Daimler-Managerin Katrin Adt: „Potenzial erkennt man schnell“
Neugierde, Analyse- und Kommunikationsfähigkeit sind für Daimler-Managerin Katrin Adt wichtige Führungskräftetugenden.
ingenieur.de: Frau Adt, was macht eine gute Führungskraft heute anders als vor 10 Jahren?
Adt: Man muss unterscheiden zwischen „Führen“ und „Managen“. Vor 10 Jahren hat man diese Unterscheidung noch nicht gemacht. Führungskräfte müssen auf der einen Seite Prozesse und Organisationen managen. Aber Führen ist etwas anderes. Führen bedeutet Orientierung geben, eine Vision und ein Leitbild entwerfen, Menschen entwickeln und dafür sorgen, dass Teams gut funktionieren. Dieser Aspekt ist in den letzten zehn Jahren stärker geworden.
Kommt diese Entwicklung speziell Frauen zugute? Immerhin wird ihnen gemeinhin mehr Empathie zugeschrieben.
Viele der Zuschreibungen, die man mit Frauen verbindet, sind Eigenschaften, die im Moment sehr relevant sind. Zum Beispiel die Fähigkeit, zu integrieren, empathisch zu sein und darauf zu achten, dass sich Mitarbeiter wohlfühlen. Das sind Bereiche, in denen Frauen stark sind. Was aber keineswegs heißt, dass Männer das nicht können. Grundsätzlich geht es immer darum, in einem Team unterschiedliche Kompetenzen, Erfahrungen und Typen zusammenzubringen.
Trotzdem steigt der Frauenanteil in Führungspositionen langsam, die Debatte um Frauenquoten hält an. Was müssen Frauen anders machen, um beruflich erfolgreicher zu sein?
Auf jeden Fall: Klar sein. Wenn eine Frau etwas möchte, dann soll sie es auch sagen. Es gibt immer wieder Situationen, wo Frauen mir sagen: „Ich würde ja gerne, aber mich fragt ja keiner.“ Dann sage ich: Das ist nicht meine Aufgabe. Es ist deine Aufgabe, dir darüber klar zu werden, was du willst, und du musst mir das sagen. Und dann kann ich beurteilen, ob es geht oder ob es nicht geht oder unter welchen Umständen es geht.
Wenn es Frauen in Führungspositionen großer Unternehmen gibt, dann meist in den Bereichen Personal, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit, manchmal auch in Recht und Vertrieb. Wann gibt es bei Daimler einen weiblichen Vorstand für Finanzen oder Technik?
Wir haben bei Daimler durchaus Topmanagerinnen in technischen Bereichen. Unsere Forschungsleiterin ist eine Frau (Anm. der Red.: Sabine Lutz, Leiterin Konzernforschung und Nachhaltigkeit, Mercedes-Benz AG). Meine Chefin, die Vertriebsvorständin Britta Seeger, ist eine Frau. Ja, das kommt. Aber es stimmt schon: Wenn ich mir unsere Entwicklung und Produktion angucke, gibt es dort in der Tendenz sehr viel weniger Frauen als in Bereichen wie HR oder Marketing.
Führungskräfte fördern gerne Mitarbeiter, die so ähnlich sind wie sie selbst. Männer fördern daher bevorzugt andere Männer, es gilt das Prinzip „Gleich und gleich gesellt sich gern“. Wie oft haben Sie jemanden eingestellt, der völlig anders ist als Sie?
Sehr oft. Zunächst geht es um die Frage, wo ein Unternehmen hin will. Und dann fragt man sich, welche Kompetenzen man in seinem Team schon hat und welche noch fehlen. Wenn Sie Innovationen anstoßen wollen, brauchen Sie ein anderes Führungsteam, als wenn sie Wachstum generieren oder Effizienz erhöhen wollen.
Wie schnell erkennen Sie, ob jemand das Potenzial zur Führungskraft hat?
Potenzial erkennt man relativ schnell. Ich habe aus der Personalberatung vier Kriterien gelernt. Das erste Kriterium ist Neugierde, das zweite Analysefähigkeit. Wie geht jemand mit Informationen um und zu welchen Schlussfolgerungen kommt er? Drittens geht es darum, auf welche Art und Weise man mit anderen kommuniziert, interagiert und sich vernetzt. Und viertens um die Frage, wie durchsetzungsstark jemand ist. Diese vier Kriterien können Sie bei einem Menschen relativ schnell erkennen. Und man kann sie auch aus den Werdegängen herauslesen. Es fängt damit an, ob jemand umgezogen ist oder die Schule gewechselt hat, sich schon mal in eine Situation begeben hat, die nicht ganz so einfach war. Oder wie jemand mit Rückschlägen umgeht, wie engagiert er ist, ob er in sozialen Netzen aktiv ist. All diese Dinge liefern wichtige Hinweise.
Dann müssten Sie sich selbst aber einen Minuspunkt geben. In den sozialen Medien sind Sie so gut wie gar nicht präsent. Warum machen Sie sich so rar im Netz?
Soziale Medien sind in der Tat ein Thema, um das ich mich kümmern sollte. Es ist nur so, dass man in den sozialen Medien permanent dranbleiben und immer wieder etwas posten und seine Profile aktualisieren muss. Das habe ich ehrlicherweise bislang vernachlässigt.
Was würden Sie im Vorstellungsgespräch auf die Frage antworten: Was sind Ihre Schwächen?
Jeder hat Schwächen, darum geht es gar nicht. Es geht darum, sich weiterzuentwickeln. Mir gefällt die 80/20-Regel. Sie besagt, dass man in einer neuen Aufgabe 20 % Bekanntes wiederfinden sollte und 80 % Unbekanntes. So hat man die Möglichkeit zu lernen, zu wachsen und bleibt nicht immer auf der gleichen Schiene stecken. Ich bin zum Beispiel nicht sonderlich technikaffin. Wenn man mich zum IT-Leiter machen würde, müsste ich eine ganze Menge lernen. Die Frage ist aber immer: Habe ich Lust, das zu lernen?
Sie sind im Jahr 2013 von Daimler zur Personalberatung Egon Zehnder gewechselt und wurden 2014 wieder von Daimler abgeworben. Hat der Konzern gemerkt, was er an Ihnen hat, nachdem Sie weg waren?
Nein, das war Glück. Als ich Daimler verlassen habe, bin ich nicht davon ausgegangen, dass man mich zurückholen wird. Ich bin gewechselt, weil ich mich mit Personalthemen beschäftigen wollte. Und ich hatte den Mut zu sagen: Ich schließe das eine ab und fange das andere an. Dass mich Daimler nach anderthalb Jahren zurückgeholt hat, war nicht geplant.
Sie haben 1999 bei Daimler in Belgien als Assistentin angefangen, waren dann unter anderem für die Personalentwicklung verantwortlich und Chefin der Kleinwagensparte Smart. Jetzt sind Sie für das konzerneigene Vertriebsnetz zuständig. Ihre Vorgängerin auf dieser Position, Sabine Kohleisen, startete ihre Karriere als Autoverkäuferin und ist jetzt Personalvorstand der Mercedes-Benz AG. Wäre das nicht ein logischer nächster Karriereschritt für Sie?
Für mich ist das Ziel, etwas gestalten zu können. Ich bin gut im Erfühlen von Opportunitäten. Wenn sich irgendwo eine Chance auftut, von der ich begeistert bin, dann hebe ich die Hand. Das ist ein Tipp speziell auch für Frauen: zugreifen, wenn sich die Möglichkeit ergibt. Dafür muss man aber auch offen sein und bleiben. Ich habe viele Leute erlebt, die sehr fixiert waren auf ein bestimmtes Ziel. Dann bekommen sie manchmal Scheuklappen und sehen gar nicht, dass es links und rechts Möglichkeiten gibt, die auch ganz spannend wären.
Was würden Sie heute machen, wenn Sie nicht bei Daimler gelandet wären?
Ich kann mir sehr viel vorstellen. Vielleicht hätte ich mit meinem Mann eine Kneipe auf Wangerooge. Was mir am Herzen liegt, ist das Thema Chancengleichheit in der Bildung. Mir wäre jedenfalls nicht langweilig, so viel steht fest.
Im Juli vergangenen Jahres endete für sie nach zehn Monaten die Zeit als Smart-Chefin. Smart ging 2019 in einem Joint Venture mit dem chinesischen Automobilhersteller und Daimler-Großaktionär Geely auf.
Katrin Adt leitet seit Juli 2019 das europaweite Niederlassungsnetz von Mercedes-Benz Cars beim Stuttgarter Konzern. Dabei wurde der deutsche und europäische Teil des konzerneigenen Vertriebsnetzes (Own Retail) zusammengeführt. Katrin Adt ist damit Chefin von 16 000 Mitarbeitern in zwölf Märkten an 200 Standorten.
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