So machen Sie das Beste aus Konflikten!
Streit und Ärger können im Job unerwartet hilfreich sein. Warum Konfliktscheu daher keine gute Idee ist. Und wie Ingenieure besser mit Zoff am Arbeitsplatz umgehen können. Diplom-Ökonom und Psychologe Gunther Wolf von der Wuppertaler I.O. Group Wolf gibt Antworten und verrät die Top-Ten-Benefits von Konflikten für Führungskräfte.
Ingenieur.de: Weshalb wird die offene Auseinandersetzung mit Konflikten im Job gescheut?
Gunther Wolf: Die Tendenz, sich in Konflikte nicht einzumischen, hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Ich sehe hierfür im Wesentlichen drei Gründe:
- Die Scheu der Konfliktparteien, den Konflikt offen anzugehen, liegt in der Natur der Konflikte. Nach meinem Fünf-Konfliktphasen-Modell (siehe unten) hört bereits in der zweiten Stufe der Konflikteskalation die Bereitschaft auf, mit dem jeweiligen Gegner konstruktiv zu kommunizieren.
- Kernproblem bei der Scheu Dritter, Konflikte zwischen anderen offen anzusprechen und aktiv zu managen, ist zumeist die Befürchtung, „zwischen die Mühlen“ zu geraten. Also dann selbst von den Konfliktparteien zum neuen Ziel der Aggressionen auserkoren zu werden.
- Die einzigen, die sich „gefahrlos“ einmischen können, sind mächtige, nicht konfliktscheue Dritte: Also in Unternehmen die Führungskräfte.
Fünf typischen Konfliktphasen
Welche Phasen durchläuft ein Konflikt üblicherweise?
Dies sind meiner Meinung nach die fünf typischen Konfliktphasen:
Phase 1: Schwelen: Diese Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass nur wenige der Beteiligten den sich anbahnenden Konflikt bewusst wahrnehmen. Oftmals entwickelt sich lediglich bei einem Beteiligten eine Missstimmung (Irritation, Verstimmung o.ä.) in Richtung einer der Konflikttypen, etwa eine Beziehungsstörung zu einer anderen Person. Oder ein Beteiligter entwickelt das Gefühl, dass er die von ihm zum Erreichen seiner Business-Ziele geplanten Maßnahmen aufgrund von Aktivitäten einer anderen Person nicht zur Umsetzung bringen kann. Auf der Einstellungsebene ist diese Phase 1 noch durch ein Streben der Konfliktbeteiligten nach einer Win-Win-Lösung gekennzeichnet, oftmals getrieben von der Befürchtung, selbst zu verlieren.
Phase 2: Rauch entwickeln: In Phase 2 wird bei Konflikten auf individueller Ebene den Beteiligten nach und nach klar, dass sich ein Konflikt anbahnt. Die Konfliktparteien vermeiden dennoch, sich hierüber miteinander offen auszutauschen. Sie bleiben auf der inhaltlichen, sach- oder fachbezogen Ebene. Bei Konflikten zwischen Gruppen und zwischen Organisationen fallen in Phase 2 innerhalb der Gemeinschaft fallen deutliche Worte über die andere Gruppe oder deren Mitglieder: Man spricht sich aus – und heizt sich auf. Die Denkhaltung der Konfliktbeteiligten wandelt sich: Man strebt nun eine Win-Lose-Lösung an. Die Parteien richten ihr Verhalten mehr und mehr darauf aus, klar und möglichst im Blitzkrieg zu gewinnen. Argumentative Munition wird vorsichtshalber zurechtgelegt, vorsorglich werden erste Barrikaden errichtet. Aber an der sichtbaren Oberfläche des Konfliktgeschehens hält man sich bedeckt, wahrt Contenance und Sachbezogenheit.
Phase 3: Entflammen: In Phase 3 kommt emotionale Würze in das brodelnde Konfliktsüppchen. Kann der Konflikt auf der sachlichen Ebene nicht zufriedenstellend geklärt werden, kommen emotionale Elemente hinzu. Bei den emotionalen Konflikttypen wird ohnehin bald nach jeder Klärung in der vorgeschobenen Sache ein neues Thema auf die Tagesordnung gebracht und zum Streitgegenstand deklariert. Die Konfliktbeteiligten bleiben weitgehend sachbezogen, obwohl sich gleichzeitig innere emotionale Spannungen aufbauen, die spürbar nach Entladung verlangen. Diesem Bedürfnis folgend werden erste Kleingefechte ausgetragen, die emotionale Einfärbungen aufweisen. Diese sorgen oftmals dafür, dass Führungskräfte jetzt auf den Konflikt aufmerksam werden. Der Konflikt bewegt sich in Phase 3 auf eine Ebene zu, in der der Realitätssinn der Beteiligten durch wahrgenommenen Druck, etwas unternehmen zu müssen und Emotionalitäten nahe dem Fanatismus so beeinträchtigt ist, dass sie zu einer Beilegung aus eigener Kraft zumeist nicht mehr in der Lage sind.
Phase 4: Brennen: Irgendwann kommt dann der Punkt, an dem sich die aufgestaute Energie entlädt. Menschen sagen dazu: „Dieser Funke hat das Pulverfass zum Explodieren gebracht.“ Der ursprüngliche und möglicherweise sachbezogene Streitgegenstand verliert völlig an Relevanz. Die Flammen schlagen hoch, es kommt zu heftigen Attacken. Möglicherweise werden die Stimmen laut, vielleicht fallen böse Worte oder es kommt zu Tätlichkeiten. Ist Phase 4 erst einmal erreicht, gibt es kein Halten mehr und meist auch kein Zurück. Es bedarf energischen und machtvollen Eingriffen Dritter, um die verheerenden Wirkungen zu begrenzen. Nur selten führt der Brand am Ende zu einer spürbaren Erleichterung und zur Lösung des Konfliktes bei offener Aussprache. Eher sind Verletzungen auf beiden Seiten die Folge: Brandwunden, die schlecht abheilen und immer wieder an die Ereignisse erinnern. Die Phase 4 steht ganz offensichtlich unter dem Zeichen eines ungehemmten Strebens nach Win-Lose-Lösungen, doch das Ergebnis ist immer ein Lose-Lose.
Phase 5: Dauerbrenner: In Phase 5 gehen sich die vom Konflikt gezeichneten Beteiligten aus dem Weg, so sie denn können. Das ist auf individueller Ebene etwa durch Bitte um Versetzung in ein anderes Team möglich. Phase 5 ist ein Dauerbrenner, bei dem es hin und wieder auf Initiative der oder des Unterlegenen zu Scharmützeln kommt, zu verdeckten Widerständen und unerwarteten Angriffen nach Art eines Partisanenkriegs. Verlierer kommunizieren möglichst nicht mit Gewinnern, man hat ja „ohnehin hier nichts mehr zu sagen“. Die Lebens- und Arbeitsqualität leidet enorm. Mit den angestrebten Business Zielen identifiziert sich keiner der Verlierer. Sie machen fortan maximal „Dienst nach Vorschrift“.
Was ist das Tückische daran?
In der Praxis werden Konflikte in den meisten Fällen (erst) dann von den Führungskräften erkannt, wenn die Phase 4 erreicht ist. Das schnelle Einmischen von mächtigen, nicht konfliktscheuen Dritten (also der Führungskraft) ist die einzige Möglichkeit, in diesem Stadium bedrohliche Verletzungen auf beiden Seiten in gewissem Maße zu verhindern. Der Dritte muss für eine erfolgreiche Konfliktlösung stets mächtiger sein als jede der Konfliktparteien, möglichst sogar als alle Konfliktparteien zusammen. Wenn zumindest eine der Konfliktparteien stärker ist als der Dritte, kann der Konflikt in Phase 4 nicht mehr beigelegt werden.
Hilfreiche Konflikte
Warum können Konflikte hilfreich sein, um Teams voranbringen?
Konflikte sind wie Feuer: Sie sind einerseits gefährlich, andererseits von hohem Nutzen. Sie haben nicht ausschließlich zerstörerische Wirkung, sondern wirken auch positiv, etwa als Motor für wünschenswerte Veränderungen. Konflikte mit Kunden oder Lieferanten leiten oftmals Produktverbesserungen ein, organisationale Konflikte initiieren erforderliche Restrukturierungen, Konflikte mit Eigen- oder Fremdkapitalgebern führen zu einer Aktualisierung der Geschäftsprozesse und Belegschaftskonflikte können längst überfällige personelle Wechsel auslösen.
Welchen Nutzen können Führungskräfte aus Reibereien gewinnen?
Das sind die Top-10 Nutzen von Konflikten für Führungskräfte:
- Ziele umsetzen: Konflikte setzen Energien in hohem Maße frei. Warum sollten Sie diese nicht für Ihre Zwecke nutzen? Für die Realisation des gewünschten Soll-Zustands werden Sie als konfliktkompetente Führungskraft auch in Ihr Kalkül einbeziehen, inwiefern Sie bestehende und künftig auftretende Konflikte für Ihre Ziele verwerten können. Organisationen mit übermäßig niedrigem Konfliktniveau leiden zumeist an Lethargie, Erstarrung oder geringem Innovationsvermögen: „Haben wir keine neuen Ideen, gibt´s auch keine Konflikte. Und gibt´s keine Konflikte, gibt´s auch keine neuen Ideen!“
- Neuanfang wagen: Veränderungen lassen sich am einfachsten durchsetzen, wenn es gerade bergab oder „drunter und drüber“ geht. Und engagiert betriebene Neuanfänge dann, wenn gar nichts mehr da ist, woran die Beteiligten festhalten können. So erschreckend es auch klingen mag: Brandrodung setzt Nährstoffe frei, die für fruchtbare Böden sorgen. Situative Autorität und starke Führungs-Kraft wird nur selten von allen so positiv aufgenommen wie in Konfliktfällen, die sich bereits in Phase 4 befinden. Ihre entschieden vorgetragenen Anweisungen werden in solchen Situationen engagiert, zügig und vergleichsweise widerstandslos ausgeführt. Selbst dann, wenn es sich um tiefgreifende Veränderungen handelt.
- Eigene Führungs-Kraft stärken: Konflikte, denen Sie sich als Führungskraft mutig stellen, stärken Ihre Position und Ihre Akzeptanz als Leader im Unternehmen. Mehrere Befragungen haben gezeigt, dass Mitarbeiter, die ihren Führungskräften wenig Respekt entgegenbringen, dies zum größten Teil mit deren fehlender Bereitschaft begründen, in Konflikte einzutreten und diese aktiv zu managen.
- Konflikte sorgen für eine Fülle an nützlichen Informationen: Im Konfliktfall kommen individuell handlungsleitende Ansichten, Ziele und Werte der Konfliktparteien und der weiteren Beteiligten ans Tageslicht. Sie erfahren Gruppenregeln und Rollenverteilungen sowie die tragenden Normen und Werte von Suborganisationen. Bislang verdeckt gehaltene Beziehungen, Verflechtungen und Abhängigkeiten werden oftmals bereits in Konfliktanalyse-Einzelgesprächen für Sie sichtbar. Zum einen sind es die Beschuldigungen selbst („Frau X aus dem Einkauf hat was mit unserem Lieferanten Herrn Y“), denen sich bisweilen nachzugehen lohnt. Aber: „Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter aus als über Paul.“ Zum anderen lernen Sie viel über die Menschen in Ihrem Team, deren Werte und Moralvorstellungen. Je besser Sie Ihre Mitarbeiter kennen, je genauer Sie über Verflechtungen informiert sind, desto besser werden Sie sie führen, auch lange nach Beilegung des Konfliktfalles.
- Zusammenarbeit verbessern: Gelöste Konflikte können langfristig zu einer Verbesserung der Beziehung und zur Verstärkung der Bindungskräfte beitragen. „Wir haben uns zusammengerauft“: Ein nur auf den ersten Blick paradoxer Mechanismus erschließt sich hier als nutzbar, etwa für Teamzusammenhalt oder Kundenbindung. Die Parteien haben sich gegenseitig gezeigt, dass sie gemeinsam mit Konflikten fertig werden und trotz vorübergehender Differenzen zusammenbleiben. Was kann eine solche, durch Höhen und Tiefen gegangene und somit gefestigte Beziehung noch zerstören? Sicher kein Wettbewerber, nur weil er ein bisschen billiger ist… Gleiches gilt für die Bindung von Mitarbeitern an das Unternehmen, für Chef-Mitarbeiter-Beziehungen oder Lieferantenverbindungen.
- Zusammenhalt verbessern: Ein weiteres, möglicherweise für Sie als Führungskraft nutzbares Konfliktphänomen: Treten Gruppen in Konflikte gegeneinander ein, verstärkt sich in jeder der beiden Gruppen der interne Zusammenhalt, die Gruppenkohäsion. In der Wortwahl drückt sich das schnelle Zusammenwachsen selbst der unterschiedlichsten Gruppenmitglieder durch die häufige Verwendung von „wir“ und „die“ aus. Sozialpsychologen fanden in Experimenten heraus, dass ein gemeinsames Feindbild eine der wirkungsvollsten Grundlagen für die Bildung eines Wir-Gefühls darstellt. Diese außerordentlich intensive Intra-Gruppen-Bindung besteht zumindest solange, wie der Konflikt andauert.
- Diversity managen: Organisationen, die Vielfalt in der Belegschaft beispielsweise bezüglich Herkunft, Werte, Normen, Religion oder Alter zulassen, holen sich hiermit das Potenzial für im weiteren Sinne des Wortes interkulturelle Konflikte ins Haus. Die Förderung von Vielfalt erfordert eine besondere Aufmerksamkeit der Führungskräfte und Steuerungsansätze, die unter dem Stichwort Diversity Management bekannt geworden ist.
- Flexibilität steigern: Aber diese Organisationen erhalten zugleich eine Wandlungsfähigkeit im Hinblick auf die Wahrnehmung gewandelter Umweltbedingungen, wie etwa sich veränderndes Käuferverhalten. Anpassungsfähigkeit, Veränderungsbereitschaft, Flexibilität, Entwicklungsfähigkeit und eine prozessuale schnell lernende Organisation sind entscheidende Determinanten für zukünftige unternehmerische Spitzenleistungen. Die Vielfalt der Belegschaft ist dabei an diesen Zielen orientiert zu steuern: Zu viel Diversity, zu viel der Unterschiedlichkeit kann zur Folge haben, dass die unterschiedlichen Gruppen oder Individuen schon wieder das Verändern der Veränderung initiieren, noch bevor diese überhaupt ihre volle Wirkung entfalten konnte.
- Verbesserungspotenziale aufdecken: Konflikte mit Kunden oder Lieferanten, Beschwerden oder Reklamationen sind wichtige Indikatoren für bestehende Optimierungspotenziale. Um diese nutzen zu können, ist die Bereitschaft der Mitarbeiter in Ihrem Unternehmen zu generieren und aufrecht zu halten, auch „erhitzten“ Geschäftspartnern positiv und aufmerksam zuzuhören. Wenn Sie die Möglichkeit bieten, die aufgefangenen Beschwerden institutionalisiert in ein Forum einzubringen und ernsthaft auf enthaltene Anregungen zu prüfen, können Produktinnovationen oder prozessuale Verbesserungen eingeleitet werden, die Sie möglicherweise längst planten.
- Strukturen modernisieren: Im Konfliktfalle können Sie Restrukturierungen initiieren, die sonst nur auf Unverständnis oder Widerstände gestoßen wären. Spannungen gegenüber Kapitalgebern können zu einer Aktualisierung der Business Prozesse führen, Belegschaftskonflikte können zum Anlass für längst überfällige personelle Wechsel genommen werden. Es wird in der Regel von allen Parteien unterstützt, dass Konflikte zu lösen sind – die konfliktlösenden Maßnahmen erzielen bei den Konfliktbeteiligten somit eine Umsetzungsbereitschaft in einem Maße, die ohne die heißen Flammen des Konfliktes undenkbar gewesen wäre.
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