrenzen hinweg, um Neuerungen zu realisieren (oder eben nicht).
Die interdisziplinäre Struktur von heutigen Projekten macht es „nicht nur wünschenswert, sondern notwendig, dass Mitarbeiter mitdenken“, schreibt Ramscheidt. Und gibt auch gleich Tipps, wie das gelingen kann: So sollte der Projektleiter bestenfalls aus dem operativen Geschäft kommen und mit seiner Ernennung auch gleich die notwendige Autorisierung als Führungskraft erhalten. Denn ohne die wird er (oder sie) seiner Verantwortung nicht gerecht werden können.
Für die Arbeitsebene muss aber noch ein weiterer wichtiger Schritt unternommen werden, so Ramscheidt: Die einzelnen Projekte müssen priorisiert werden. Denn ein Ingenieur ist häufig an mehr als einem Projekt beteiligt, kann sich aber nicht zwei-, drei- oder vierteilen. Das Signal des Managements muss daher sein: Wenn die Zeit knapp wird, konzentriere Dich auf Projekt C, das ist zwar später gestartet als A, genießt aber die allerhöchste Priorität innerhalb des Unternehmens.
Der dritte wichtige Punkt, den das Buch im Rahmen der grundlegenden Kommunikation aufführt, ist die Vernetzung der einzelnen Projekte untereinander. Viel zu häufig blieben Synergieeffekte in Unternehmen ungenutzt, weil sie schlicht nicht bekannt sind. Des Projektleiters Aufgabe besteht daher nicht nur darin, regelmäßige Feedbackrunden und Besprechungen innerhalb des eigenen Projektteams zu organisieren, sondern auch den Austausch mit den Verantwortlichen anderer Projekte anzustoßen.
Wer sollte „Diagnose Vasa-Syndrom“ lesen?
Das Fazit nach 182 Seiten: Ramscheidt schreibt in ihrem Buch keine bahnbrechenden Weisheiten auf. Sondern Erfahrungswerte, die wohl jeder so unterschreiben würde, der schon einmal in einem Projekt oder eben in mehreren parallel verlaufenden Projekten mitgewirkt hat. Sie wirbt für hybrides (Multi-)Projektmanagement, rät Führungskräften, projektfreundliche Strukturen zu etablieren und bezeichnet sie als „Baumeister des Lösungsweges“. In diesem Sinne ist das Buch gut geeignet für Ingenieure, die von Seiten der Fachebene in Projekten mitarbeiten oder als Führungskräfte neue Projekte anstoßen, bzw. leiten. Es ist ein Buch, das die persönliche Einstellung als Glied in der (Projekt-)Kette ebenso auf die Probe stellt wie es die grundlegende Unternehmenskultur hinterfragt, die begünstigend, aber auch bremsend auf Einzelprojekte wirken kann. Die Bedeutung des Themas wiederum beschreibt Ramscheidt selbst am besten, wenn sie sagt: „Projekte sind Geburtshelfer für Innovationen.“ Man möchte anfügen: Wenn sie richtig gemacht werden.
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