Peer Review ersetzt Jahresgespräch
Jahresgespräch, bei dem Wort bricht manchem der Schweiß aus. Das Tête-à-Tête mit dem Chef wird in manchen Firmen durch das „Peer Review“, also die Kollegenbewertung, abgelöst. Sogar Boni-Zahlungen werden so verteilt.
Wie war ich? Eine Antwort auf diese Frage bekommen Angestellte hierzulande nur alle zwölf Monate – beim Jahresgespräch. Bei der Firma Crytek in Frankfurt geht es schneller, denn hier wurden die Jahresgespräche abgeschafft. Stattdessen beurteilen sich die Mitarbeiter einmal im Quartal gegenseitig, in einer Art Online-Abstimmung: Dabei kann jeder Mitarbeiter an seine Kollegen aus einem Kontingent „Sterne“ verteilen. Bewertet werden soll, wie viel der Kollege zum Erfolg des Teams oder Unternehmens beigetragen hat das Feedback zu kommentieren, ist Pflicht.
Am Ende des Jahres wird dann abgerechnet und der vorhandene Bonustopf transparent aufgeteilt: Je mehr Sterne, desto größer der Zuschlag. „So kann niemand mehr sagen‚ mein Chef sieht nicht, was ich wirklich leiste’“, sagt Heiko Fischer, ehemals Personalchef bei Crytek und Miterfinder des Systems.
Peer Review: Die Bewertung durch Kollegen ist keine neue Idee
Mittlerweile führt der 35-jährige Berliner sein eigenes Unternehmen und hilft anderen Firmen dabei, auf Kollegenbewertung umzusteigen. Eigentlich ist es nur logisch: Wir leben im Zeitalter des allgegenwärtigen Feedbacks, alles wird auf einer Skala von null bis fünf Sternen bewertet – Hotels, Bücher, Ärzte. Warum nicht auch die Kollegen?
Experten haben zunächst grundsätzlich keine Einwände. „Dass sich Mitarbeiter offen und transparent gegenseitig Feedback geben, ist nicht neu – in einem Orchester etwa passiert das ständig“, sagt Christoph Thoma vom Beratungsunternehmen Kienbaum in Zürich.
Er glaubt, dass sich der sogenannte „Peer Review“, also die Kollegenbewertung, in den kommenden Jahren verbreiten wird – nicht zuletzt, weil sie dem Nachwuchs gefällt. Auf eine Rückmeldung vom Chef ein Jahr zu warten, erscheine den Youngstern, die Reaktionen in Echtzeit gewohnt sind, nämlich geradezu absurd. „Eine der Hauptforderungen der Generation Y ist ja schnelleres Feedback“, so Thoma.
Völlig neu ist das Konzept natürlich nicht: Viele Unternehmen nutzen schon lange das sogenannte 360-Grad-Feedback, bei dem Kollegen und Vorgesetzte eine Führungskraft einschätzen – allerdings anonym. Die Beurteilenden müssen dafür oft lange Papierlisten ausfüllen, entsprechend unbeliebt ist das Verfahren.
Leistungsbewertung auf Facebook-Art
In puncto Aufwand liegt die elektronische Variante klar vorne, weil die Schwelle zum Mitmachen extrem niedrig ist – ein Mausklick reicht. Die Bewertungsseite lässt sich sogar von unterwegs mit dem Smartphone aufrufen „Das ist der 2.0-Stil: Offener, schneller und weniger hierarchisch“, lobt Heike Bruch, Professorin an der Universität Sankt Gallen und Expertin für Personalmanagement.
Vor allem amerikanische Unternehmen zeigen, wie es geht. Bei der Firma LivingSocial in Washington D.C. etwa gibt es eine interne Bewertungsseite, die wie Facebook aussieht und sogar auf dem Handy funktioniert. Darüber kann Lob in Echtzeit verteilt werden: Der Kollege hat z. B. eine flotte Präsentation hingelegt? Dann lässt sich ein „Dankeschön“-Knopf drücken oder ein kurzes virtuelles Schulterklopfen austeilen.
Wer Mitstreiter aus seinem Team loben will, kann ihm außerdem einen virtuellen Orden verleihen. Der erscheint dann als kleine Grafik neben seinem Profil im Intranet. Wer zum Beispiel die begehrte „Truthahn mit Fettsoße”-Medaille bekommen will, muss drei Quartale lang den angepeilten Umsatz bringen. So mutiert das dröge Jahresgespräch von gestern zu einer Art von Videospiel.
Auf die Beurteilung von unten setzt auch die IT-Firma Symantec, und zwar weltweit. Hier können alle Mitarbeiter seit Neuestem ihre Kollegen für eine Sonderbelohnung vorschlagen. Wer besonders viel Lob kassiert, erhält einen Geschenkgutschein im Wert zwischen 25 und 1000 Dollar. Mit dem neuen Belohnungssystem wurde ein langjähriges Problem aus der Welt geschafft: Früher teilten Manager oft Boni nur an einen kleinen Kollegenkreis aus. Jetzt, da alle mitbestimmen können, bekommen 16 000 der weltweit 20 000 Mitarbeitenden ein Dankeschön. Dennoch werde insgesamt nicht mehr für Gratifikationen ausgegeben, heißt es bei Symantec.
Organisationsexperte sieht in Peer Review keine Qualitäts-Unterschiede
Experten erwarten allerdings nicht, dass sich die Leistungsbewertung nach Facebook-Art sobald verbreiten wird. „In Deutschland halte ich das aus kulturellen Gründen für nur schwer machbar“, sagt Christian Scholz, Professor für BWL an der Universität des Saarlandes.
Darüber hinaus bezweifelt der Organisationsexperte, dass die Bewertungen der Kollegen besser sind als die des Chefs. Er selbst hat Peer Rating in seinen Kursen getestet und kennt die Probleme. „Sicher helfen diese Beurteilungen manchmal bei der Notengebung. Häufiger sind aber die Fälle, in denen Studierende aus vermeintlichen Fairnessgründen alle gleich einstufen, oder aber aus strategischen Gründen gezielt hoch oder runter werten.“
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