Führen in und nach der Krise: Was brutaler Kontrollverlust mit Führungskräften macht
Noch sind wir mittendrin in der Krise – doch auch danach wird es in Unternehmen wohl nicht mehr so sein wie vorher. Was Führungskräfte aus dem Jahr mitnehmen sollten und was sie schon aus der Corona-Krise gelernt haben, besprechen wir mit Katja Nagel, Geschäftsführerin von cetacea. Fakt ist: Führung 4.0 hat ganz andere Ansprüche.
ingenieur.de.: Was haben die Unternehmen während beziehungsweise aus der Krise gelernt?
Katja Nagel: Ganz übergreifend gesagt, haben Unternehmen auf jeden Fall Veränderungen erfahren, vor allem, was drastischste und schnelle Maßnahmen angeht. Normalerweise sind wir alle ja der Meinung, dass Veränderungsprozesse lange brauchen. Bei extremen Situationen, wie sie jetzt die Corona-Pandemie aufgezeigt hat, kann man aber gar nicht so lange planen. Wir müssen insgesamt mutiger werden und auch über Szenarien nachdenken, die weiter ab sind von der Realität. In der Regel wird ja zunächst ein Prozess aufgesetzt, die Mitarbeiter werden informiert, es wird diskutiert und so weiter. Plötzlich stellt man fest, dass es auch anders geht, wenn der Mensch muss. Wir sind ja als Spezies ein extrem schnelles und flexibles Wesen. Ich habe zum Beispiel von vielen Unternehmen gehört, dass die Umsetzung des Homeoffice erstaunlich gut geklappt hat. Skepsis darf also durchaus mal über Bord geworfen werden. Das ging ja quasi über Nacht, dass wir alle im Homeoffice saßen.
Homeoffice: Die 5 wichtigsten Vor- und Nachteile
Sie haben das Stichwort “Mut” genannt und dass man auch als Führungskraft in der Krise mutiger agieren musste. Haben Sie da ein konkretes Beispiel?
Konzerne wie Mittelständler mussten zum Beispiel feststellen, dass viele reguläre Produkte in der Nachfrage einfach gesunken sind. Nehmen wir einen Hersteller für OP-Material. Zahlreiche Operationstermine wurden aufgrund der Corona-Behandlungen verschoben. Hier haben Unternehmen aus anderen Branchen großen Mut bewiesen und haben einfach entschieden, umzusatteln und Masken in ihren Fabriken herzustellen. Da war schnell Bewegung drin. Mut ist ein zentrales Thema. Wenn Führungskräfte nicht gelernt hätten, mutiger zu agieren, wäre das Jahr sicher noch ganz anders verlaufen. Sich zu fragen, ob man Homeoffice kann oder nicht, war einfach nicht angesagt. Mut ist die Basis für Veränderung.
Führen in der Krise: So gelingt es
Welchen Entwicklungsprozess haben Führungskräfte vollzogen? Ist mehr Empathie da?
Zuerst haben die Führungskräfte einen brutalen Kontrollverlust erlebt. Von jetzt auf gleich war man nicht mehr Herr der Lage. Dann musste man als Führungskraft natürlich näher ran an den Mitarbeiter, alleine durch Homeoffice und Co. Meine persönliche Meinung ist, dass es Dinge gibt, die sich in der Krise verstärken und nicht verändern. Das bezieht sich auf die Persönlichkeit. Sprich, wenn jemand empathisch ist, fällt es ihm leichter, hier eine Schippe drauf zu legen. Für jemanden, der das gar nicht gut kann, ist das auch in der Krise viel schwerer. Wenn man schon mutig ist, kann man auch schnell noch mutiger sein und so zieht sich das durch. Ich denke schon, dass Führungskräfte zum Teil über sich hinausgewachsen sind, ich bezweifle aber, dass sie das alle so bewusst gemacht haben. Das ist für mich der nächste Schritt, daraus jetzt eine Nachhaltigkeit zu generieren. In Krisensituationen greifen Menschen ja eher auf Bewährtes zurück. Wenn man sich im Hamsterrad befindet, steigt man ja nicht aus und sucht sich eine Schaukel. Jetzt ist es an der Zeit, dass sich Führungskräfte zusammensetzen und schauen, was sie aus 2020 mitnehmen und wie sich aus den Learnings eine nachhaltige Strategie für 2021 ableiten lässt. Bewusst Gedanken machen, dafür sollte sich jetzt Zeit genommen werden – auch wenn das schwer ist.
Also würden Sie als Strategie empfehlen, um diese angesprochene Nachhaltigkeit umzusetzen, dass sich Führungskräfte bündeln und austauschen?
Unbedingt! Plattformen zu schaffen, auf denen dieser Austausch möglich wird, sind wichtig. In Führungsteams sollte voneinander gelernt werden. Das wird viel zu selten gemacht. Lernen findet zum Großteil immer noch “im stillen Kämmerlein” statt, das ist ja auch oft an den Universitäten noch so, wir sind so sozialisiert. Wir müssen verstehen, dass Lernen in der Gruppe einen riesigen Vorteil hat, weil eine Auseinandersetzung stattfindet. Wir haben ja zudem eine ausgeprägte Defizitorientierung in unserer Gesellschaft. Wichtig ist, auch mal auf das halbvolle Glas zu schauen, anstatt auf das halbleere. Nur daran zu denken, was in 2020 alles schrecklich gewesen ist, bringt uns nicht weiter. Unternehmen sind einen Marathon gelaufen und haben rückblickend doch sehr viel geschafft. Fehler sollten sich Führungskräfte aber auch verzeihen, nicht jeder hat dieselben Skills.
Wie motivieren Führungskräfte die Mitarbeiter für das „New Normal“?
Wichtig ist die Auseinandersetzung, die ich gerade angesprochen habe. Danach können die Führungskräfte in ihre Teams zurückkehren und gemeinsam in den Austausch gehen. In so einer Sitzung sollten dann auch weitere Ziele definiert werden, wie man mit dem sogenannten “New Normal” oder “New Work” umgehen kann. Das Zielbild kann sich dabei auch durchaus verändern. Nehmen wir das Beispiel eines hybrides Modells von Präsenzzeit und Homeoffice: Führungskräfte sollten durchaus selbst Farbe bekennen, wie es ihnen damit geht und ermöglichen, dass Mitarbeiter Feedback geben können. Eine Möglichkeit kann auch sein, einen Mitarbeiter zu bestimmen, der in Meetings darauf achtet, dass jeder zu Wort kommt. Mitarbeiter fühlen ja auch die Ohnmacht. Hinzu kommt noch das Gefühl, dass man ja nicht groß mitgestalten könne. Wenn man aber genau das ändert, wird daraus eine ganz andere Geschichte. Motivation entsteht durch den Austausch und die Option, sich selbst einzubringen.
Wie werden Ingenieure 2030 arbeiten?
Wie sieht es denn bei Unternehmen aus, die eher konservativ aufgestellt sind, und womöglich nach der Krise Zugeständnisse wie Homeoffice wieder abschaffen. Denken Sie, dass einige Mitarbeiter dann auch den Betrieb verlassen und sich dem “New Normal” eher zuwenden?
Das glaube ich tatsächlich. Das ist ein Kardinalfehler, einfach zurück zu wollen. Diese Zeit ist auch gar nicht mehr zurückzudrehen und wir haben doch eine ganze Reihe positiver Erfahrungen gesammelt. Wer ein ewig Gestriger in seiner Kultur sein will, den wird es kalt erwischen. Die Leistungsträger, die jetzt Blut geleckt haben und Veränderungen spannend finden, werden keine Rückkehr zu alten Strukturen wollen. Der einzige Weg ist nach vorne! Unternehmen müssen sich schütteln und rütteln und nicht auf den Zug hinten aufspringen, sondern den eigenen Weg nach vorne definieren. Für das eine Unternehmen kann das mehr Homeoffice, für die andere Firma weniger Heimarbeit bedeuten. Chancen des Veränderungsmanagements sollten inhaliert werden und nachhaltig gemacht werden. Wir haben ja generell viel Wettbewerb zu erwarten, auch aus Asien. Wir müssen uns in Europa den Veränderungen stellen. Da könnte Corona ein Katalysator sein. Zurückzugehen würde bedeuten, dass Chancen verpasst werden. Vor allem jüngere Kollegen würden sich wohl eher anderen Betrieben zuwenden.
Eine Prognose: Wie sieht für Sie die Führung der Zukunft aus?
Wenn wir über Führung 4.0 reden, werden wir nicht mehr in Abteilungen arbeiten, sondern verstärkt in Projekten. Ich gehe davon aus, dass sich 80 % der Arbeitszeit in Projekten abspielen wird. Projektleiter werden nicht automatisch Abteilungsleiter sein, das heißt auch, dass Hierarchien extrem aufgeweicht werden. Ziele werden die Oberhand gegenüber Rollenbeschreibungen gewinnen. Wir werden auch erleben, dass Menschen mehr Wert darauf legen, verstanden als nur angeleitet zu werden. Das betrifft sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter. Ein persönlicher Austausch wird wichtiger. Führungskräfte, die auch menschlich was zu geben haben, werden eine zentrale Rolle spielen. Werte werden ebenfalls einen stärkeren Fokus bilden. Führungskräfte werden über ihre fachliche Expertise, aber auch über ihr Vorbildverhalten führen. Führungskräfte stehen dann auch für Werte, denen man gerne folgen möchte.
Also wird die Identifikation mit dem Unternehmen wichtiger?
Absolut. Man hat ja auch Ansprüche an die Führungskraft. Man möchte ja nicht von jedem geführt werden. Eine Führungskraft, die mit ihren Angestellten auf Augenhöhe umgeht und Macht nicht missbraucht, steht für die Kernpunkte der neuen Führung. Natürlich gehört da auch der ideale Umgang mit digitalen Tools dazu. Menschen können über viele Wege miteinander arbeiten.
Danke für das Interview, Katja Nagel!
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