„Mode hat viel mit Technik zu tun“
Einen ganz besonderen Mut zur Technik hat das Fashionunternehmen Gerry Weber. Ob Einsatz von CAD-Schnittsystemen, IT-Durchdringung im Verkauf oder RFID-Einführung, die Ostwestfalen waren und sind immer wieder vorne mit dabei. „Nur mit Hightech ist die Komplexität der Modebranche zu beherrschen“, weiß David Frink, Vorstand für Produktion, Logistik und IT.
In der Zentrale der Fashionfirma ist man stolz: „Gerry Weber findet genau hier statt“, erklärt David Frink, Vorstand Produktion, Logistik und IT. Das Unternehmen steht für fünf Marken – von der Hauptmarke Gerry Weber über die jüngere Linie Taifun bis hin zu Samoon by Gerry Weber, der Kollektion für „die modische Frau mit Anschlussgröße“ (ab Größe 40), wie es im Hause formuliert wird. In Halle ist alles gebündelt. Hier sitzt die zentrale kreative und technische Produktentwicklung, hier werden die Kollektionen erdacht.
Und das erfolgreich: Umsätze, Gewinnen, Auftragseingänge wachsen beachtlich (siehe Kasten) und damit auch die Mitarbeiterzahl von heute 2500 weltweit, 900 davon in Halle. Keine Selbstverständlichkeit in einer Branche, in der sich längst viele vom Standort Deutschland verabschiedet haben.
Was also macht das Damenmodeunternehmen aus Halle anders als andere? „Vieles“, erwidert Frink und lächelt dabei. Vieles, was auch mit Hightech zu tun hat.
Doch zurück zum Anfang, zurück zur Kollektion. „Damit steht und fällt alles“, erklärt Frink. „Sie können tolle IT-Prozesse haben, eine super Logistik, das alles nützt nichts, wenn das, was auf der Stange hängt, nicht den Nerv der Zeit trifft, nicht die Kundinnen anspricht.“
Allein in den letzten Jahren wurde die Kollektion verjüngt und nahezu um 80 % verkleinert. Ein Riesenschritt, der zu größeren Stückzahlen und damit zu höheren Lagerumschlagsgeschwindigkeiten führte.
Sieben Hauptkollektionen gibt es im Jahr. Im Schnitt kommt aber alle zwei Wochen neue Ware in die Läden. Nach den Kollektionsworkshops werden die Prototypen genäht. „Wir gönnen uns in Halle den Luxus einer eigenen Musternäherei“, sagt Frink. Das gebe es in der Branche kaum noch. Nur so könne man schnell reagieren, etwas ausprobieren.
Steht die Kollektion, dann kommen die Techniker ins Spiel. Sie sagen u. a., mit welcher Verarbeitung die Blusen, Röcke, Hosen gemacht werden. „Die Schnittentwicklung sitzt nur wenige Meter entfernt. Rund 80 Vollzeitkräfte sorgen für die Passformen.“ Auch das sei mittlerweile eine Rarität in der Modeindustrie.
„Die Fashionbranche zeichnet sich durch gigantische Komplexität aus. Es gibt da wenig Vergleichbares“, erklärt Frink und fügt schnell hinzu: „Mode hat viel mit Technik zu tun.“ Damit meint er nicht nur den klassischen Textilmaschinenbau, sondern auch die eigentliche Bekleidungstechnik, Materialien und deren Verarbeitung.
Für Schnitt und Gradierung – die Kunst, eine Bluse von Größe 36 auf 42 zu übertragen – werden Produktdaten-
Managementsysteme eingesetzt. Gerry Weber gilt als ein Pionier in Sachen CAD-Systeme, die auch direkt die Plotter für den Zuschnitt steuern können.
„Nur mit Hightech ist die Komplexität der Modebranche zu beherrschen“, weiß Frink. Stoffeinkäufe in Italien, Japan und Korea, Fertigungen u. a. in Rumänien, der Türkei und China. Logistikzentralen in Ungarn und China. Verkäufe in über 370 Houses of Gerry Weber in der ganzen Welt – Berlin, London, Kairo, Dubai, Toronto. Das alles sind nur einige Eckdaten, die für die Internationalität von Gerry Weber sprechen.
Logisch, dass da die IT-Durchdringung im Hause enorm ist. Ein Beispiel, auf das Frink besonders stolz ist: „Wir haben 2600 Kunden angebunden und bekommen darüber täglich die validierten Abverkäufe gemeldet.“ Diese Daten landen in der Zentrale nicht einfach in der IT oder beim Management-Reporting, sondern direkt in der Produktentwicklung. „Wenn ein Artikel nicht läuft, schauen wir ihn uns noch einmal genau an.“ Man lerne dabei, einen Fehler nicht zweimal zu machen. Frink: „Diese 2600 Abfragen sind ein Riesenkapital.“
Heerscharen von hauseigenen Technikern von Gerry Weber arbeiten in der ganzen Welt. Sie sitzen direkt vor Ort bei den Lohnfertigern und kontrollieren die Qualität, achten aber auch auf faire Arbeitsbedingungen und Umweltschutz. Allein dafür beschäftigt Gerry Weber in China 120 Menschen. Sie schicken ihre Reports ständig nach Halle.
Die Logistik dagegen hat Gerry Weber Ende letzten Jahres vollständig outgesourct. Größter Partner ist mit 20 Mio. zu handelnden Teilen und zwei riesigen hoch automatisierten Lagern Meyer & Meyer in Osnabrück. Daneben sorgt Fiege aus Ibbenbühren nicht nur für den Transport von 140 Mio. Esprit-Teilen im Jahr, sondern auch für 5 Mio. Liegewaren der Marke Gerry Weber Edition.
Alle Informationen, das gesamte Know-how laufen in Halle zusammen. Hier in Ostwestfalen ist Gerry Weber in guter Gesellschaft. Viele Maschinenbauer haben sich hier angesiedelt, aber auch im Fashion- und Bekleidungsbereich hat der Nordosten Nordrhein-Westfalens was zu bieten: mit namhaften Repräsentanten wie Braxx, Leineweber, Seidensticker und Ahlers. “ 20 km um Halle herum finden Sie ein deutliches Umsatzvolumen des deutschen Fashionbereichs“, sagt Frink. Das sei traditionell gewachsen, so wie die Wäscheexperten auf der Schwäbischen Alb.
„Der Standort Deutschland ist für uns sehr wichtig“, betont Frink. Die Baustelle nebenan ist ein Beweis dafür. Wo jetzt noch ein Rohbau steht, soll ein neues Kreativcenter entstehen, Schnitt, Produktion, Design und anderes unter einem Dach vereint sein. In Düsseldorf bauen die Westfalen auf dem ehemaligen Rheinmetall-Gelände eine neue Halle. Showrooms der Branche, die auch dem Modemesse-Standort Düsseldorf zugute kommen sollen. „Sicher, mit der eigentlichen Produktion sind wir nicht mehr in Deutschland“, gesteht Frink, „aber das würden Kundinnen auch nicht mehr bezahlen.“
Ansonsten gebe es – natürlich immer in Kombination mit der IT-Unterstützung – keinen Grund ins Ausland abzuwandern. „Wir finden in Deutschland die richtigen qualifizierten Mitarbeiter.“ Humanes Kapital, das bei dem Mittelständler ganz besonders geschätzt wird.
So kommen viele Innovationen aus der Belegschaft. „Wir glauben beispielsweise an das iPad von Apple als Businessgerät und haben einigen unserer ‚Spielkinder‘ ein Gerät in die Hand gedrückt – mal schauen, was die damit anfangen können.“
Für den Gerry-Weber-Vorstand bedeutet Innovation aber auch immer, über den eigenen Tellerrand zu schauen. „Wir haben viel aus anderen Industrien gelernt – vom Lebensmittelhandel bis zu den Automobilbauern. So sei man auch auf den RFID-Prozess gestoßen, in dem das Unternehmen mittlerweile als Vorbild für andere gilt (siehe Artikel unten).
Kein Zweifel: Getrieben durch die beiden Gründer Gerhard Weber und Udo Hardieck, fortgeführt durch das aktuelle Management wie David Frink, herrscht im beschaulichen Halle ein besonderer Mut zur Technik. REGINE BÖNSCH
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