Digitalisierung frisst (keine) Arbeitsplätze
Roboter sind keine Konkurrenz für den denkenden Menschen, die Beschäftigung in Deutschland wird trotz (oder dank) Digitalisierung steigen. Das ergibt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Einzig An- und Ungelernte werden es schwerer haben, sich gegen den Kollegen Robo zu behaupten.
Das Gute an Prognosen sind ihre vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. Wem der Tenor einer zukunftsweisenden Studie zusagt, mag sich bestätigt fühlen. Wem die Botschaft dagegen sauer aufstößt, kann die Statistik als biegsames Instrument anführen und die Ergebnisse für falsch erklären. Egel welchen Weg Sie bei folgender Studie wählen, wir stellen Ihnen zunächst die Sicht der Studienautoren vor.
Digitalisierung ist keine Gefahr
Horrorszenarien, wonach fast die Hälfte der Arbeitsplätze durch den digitalen Wandel bedroht sei, werden durch die Ergebnisse des IW Köln nicht belegt. Ganz im Gegenteil: Die Unternehmen gehen zu einem Großteil davon aus, dass ihr Personalbedarf in den kommenden fünf Jahren steigen wird – trotz Digitalisierung. Von den Einstellungsplänen sollen vor allem Fachkräfte mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung und Akademiker profitieren. In der Umfrage sind sowohl Unternehmen vertreten, deren Geschäftstätigkeit direkt mit dem Internet und der Vernetzung einzelner Produktionsmittel verwoben ist, als auch solche, die noch relativ wenig mit dem digitalen Wandel in Berührung gekommen sind.
Einen sinkenden Personalbedarf sehen die Unternehmen über alle Digitalisierungsgrade hinweg nur bei An- und Ungelernten. Daraus ergibt sich für die Studienautoren ein zweiter Schluss, dass nämlich der Trend zur höheren Qualifizierung anhält, der sich seit Jahren auf dem Arbeitsmarkt beobachten lässt. Das Fazit der Studienautoren: Es gibt keinen Grund zur Sorge. Schon die Vergangenheit habe gelehrt, dass technischer Fortschritt am Ende mehr Jobs und mehr Wohlstand gebracht habe und nicht weniger.
Ein Blick auf Konkurrenzstudien
Die Studienautoren des IW Köln beziehen sich in ihrer Analyse auf das Horrorszenario der britischen Wissenschaftler Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborn aus dem Jahr 2013. Dieses bezieht sich allerdings im Gegensatz zur nun vorliegenden Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft auf Arbeitsplätze in den USA und die Prognosen sind auf die kommenden ein bis zwei Jahrzehnte ausgelegt, nicht auf fünf Jahre. Ein Vergleich scheint daher schwierig. Schauen wir also auf Studien, die sich der Frey-Osborne-Prognose angenommen und sie auf deutsche Gegebenheiten übertragen haben. Davon gab es im Jahr 2015 mindestens zwei: eine von der ING-DiBa und eine vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Beide kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen.
Die Direktbank mit den niederländischen Wurzeln hat für ihre Studie die Annahmen zur Automatisierbarkeit einzelner Berufe, wie sie Frey und Osborne trafen, auf die Berufsklassifikation der Bundesagentur für Arbeit übertragen. Ihr Ergebnis ist noch verheerender als das der britischen Kollegen für die USA: In Deutschland seien 59 % der Arbeitsplätze in ihrer jetzigen Form durch den digitalen Wandel bedroht, so die Volkswirte der ING-DiBa. Vor allem Büro-, Sekretariats- und Hilfskräfte, aber auch Fahrzeugführer, Maschinenbediener und Industriemechaniker seien gefährdet, vom Kollegen Roboter ersetzt zu werden. Ein Risiko von „nur“ etwas über 10 % haben dagegen Akademiker, ausgewiesene Spezialisten und Menschen mit Personalverantwortung. Das ist wiederum der Risikowert, den die Autoren der aktuellen IW-Studie den An- und Ungelernten zurechnen.
Die Mannheimer Wirtschaftsforscher dagegen halten die Befürchtungen, dass sich der Mensch durch den technischen Fortschritt selbst als Produktionsfaktor abschafft, für unbegründet. Im ersten Schritt ihrer Studie sind sie noch gar nicht weit von den Briten entfernt, wenn sie nämlich die Wahrscheinlichkeiten der Automatisierung von Frey/Osborne auf Berufe in Deutschland übertragen. 42 % der Beschäftigten in Deutschland arbeiteten demnach in einem Risikoberuf. Einem, der unter dem Vorbehalt der Automatisierung steht.
Im zweiten Schritt ändern die Forscher aber die Taktik. Sie orientieren sich nicht an Berufen in Deutschland, sondern an Tätigkeiten. Weil der eine Projektingenieur mehr statisch-planerische und der andere eher sozialinteraktive Tätigkeiten verübt, so die Annahme. Und das Ergebnis ist verblüffend: In den USA verbleiben 9 % der Arbeitsplätze im roten Bereich, für Deutschland sind es 12 %. Die Gesamtbeschäftigung sei also keineswegs gefährdet – auch weil das untersuchte Potenzial technischer Automatisierung keine verlässlichen Aussagen über mögliche Beschäftigungseffekte treffen kann. Der technologische Wandel, allen voran die Digitalisierung, sind Entwicklungen, die die Arbeitswelt von morgen beeinflussen. Darauf müssen sich Unternehmen und Arbeitnehmer einstellen.
Beschäftigung im Prognosen-Wirrwarr
Wie wir sehen, sehen wir nichts. Zumindest bleibt auch nach der Durchsicht von vier vorliegenden, wissenschaftlich erarbeiteten Szenarien unklar, wie sich die Digitalisierung auf die Beschäftigung in Deutschland auswirken wird. Klar wird dagegen, dass Prognosen ein sehr schwieriges Unterfangen sind – besonders, wenn sie die die Zukunft betreffen. Wer das genau gesagt hat, ist leider nicht einwandfrei überliefert. Sicher überliefert ist aber die Vorstellung des US-amerikanischen Informatikers Alan Kay: „Die beste Art, die Zukunft vorauszusagen, ist, die Zukunft zu erfinden.“ Das müssen Zukunftsforscher, Prognostiker und Statistiker, die Aussagen über die kommenden Jahre und Jahrzehnte machen, wohl ein Stück weit verinnerlicht haben.
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