Rechtzeitig der Insolvenz gegensteuern
Unternehmenskrisen kündigen sich in der Regel an. Sie verlaufen in verschiedenen Phasen, oftmals über mehrere Jahre. Wer die Grundregeln einer ordentlichen Betriebsführung beachtet, kann das Desaster auch in der Wirtschaftskrise vermeiden. VDI nachrichten, Düsseldorf, 19. 3. 10, sta
Die Lage sei ernst, die Stimmung zu gut. So beschrieb Rechtsanwalt Thomas Oberle, Partner der Kanzlei Wellensiek in Heidelberg, auf einer Expertentagung des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater (BDU) Mitte März die Situation der Firmen in Deutschland. Die Kurzarbeit würde Schwachstellen der Betriebsführung verschleiern. Sie stünde einer eigentlich angesagten strategischen Neuausrichtung häufig im Wege. Es sei politisch unerwünscht, einen Insolvenzantrag zu stellen.
Eine Einschätzung mit Brisanz, die auch Professor Paul Groß bestätigt. Der Wirtschaftsprüfer, Sanierungsberater, Insolvenzverwalter und Vorstandsvorsitzende des Fachverbandes Sanierungs- und Insolvenzberatung beim BDU: „Die Unternehmen müssen sich jetzt fragen, wie es mit ihren Aufträgen in Zukunft weiter geht.“ Wer in der Kurzarbeit rote Zahlen schreibt, sollte nicht bis zu deren Auslaufen abwarten. „Die Unternehmen sollten sich jetzt gesundschrumpfen. Es geht darum, flexibel zu bleiben und die Fixkosten in den Griff zu bekommen“, sagt Groß. Danach könne mit einer neuen Positionierung der Wachstumskurs wieder eingeschlagen werden.
Nach Ansicht von Experten läuft eine Insolvenz immer in gleichen Mustern ab. Wer den Zyklus kennt, kann ggf. rechtzeitig reagieren.
Phase 1: Strategiekrise. Eine nicht realisierte Strategiekrise gilt als typischer Einstieg in die Insolvenz. In dieser ersten Phase übersieht die Geschäftsführung entscheidende Entwicklungen und technische Innovationen. Die Unternehmen müssten eigentlich ihr Leistungsspektrum neu positionieren, sehen aber das Problem noch nicht. Sie produzieren zunehmend an den sich wandelnden Bedürfnissen ihrer Kunden vorbei. Jörg T. Eckhold, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Eckhold & Klinger im rheinischen Tönisvorst: „In Firmen mit über 1000 Mitarbeitern kämpfen die Beschäftigten allzu oft nicht mehr für das Wohl der Kunden, sondern für ihre eigene Abteilung.“
Ein Mittel, um dieses Manko im eigenen Betrieb aufzudecken, sind Kundenbefragungen. Es geht darum, herauszufinden, wie Auftraggeber die Leistungen des Unternehmens einschätzen. Entscheidend ist es dann allerdings, die Ergebnisse richtig auszuwerten und die Strategie entsprechend anzupassen.
Phase 2: Absatzkrise. Wird in der ersten Phase einer drohenden Insolvenz nicht gehandelt, rutscht das Unternehmen in die Absatzkrise. Der Auftragseingang sinkt. Der Betrieb verzeichnet einen drastischen Umsatzschwund. Berater Eckhold warnt: „Es ist fatal, wenn sich Geschäftsführer regelmäßig die aktuellen Umsätze aus dem Vertrieb geben lassen, sich aber nicht gleichzeitig auch permanent für die Ertragssituation des Unternehmens interessieren.“ Den Kostendeckungsgrad einmal im Jahr beim Abschluss zu überprüfen, reiche nicht.
Phase 3: Ertragskrise. Schließlich folgt aus der Absatzkrise unweigerlich die Ertragskrise, in der auch die Überschüsse sinken. „Der Grundsatz lautet, vorausschauend zu denken und zu planen“, rät Eckhold. Ziele zu formulieren, einen Unternehmensplan aufzustellen und in diesem Zusammenhang das Betriebsergebnis permanent zu kontrollieren, sei erste Aufgabe der Führungsspitze.
Burkhard Jung, Vorstandsvorsitzender der CMS Societät für Unternehmensberatung in Berlin, weiß: „Erfahrungsgemäß reagieren die meisten Unternehmer zu spät. Insbesondere Inhaber eines mittelständischen Familienbetriebes subventionieren häufig zu Lasten des eigenen Einkommens den Betrieb und verdecken Unrentabilitäten damit über einen längeren Zeitraum.“ Thomas Kremer, Geschäftsführer der b-k-p-Consulting GmbH in Frankfurt, bestätigt: „Insbesondere wenn sich ein Betrieb schon über mehrere Generationen in der Hand der Familie befindet, investieren die Unternehmer noch ihr Tafelsilber.“ Bei Großbetrieben und Unternehmen mit einem Fremdgeschäftsführer offenbart sich die Unternehmenskrise früher, weil unkontrolliertes Zuschießen privater Ersparnisse nicht funktioniert.
Phase 4: Liquiditätskrise. Der Übergang von der Ertragskrise in diese Liquiditätskrise, in der Rechnungen nicht mehr beglichen werden können, verläuft fließend. In dieser letzten Phase ist Gegensteuern vielfach nicht mehr möglich. Unterstützend eingreifen können dann vielleicht noch Förderbanken. Ein Beispiel ist das Beratungsangebot „Runder Tisch“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Es ist im Rahmen der Konjunkturpakete der Bundesregierung deutlich aufgestockt worden – allein für 2010 werden zusätzlich bis zu 3 Mio. € zur Verfügung gestellt, insgesamt stehen nun bis zu 5,9 Mio. € zur Verfügung. 2009 nutzen über 3000 Mittelständler die kostenlose Beratung durch einen externen Experten. Ullrich Schröder, KfW-Vorstandschef, erwartet in diesem Jahr eine Zunahme der Nachfrage. Ansprechpartner vor Ort sind die Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern, die als Regionalpartner der KfW die Fäden über den Betreuungszeitraum zusammen halten. Am Ende steht für die Unternehmen, die eine positive Fortführungsprognose erhalten, eine weitere Beratungsförderung der KfW offen, nämlich die Turn-Around-Beratung aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds.
Selbst wenn Firmen gefühlt auf einen Schlag in die Liquiditätskrise rutschen, weil ein Großkunde nicht zahlt, ist das Problem nicht selten hausgemacht. Aufträge von zweifelhaften Kunden lehnen clevere Unternehmer nämlich prinzipiell ab. Bonitätsprüfung ist Pflicht, sich mit anderen Firmenchefs über das Zahlungsverhalten gemeinsamer Kunden auszutauschen ratsam. Gegebenenfalls sollten bei hohen Vorleistungen Sicherheiten oder Anzahlungen verlangt werden. Burkhard Jung von CMS: „Ist die Firma nicht mehr in der Lage, Aufträge von kritischen Kunden abzulehnen, hat die Führung schon vorher einen Fehler begangen. Dann hätte sie ihr Leistungsspektrum frühzeitig so verändern müssen, dass sie von solchen Kunden unabhängig ist.“ Das zeigt, wie wichtig es ist, schon in der Strategiekrise zu reagieren.
E.-M. NEUTHINGER/sta
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