Enzo Weber: „Darum sollen syrische Fachkräfte in Deutschland bleiben“
Jobverlust-Angst breitet sich aus. Enzo Weber warnt jedoch vor Panik und fordert gezielte Maßnahmen für die wirtschaftliche Transformation.
VDI nachrichten: Bei VW, Ford, Bosch und Thyssenkrupp drohen Massenentlassungen. Große Unsicherheit macht sich nicht nur in den betroffenen Unternehmen breit, auch in der breiten Bevölkerung wächst die Furcht der Menschen vor Arbeitsplatzverlust. Wie gerechtfertigt sind diese Ängste?
Enzo Weber: Wir erleben momentan nicht die große Entlassungswelle. Die Entlassungen steigen zwar, ihre Zahl liegt aber immer noch unter dem Vor-Corona-Niveau und weit unter dem Niveau, das wir in früheren Jahren hatten. Wir haben immer noch Rekordbeschäftigung. Aber seit mehr als zwei Jahren befinden wir uns in einem Wirtschaftsabschwung. Die Industrie ist in der Krise. Das hat den Arbeitsmarkt deutlich gedämpft. Die Beschäftigung ist abgeflacht, sie steigt nicht mehr an. Die Arbeitslosigkeit nimmt kontinuierlich zu. Diese Entwicklung ist alles andere als gut.
Enzo Weber
- ist Leiter des Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sowie Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Regensburg.
- Zu den Themen des Professors gehören gesamtwirtschaftliche Arbeitsmarktentwicklung und Konjunktur, technologischer Wandel und wirtschaftliche Transformation, Arbeitsmarktreformen und -politik, Wirtschaftskrisen, demografischer Wandel und soziale Sicherung.
Was bereitet Ihnen die größte Sorge?
Es fehlen die Perspektiven. Die aktuelle Lage ist insgesamt noch nicht dramatisch, aber die Perspektive, dass sich etwas entwickelt, dass es etwa eine beträchtliche Zahl an Gründungen gäbe, dass neue Stellen ausgeschrieben würden, dass investiert würde – alle diese Tendenzen, die für eine Transformation nötig wären, sind zurzeit viel zu schwach.
Wer sollte dafür sorgen, dass sich das ändert: Die Politik? Die Unternehmen?
Wir haben in den 2010ern in Bezug auf die Transformation Zeit verloren. Aber es ist müßig, darüber zu lamentieren. Wir brauchen so etwas wie einen Transformationswettbewerb. Der Staat muss die Transformation nicht aus eigener Kraft stemmen, aber er muss die marktwirtschaftlichen Kräfte in Gang setzen, damit der Wettbewerb um neue Geschäftsmodelle und Innovationen anrollen kann.
„Wir stecken tief in einem Abstiegskampf“
Wie könnte das aussehen?
Ein wesentlicher Punkt wäre eine antizipierbare Wirtschaftspolitik. Es muss eine klare Richtung geben, an der sich Unternehmen und Investoren bei Entscheidungen, die über Jahrzehnte wirken sollen, ausrichten können. Grundlagen wären auch öffentliche Investitionen in die Infrastruktur, seien es Netzausbau, Ausbau der Ladeinfrastruktur, das Thema Wasserstoff und viele andere Punkte.
Die Richtung vorgeben heißt aber nicht, dass der Staat der Industrie straffe Vorgaben erteilt?
Nein. Wichtig ist: Das Neue muss gefördert werden, Lust auf Innovationen muss entstehen, vor allem durch Unterstützung von Gründungen. In der Industrie gab es noch nie so wenige Gründungen wie momentan. Das darf in einer Transformation nicht sein! Das Land müsste stattdessen vibrieren, es müsste den breiten Willen zum Umbruch geben.
Von Aufbruchstimmung also keine Spur?
Natürlich ist Aufbruch auch ein Kraftakt, aber ein notwendiger. Neue Investitionen zu fördern, heißt auch, alte Subventionen abzubauen, damit die Wende hin zu neuer Wertschöpfung gelingt. Gründungen müssen unterstützt und umfassend skaliert werden. Insbesondere im industriellen Bereich erfordert das viel Kapital. Wirtschaftspolitik kann und soll das nicht allein bezahlen, aber sie kann Garantien übernehmen und Weiterfinanzierungszusagen aussprechen, wenn bestimmte Meilensteine erreicht werden. Öffentliche Mittel sollten eingesetzt werden, um mehr private Investitionen anzukurbeln und damit mehr Zuversicht zu erzeugen. Das Land bräuchte diese Politik, zurzeit stecken wir aber zu tief in einem Abstiegskampf. Den kann man in der Transformation nicht gewinnen.
Der Begriff „Transformation“ ist zwar in aller Munde, aber nicht in allen Köpfen. Warum diese Zurückhaltung, in die Offensive zu gehen?
Es herrscht eine riesige Unsicherheit, wie es weitergehen soll, mit welchen Konzepten und welchen Technologien. Wirtschaftliche Unsicherheit kann gemessen werden: Sie ist auf Rekordniveau. Unternehmen tun sich schwer, alte und lange Zeit bewährte Geschäftsmodelle zugunsten neuer Konzepte zurückzufahren. Wer tätigt schon Investitionen in Millionenhöhe, wenn große Unsicherheit darüber herrscht, welche Modelle erfolgreich sein könnten und nachgefragt sein werden. Der Gedanke muss sich durchsetzen, dass wirtschaftliches Handeln auf das Schaffen von Neuem ausgelegt sein muss.
Welche Beschäftigten, auch unter denen, die gerade ihre Jobs verlieren, sind auf das Schaffen von Neuem fachlich vorbereitet?
Das größte Problem ist, dass zurzeit zu wenige neue Jobs geschaffen werden, nicht dass horrend viele Menschen ihre Jobs verlieren – was für die Betroffenen trotzdem schwierig genug ist. Die gute Nachricht ist: Die ökologische Transformation, die Energie- und Verkehrswende erfordern Qualifikationen, über die viele Beschäftigte bereits verfügen. Das zeigen unsere Studien. Darunter sind technische Berufe in den Bereichen Elektro- und Energietechnik, auch Maschinenbau und Chemie sind gefragt. Ohne Ingenieurinnen und Ingenieure wird es auch in den zukunftsträchtigen Geschäftsfeldern wie in der Windkraft, in der E-Mobilität, in der Infrastruktur oder bei neuen Werkstoffen und in der Wasserstofftechnik nicht gehen.
Werden Staat und Unternehmen umfassende Weiterbildungsangebote anbieten müssen, um ihre Mitarbeitenden auf künftige Herausforderungen vorzubereiten?
Auf breiter Basis umschulen, um für neue Berufe zu qualifizieren, ist im großen Rahmen gar nicht nötig. Die Beschäftigten sind von den Grundqualifikationen gut aufgestellt. Nicht Umschulung, sondern Weiterentwicklung sollte im Vordergrund stehen. Dafür ist nicht noch einmal eine zweijährige Ausbildung vonnöten, sondern gezielte Qualifizierung und Beratung.
Es werden also weiterhin qualifizierte Arbeitskräfte in großem Umfang gesucht?
Ja. Es geht vor allem um die Umorientierung. Transformation wird nur erfolgreich sein, wenn wir unsere Stärken in die Transformationsrichtung lenken. Wenn die Unternehmen jetzt anfangen, die Leute in die Frührente zu entlassen, dann haben wir verloren. Firmeninterne Hilfe bei der Weiterentwicklung der Mitarbeitenden wäre sinnvoller. Einher damit sollte die Arbeitsmarktpolitik beraten und vermitteln sowie den Kontakt zu anderen Unternehmen herstellen, die womöglich ähnliche Grundqualifikationen suchen, bestenfalls in derselben Region. Natürlich kommt es auch auf das Engagement der Beschäftigten an, für sich selbst einen geeigneten Weg finden. Laut Umfragen haben viele großes Interesse, in neue Betätigungsfelder zu wechseln. Es ist wichtig, die guten Leute auf den Positionen zu haben, auf denen die Transformation gestaltet wird.
In den vergangenen Jahren war immer wieder die Rede davon, dass der Arbeitsmarkt sich von einem Arbeitgeberarbeitsmarkt zu einem Arbeitnehmerarbeitsmarkt wandelt. Wird sich das wieder in die andere Richtung drehen?
Nein, jedenfalls nicht in großem Stil. Innerhalb von 15 Jahren verliert Deutschland durch die demografische Entwicklung 7 Mio. Arbeitskräfte. Das kann zwar durch Migration und durch steigende Erwerbsbeteiligung ausgeglichen werden. Dauerhaft gehe ich aber davon aus, dass die Fachkräfteknappheit anhält, durch die Alterung der Gesellschaft und auch durch die Tatsache, dass die Transformation neue Bedarfe erzeugt. Insofern ist es wichtig, Arbeitskräfte zu entwickeln und zu halten und nicht, sie aus dem Verkehr zu ziehen.
Migration ist eine wichtige Stellschraube. Welche Auswirkungen sehen Sie, sollten syrische Fachkräfte wieder in ihre Heimat zurückkehren?
Syrer machen im Moment 0,6 % der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten aus, mit den Schwerpunkten Logistik, Produktion, Handel oder Gesundheit. Wir wissen aus früheren Erfahrungen, dass eine Rückkehr der großen Mehrheit unrealistisch ist. Wenn Menschen lange Zeit in einem Land sind und sich integriert haben, dann bleiben viele. Die Zahl der Einbürgerungen von Syrern und Syrerinnen steigt. Allein im vergangenen Jahr waren es über 75.000, Tendenz steigend. Wenn Menschen bleiben wollen und sich integriert haben, sollten wir sie dabei unterstützen. Möchten andere aber zurück und mit den Erfahrungen und Kenntnissen, die sie in Deutschland gewonnen haben, Syrien aufbauen, dann sollten wir auch das unterstützen. Einen solch begrenzten Effekt würde unser Arbeitsmarkt verkraften. Dabei sollte man hierzulande den Kontakt zu den Rückkehrern nach Syrien halten. Ein gutes Netzwerk kann zukünftig beiden Seiten nur dienlich sein.
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