Strategie für Mittelstand 19.12.2024, 08:00 Uhr

Marantec-CEO: „Fachkräftemangel birgt Chancen“

Die Boomer gehen in Rente, und nun? Marantec-CEO Kerstin Hochmüller setzt auf mehr Kooperation, um dem Fachkräftemangel zu begegnen.

Kerstin Hochmüller setzt beim Antriebshersteller Marantec in Ostwestfalen bereits seit einigen Jahren auf das Konzept Open Champion. So ließe sich der Fachkräftemangel lindern und Mittelständler hätten im globalen Wettbewerb mehr Chancen. Foto: Felix Niekamp

Kerstin Hochmüller setzt beim Antriebshersteller Marantec in Ostwestfalen bereits seit einigen Jahren auf das Konzept Open Champion. So ließe sich der Fachkräftemangel lindern und Mittelständler hätten im globalen Wettbewerb mehr Chancen.

Foto: Felix Niekamp

VDI nachrichten: Frau Hochmüller, alle sagen, es fehlen Fachkräfte und es gehen zu viele Leute in Rente. Sie sagen, das birgt auch Chancen. Wie kommt das?

Kerstin Hochmüller: Der Fachkräftemangel bietet Chancen, wenn er von Unternehmen richtig angegangen wurde. Denn sind wir mal ehrlich: Die demografische Entwicklung ist lange bekannt, die Art und Weise, wie wir arbeiten wollen, hat sich durch Corona massiv verändert. Wir wurden gezwungen, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten. Der Konkurrenzgedanke ist bei uns nahezu verschwunden, wir sind jetzt ein Open Champion statt eines Hidden Champion.

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Das ist unser Leitstern geworden, den nun auch andere Unternehmen so sehen. Der Gedanke des Kooperierens, des Zusammenarbeitens war ursprünglich natürlich durch ökonomische Überlegungen bedingt. Die Idee dahinter ist einfach: Wir nutzen Kapazitäten gemeinsam und sind dadurch zusätzlich nachhaltiger. Wir sorgen gemeinsam für Effizienz, weil beispielsweise Komponenten standardisiert und gemeinsam produziert werden.

Und der größte Effekt ist: Wir teilen uns Fachkräfte. Wenn wir kooperieren und uns die Fachkräfte im Bereich Digitalisierung und Nachhaltigkeit teilen, brauchen wir weniger Leute und müssen auch nicht darüber nachdenken, ob wir jemanden abwerben. Wenn man die Dinge gemeinsam macht, verringern sich die Bedarfe an Mitarbeitern. Der Vorteil des kooperativen Ansatzes ist also: Wir sind effizienter, nachhaltiger und brauchen weniger Leute dafür. Es gibt aber noch einen weiteren Punkt.

Was wäre das?

Automatisierung. Die Digitalisierung und Vernetzung bieten die große Chance für produzierende Unternehmen, Tätigkeiten zu automatisieren, die, wovon wir ausgehen, in Zukunft kein Mensch mehr machen möchte. Das trifft besonders auf unsere Produktion zu. Wir sind dabei, die Digitalisierung der Automatisierung voranzutreiben und befassen uns ebenso intensiv mit dem Thema Robotertechnik. Dank der Robotik machen wir Berufe attraktiver. Wir können einem Mitarbeiter sagen: Hier ist der Roboter, bitte programmiere ihn. Gleichzeitig sind dann insgesamt weniger Arbeitskräfte nötig.

Schade ist, dass wir anscheinend den Druck für diese Entwicklungen erst brauchen. Ohne funktioniert es wohl nicht. Es ist ja kein Hirngespinst, dass diese Lösungen uns verbessern werden. Doch dafür müssen Unternehmen einfach miteinander reden und zusammenarbeiten. Natürlich können wir mit unserem Konzept der Kooperation, dem Open Champion, bisher auch nur bedingt den Fachkräftemangel lindern, aber immerhin ließen sich schon einige Lücken dadurch kompensieren. Das macht mir Mut.

Wie kann ich mir das vorstellen, leihen Sie sich untereinander Arbeitnehmer aus?Eins vorab: Wir schicken unsere Leute nicht einfach so zum Wettbewerber und sagen: „Auf Wiedersehen, ihr macht das schon.“ Sondern eine Kooperation muss genau geplant und auch gemanagt werden. Ich gebe mal ein Beispiel: Wir kooperieren aktuell mit einem Wettbewerber im Vertrieb. Wir haben zusammen festgestellt, dass wir gemeinsam mehr verkaufen könnten, alleine uns aber jeweils die Zugänge und auch das Know-how fehlen.

Das klingt dann einfach, gemeinsam mehr Produkte zu vertreiben, aber es geht ja um mehr. Zum Beispiel um Daten und Produktentwicklungen.Da gilt es vorab abzustecken, was der jeweilige Partner kriegt und nutzt, sowie vice versa. So gilt es, Ängste abzubauen und Unklarheiten vor Projektstart zu beheben, erst dann geht es in die Zusammenarbeit. Und so eine Zusammenarbeit ist ein Auf und Ab, das stellen wir auch mit Start-ups ständig fest. Das gefällt nicht jedem in unserer Belegschaft und hat auch dazu geführt, dass einige nicht mehr für uns arbeiten wollten.

Das ist dann für mich okay, wenn sich die Veränderungen für manche zu groß anfühlen.Wir unterstützen unsere Mitarbeitenden so weit wir können, aber da gibt es Grenzen. Wir haben begleitende Programme mit Workshops aufgesetzt, wo wir unsere Mitarbeitenden zu einem offeneren Miteinander bringen. Das läuft bei uns unter dem Thema „Open Mind“. Das hilft zu verstehen, wie sie geteiltes Wissen anwenden können, netzwerken, Informationen weitergeben, Vertrauen fassen und die Kompetenzen anderer erkennen.

„Es hängt davon ab, wie flexibel Menschen sind. Es ist ein Lernprozess für alle Seiten“

Sind es vor allem ältere Mitarbeiter, die damit Probleme haben?

Nein. Das ist eine Haltung, die nicht am Alter hängt. Es gibt auch junge Menschen, die keine Veränderung wollen. Da bin ich zwar auch verwundert und denke: Hey, wieso findest du das denn jetzt schwierig?

Aber das gilt es auch so zu akzeptieren. Es hängt aber auch vom Jobprofil ab, wie flexibel Menschen sind. Ich verstehe zum Beispiel sehr, dass sich unser Vertrieb am Anfang schwertat. Plötzlich kooperieren wir mit einem Wettbewerber, den wir jahrelang „bekämpft“ haben. Die fragen sich dann: Wie soll ich das dem Kunden erklären? Wie gehe ich mit den Konkurrenten auf einmal um? In anderen Bereichen ist Kooperation logischer: Zum Beispiel im Finanz- und Produktionsbereich ist das Verständnis ausgeprägter. Die Mitarbeitenden sehen eben auch direkt die Vorteile. Da fällt der Lernprozess leichter, aber wir dürfen nie vergessen: Es ist ein Lernprozess für alle Seiten und es braucht manchmal schlichtweg auch die nötige Zeit dafür.

Sie leben das Modell Open Champion schon ein paar Jahre und bieten jetzt auch eine Plattform für andere Firmen an.

Der Open Champion ist für uns ein Leitbild, das mit dem bisherigen Wertegerüst des deutschen Mittelstands bricht und das wir aus uns heraus seit mehr als zehn Jahren verfolgen. Ein von uns aufgezeigter Weg, den alle Mittelständler für sich selbst gehen können: Der Weg vom Hidden zum Open Champion. Neben den Säulen Leadership und Open Innovation ist das Thema Kooperationen eine wichtige Säule. Dabei geht es uns vor allem um das Co-Kreieren mit Start-ups und anderen Mittelständlern, um unsere Geschäftsmodelle immer wieder zu stressen und neue Erkenntnisse zu gewinnen, die uns zukunftssicherer aufstellen.

Was genau ist Open Champion denn?

Open Champion ist ein eigenständiges Unternehmen, das ich mit drei Mitgesellschaftern führe. Konkret bringen wir Unternehmen zusammen, die Geschäftsideen in einem kurzen Zeitraum durch Co-Creation validieren. In diesem Prozess geht es von der Entwicklung einer Geschäftsidee bis hin zur Entwicklung des Produktes in Form eines Prototyps. Unser erstes Projekt ist ein Solardachstein. Gemeinsam mit dem Company Builder wattx entwickeln wir das Geschäftsmodell eines Solardachsteins in einem Co-Creation-Prozess. Das Produkt entwickeln wir zusammen mit unseren Ingenieuren. Die Validierung und Entwicklung sind fast abgeschlossen. Im nächsten Schritt geht es darum, das Produkt und Modell auf dem Markt zu platzieren.

Wir möchten zeigen, dass es Möglichkeiten gibt, Wirtschaft anders zu denken und vor allem anders zu machen. Es ist möglich, dabei effizient zu sein und durch Kooperationen Innovationen zu schaffen und umzusetzen. Unsere Vision ist es, dass wir neue Standards für das Wirtschaften entwickeln, in denen Unternehmen gemeinsam produzieren, Ressourcen geteilt werden und Energie gespart wird.

Ein Beitrag von:

  • Claudia Burger

    Claudia Burger

    Claudia Burger ist Redakteurin bei VDI nachrichten. Ihre
    Fachthemen sind Karriere, Management, Arbeitsmarkt, Bildung, Gesellschaft und Arbeitsrecht. 

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