Ikigai – japanische Tradition als Leadership-Plan
Kann das traditionelle japanische Konzept des Ikigai Führungskräften Wege aus der anhaltenden Wirtschaftskrise aufzeigen?
Bodo B. Schlegelmilch, Dekan der Wiener Wirtschaftsuniversität WU Executive Academy, ist überzeugt davon, dass das jahrhundertealte Ikigai-Konzept gerade jetzt als Leadership-Kompass in der Unternehmensführung dienen kann. Den Führungskräften kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, denn es ist nicht nur wichtig, dass sie das Konzept selbst verinnerlichen: Sie müssen es zum einen auf konkrete Ansätze herunterbrechen, die vom Team umgesetzt werden können. Zum anderen müssen sie stets dafür sorgen, dass „das neue alte“ Ikigai-Modell zu den betriebswirtschaftlichen Zielen des Unternehmens passt.
Inhaltsverzeichnis
Was macht das Ikigai-Modell aus?
„Ikigai hat seine Wurzeln in der japanischen Kultur und Philosophie und existiert seit Jahrhunderten. Es ist ein über Generationen gewachsener Ansatz, der tief in der japanischen Denkweise über Lebenssinn und Zufriedenheit verwurzelt ist“, erklärt Schlegelmilch und betont: „Ikigai ist weniger ein expliziter Bestandteil der japanischen Unternehmenskultur, sondern spiegelt sich implizit in Prinzipien wie Lebenszeitbalance, Teamarbeit und der Suche nach sinnvoller Arbeit wider“. Als Maßstab für Entscheidungen der Führungsebene dient die eigene Werteorientierung. Es mag ein wenig banal klingen, aber abseits aller modernen, komplexen Führungstheorien greift Ikigai schlicht auf das „Mensch-Sein“ im Allgemeinen zurück, sagt der Dekan der Wiener WU Executive Academy: „Was hier gilt, gilt ebenso für Self-Leadership und das Führen von Teams“.
Was bedeutet der Begriff auf deutsch?
Iki“ bedeutet so viel wie „Leben“, „kai“ bezeichnet den Sinn, einen Effekt, ein Ergebnis oder einen Nutzen. Die Zusammensetzung „Ikigai“ kann also als „Lebenssinn“ oder „das, wofür es sich lohnt, zu leben“ übersetzt werden. Als praktische Lebensphilosophie bedeutet es im privaten Alltag auch, in kleinen Dingen, Taten und Momenten Sinn zu finden, zu wissen, wofür man tagtäglich morgens aufsteht. In der Übertragung auf den Berufsalltag bedeutet Ikigai zum einen, die eigene Arbeit und die des Teams als sinnhaft zu erleben und im Einklang mit den Werten zu arbeiten, die einem selbst wichtig sind. „Letztendlich geht es darum“, so Bodo B. Schlegelmilch, „dass man Freude an dem hat, was man tut. Führungskräfte sollten sich fragen, warum sie das tun, was sie tun, und ob es ihnen auch tatsächlich Erfüllung bringt.“
Glück und Profit – passt das zusammen?
Schlegelmilch betont: „Im Gegensatz zu vielen westlichen Leadership-Modellen fokussiert Ikigai stark auf die persönliche Sinnfindung als Grundlage für nachhaltiges Handeln. Ikigai beginnt mit der Frage nach der inneren Motivation und bringt diese in Einklang mit den Zielen des Unternehmens – eine ganzheitlichere und werteorientierte Perspektive“. Doch wie sieht es aus, wenn die eigenen Werte nicht mit den Unternehmenszielen, nicht mit der Unternehmenskultur zusammenpassen? Wenn eine Führungskraft zum Beispiel so stark auf Harmonie setzt, dass das betriebswirtschaftliche Ergebnis aus dem Blickfeld gerät? Wenn, bewusst sarkastisch formuliert, unternehmerische Leadership zur individuellen Selbsterfahrung mutiert?
Vermutlich bleibt im Extremfall nur eine Kündigung – ob ohne oder mit Ikigai. Bodo B. Schlegelmilch sagt zu dem möglichen Zielkonflikt: „Harmonie darf nicht zulasten betriebswirtschaftlicher Ergebnisse gehen. Führungskräfte sollten daher Sinnorientierung mit klaren Zielvorgaben kombinieren. Die Integration von Ikigai erfordert eine Balance zwischen individueller Sinnsuche und wirtschaftlicher Verantwortung – beide Seiten müssen miteinander verknüpft werden“.
Wie wird Ikigai konkret in Leadership umgesetzt?
Aus Ikigai lassen sich unter anderem Konzepte ableiten wie
- Self-Leadership
- Purpose-Driven Leadership
- Responsible Leadership
- Positive Leadership
- Job Crafting.
Schlegelmilch sieht dies klar positiv: „Diese Konzepte setzen auf die Balance zwischen individuellen Bedürfnissen und Unternehmenszielen, was zu einer authentischen und nachhaltigen Führung beiträgt. Führungskräfte, die den Sinn in ihrem Leadership erkannt haben, sind authentischer und inspirieren ihre Teams dazu, ebenfalls einen sinnorientierten Weg einzuschlagen“.
Motivation durch Ikigai
Wer sich mit Ikigai auseinandersetzt, kommt an einer Selbstreflexion nicht vorbei. Mitarbeitende müssen dazu nicht bereit sein. Es ist Aufgabe der Führungskräfte, klar greifbare Ansätze zu entwickeln und darüber hinaus eine Kultur zu schaffen, in der diejenigen, die sich in diesem Bereich weiterentwickeln wollen, die Möglichkeit dazu haben. Ansätze wie das Job Crafting schaffen und fördern, so Schlegelmilch, konstruktive Aspekte der Arbeit sowohl mit dem Team als auch im Team:
- sinnstiftende Arbeitsumgebungen
- persönliche Verantwortung
- individuelles Engagement
- intrinsische Motivation.
Zu welchen Unternehmen passt Ikigai am besten?
Schlegelmilch meint: „Ikigai passt zu modernen, werteorientierten Unternehmen, die auf Purpose und Nachhaltigkeit setzen“. Er weiß auch: „Es kann jedoch in hierarchischen oder rein ergebnisorientierten Strukturen herausfordernd sein“. Dennoch hält er solche Gegensätze für lösbar: „Der Schlüssel liegt in der Anpassung: Unternehmen können Ikigai-Elemente wie Job Crafting oder intrinsische Motivation in ihre Leadership-Programme integrieren, ohne ihre Strukturen komplett zu verändern“.
Die vier zentralen Fragen des Ikigai |
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Ikigai für Ingenieurinnen und Ingenieure
Der WU-Dekan findet: „Gerade Ingenieuren und Technikern kann Ikigai dabei helfen, eine tiefere Verbindung zwischen ihrer Arbeit und ihrem persönlichen Sinn zu finden. Es fördert die Innovationskraft, indem es zeigt, wie technische Lösungen gesellschaftliche Herausforderungen wie den Klimawandel bewältigen können“.
Ikigai in einer BANI-Welt
Anders als der Begriff Ikigai ist BANI nicht japanischen Ursprungs, sondern die Abkürzung für vier englischsprachige Begriffe, die die zunehmende Unsicherheit der modernen Arbeitswelt beschreiben:
- Brittleness (Brüchigkeit)
- Anxiousness (Verunsicherung)
- Non-linear (Nicht-Linearität)
- Incomprehensible (Unverständlichkeit).
Schlegelmilch beobachtet: „Diese Unsicherheit kann bei Führungskräften zu einer Art „Angststarre“ führen, die durch die Fülle an Informationen und Desinformationen und einer stetig steigenden Workload noch weiter verstärkt werden. Es geht darum, inneren Fokus und Motivation zu finden. Ikigai bietet hier eine zeitlose, aber hochrelevante Lösung“.
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