Strategie 12.04.2013, 10:59 Uhr

Führungskräfte auf Mission Menschenkenntnis

Ein Ex-Agent bringt nach eigenem Bekunden Führungskräften bei, wie man Mitarbeiter, Kunden und Geschäftspartner blitzschnell durchschaut. Zu wissen wie andere ticken, heißt auch, deren Tricks und Taktiken im Berufsalltag zu durchblicken.

Leo Martin war zehn Jahre lang für einen deutschen Geheimdienst in heikler Mission unterwegs. „Mein Job war es, Menschen aus dem Milieu der Organisierten Kriminalität als Vertrauensleute zu gewinnen“, erzählt er. „Ich bin trainiert worden, Menschen, ihr Verhalten, ihre Motive, in Sekundenschnelle zu analysieren und mein Verhalten genau daraufhin abzustimmen.“

Der Mann hat seither eine Mission: Die Mission Menschenkenntnis. Denn Martin begreift seine Fähigkeiten nicht nur als nötiges Handwerkszeug für Agenten, sondern auch als hilfreich im Berufsalltag. Jobaspiranten, Kunden, Vorgesetzte und Geschäftspartner blitzschnell einordnen zu können, kann Fehlentscheidungen und Konflikte vermeiden helfen, Mitarbeiterführung geschmeidiger machen sowie manchen Auftrag sichern. Wie man den jeweils anderen und seine Absichten scannt, beschreibt Martin in seinem Buch „Ich durchschau Dich!“.

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Inzwischen arbeitet der Ex-Agent als Führungskräftetrainer und zieht immer wieder Parallelen zu seinem früheren Job. Lange zaudern durfte er da nicht, wenn es darum ging, fragwürdige Klientel als V-Männer auf seine Seite zu ziehen. „Ich hatte natürlich nicht die Möglichkeit, ellenlange Persönlichkeitstests zu machen, 150 Fragen zu stellen und die Antworten dann auch noch mit statistischen Werten abzugleichen“, erzählt Martin, der nichts gegen wissenschaftliche Persönlichkeitstests einzuwenden hat. Nur in der nachrichtendienstlichen Personalrekrutierung wie im Berufsalltag ist für so viel Tiefe und Analyse keine Zeit. Da geht es um Ad-hoc-Entscheidungen, bei denen das Bauchgefühl mitunter trügerisch sein kann. Wer weiß, was sein Gegenüber antreibt, was ihm wichtig ist, welche verdeckten Ziele er verfolgt, der wird bessere Entscheidungen treffen. Martin: „Wer andere durchschaut, kommuniziert erfolgreicher, ohne Missverständnisse, versteht Menschen besser, kann Hindernisse frühzeitig erkennen und erreicht seine Ziele schneller.“

Martin behauptet, Menschenkenntnis sei keine Gabe, sondern ließe sich trainieren. Etwa, indem man sich für die Merkmale von drei Grundtypen sensibilisiert. Da wäre erstens der „Machertyp“. Ihm sind schnelle Ergebnisse wichtig, er trifft Entscheidungen zügig, stets im Interesse der Sache. Der Macher tritt selbstbewusst auf, spricht in kurzen prägnanten Sätzen und wird sofort ungeduldig, wenn man nicht ohne Umschweife auf den Punkt kommt. „Ihn von mir oder einem Produkt oder Projekt zu überzeugen, indem ich ihn mit Detailwissen, Daten und Fakten überhäufe, führt auf den Holzweg“, weiß Menschenkenner Martin. „Einem Macher muss ich zeigen, wie er durch mich und meine Hilfe weiterkommt. Und zwar schnell.“

Zweiter Grundtyp ist der „Kontakter“, für den die Beziehungsebene relevanter ist als schneller Erfolg. Er ist gesprächig, gesellig, ihm ist Kollegialität wichtig. Er ist sehr emotional, teamorientiert und berücksichtigt die Interessen anderer. Martins Rat: „Ihm sollte ich mehr Zeit geben, hier und da mal etwas Persönliches von mir preisgeben. Denn der Kontakter braucht Geborgenheit und Zuspruch, um sich wohlzufühlen.“ Für den „Analytiker“, den dritten Grundtyp, wäre das der blanke Horror, überflüssige Gefühlsduselei. Dieser Typus dürfte unter Ingenieuren weit verbreitet sein. Er ist sehr sicherheitsorientiert, sachlich, überlegt, präzise und geordnet, ihm sind Details, Zahlen, Fakten wichtig. Sein Leben hat Struktur und Planung. Martin: „Der Analytiker wirkt vergleichsweise zurückhaltend, still, ernsthaft und nachdenklich.“ Ihn motiviert die Qualität einer Sache, die Perfektion und Vollständigkeit. Martin: „Reißt man ihn aus diesem System, wird man bei ihm scheitern.“ Mit diesen drei Grundtypen (Gemütstyp, Machertyp, Verstandestyp) hält es auch der Schweizer Coach Martin Betschart und verweist darauf, dass sich daraus Mischtypen ergeben, die sich wiederum in sieben Varianten beschreiben lassen, um das Ganze nicht allzu komplex werden zu lassen. „Wie jemand tickt, lässt sich mit Training sekundenschnell erfassen. Aber das funktioniert nie hundertprozentig. Vielmehr geht es darum, Tendenzen zu erkennen“, sagt Betschart.

Das sei umso wichtiger, wenn es um Führungspositionen gehe, denn dann entscheidet die Konstellation: „Einen logisch-rational strukturierten Ingenieur eher gesellig-emotionale Menschen führen zu lassen, wird in der Katastrophe enden“, ist der Berater überzeugt. Das zu erkennen und ein Gefühl dafür zu bekommen, wie andere ticken, setzt aber eines voraus: Selbsterkenntnis, wissen also, wie man selbst tickt.

Dass von dem Gespür für das Wesen des Gegenübers letztlich ein erfolgreiches Berufsleben abhängt, sieht auch Charakterforscher und Managementtrainer Walter Rotter so. Andere zu durchschauen, heißt Tricks, Taktiken und Strategien zu erkennen. Und der Charakter wiederum entscheide über eine solide Geschäftspolitik: „Die zum Erfolg führenden Charaktereigenschaften sind Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Fairness, Kreativität, Loyalität und Offenheit.“ Welchen Charakter ein Chef oder ein dafür Auserkorener hat, ließe sich analytisch erarbeiten. Dafür greift Rotter allerdings nicht zu einer Blitzanalyse à la Agentenart, sondern zu einer ausgefeilten wissenschaftlichen Methode.

Wer ohne wissenschaftlichen Tiefgang seine Menschenkenntnis schärfen und daraus Kapital im Berufsalltag schlagen möchte, dem gibt Ex-Agent Martin einen einfachen Rat mit auf den Weg: Das Credo „Behandle jeden so, wie du selbst behandelt werden möchtest!“ hat ausgedient. Wer Erfolg haben möchte, muss genau auf sein Gegenüber achten und diesem Credo folgen: „Behandle jeden so, wie er selbst behandelt werden möchte!“  CHRIS LÖWER

Ein Beitrag von:

  • Chris Löwer

    Chris Löwer

    Chris Löwer arbeitet seit mehr als 20 Jahren als freier Journalist für überregionale Medien. Seine Themenschwerpunkte sind Wissenschaft, Technik und Karriere.

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