„Vertrauen kann nicht verordnet werden“
Die Mannschaft zu motivieren und eine Kultur des Miteinanders zu schaffen sind seit jeher mit die schwierigsten Personal-Aufgaben. Die Krise hat daraus eine Basis-Anforderung gemacht. Denn wenn der betriebliche Ablauf von den Mitarbeitern nicht mitgetragen wird, entstehen Stolpersteine. Dazu kommen in manchen Branchen erhöhte Tarifforderungen. Mitarbeiter fürchten die Arbeitslosigkeit. Krankmeldungen und Fluktuation gehen zurück. Die Kapazität wird trotzdem geringer. Der Albtraum der Unternehmensleitung bleibt der Absatzeinbruch. Was tun? VDI nachrichten, Düsseldorf, 12. 3. 10, jul
„Mitarbeiter fühlen sich dann überfordert, wenn sich die gesamte Stimmung im Unternehmen verschlechtert“, meint Michael Podubrin, Geschäftsführer, der Messe + Event GmbH Holtmann in Hannover, die 70 Mitarbeiter zählt. „Die Mitarbeiter klagen über fehlende Motivation. Arbeitsergebnisse werden fühlbar schlechter. Projekte verlieren messbar an Deckungsbeiträgen. Belastungsgrenzen sinken. Die Einsatzbereitschaft geht zurück“, so Podubrin. Dabei ist die wirtschaftliche Schieflage des Unternehmens nur ein möglicher Auslöser für Stress und Überforderung. Gründe dafür gibt es viele.
Auch Patrick Niehr, Personalleiter bei dem Kölner Werkzeughersteller Schütte, der 700 Mitarbeiter beschäftigt, weiß, was es bedeutet, die Belegschaft durch wirtschaftlich schwierige Zeiten zu führen. Solche Zeiten bedeuten Veränderungen und in solchen Zeiten wird den Mitarbeitern viel abverlangt. „Es ist wichtig, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Veränderungen auch eine Chance erkennen“, betont Niehr. Genau so, wie sich das Marktumfeld verändere, müssen sich auch die Prozesse im Unternehmen einer ständigen Veränderung stellen. Dann könne man in einem konstruktiven Miteinander auch schwierige Sachthemen angehen, wie z. B. die Einführung eines neuen Entgelt-Tarifvertrages.
Für Christel Bühren, Leiterin Personal bei der Lemken GmbH, die Bodenbearbeitungsgeräte produziert, ist eines ganz besonders wichtig: Freiheit. Denn „zu strenge Vorgaben, übertriebenes Berichtswesen oder andere Kontrollmechanismen veranlassen Mitarbeiter, auf exakte Arbeitsanweisungen zu warten, nicht kritisch zu sein und schon gar nicht zu hinterfragen“, erklärt Bühren.
Diese drei Beispiele aus der Unternehmenspraxis zeigen eines ganz deutlich: Jedes Unternehmen, jede Belegschaft ist anders und dementsprechend unterscheidet sich die Gangart der Personalverantwortlichen. Doch auf eines setzen alle drei Personalverantwortlichen gleichermaßen, nämlich auf die Eigenverantwortung ihrer Mitarbeiter. Denn dass ein spürbarer Vertrauensvorschuss die Basis für Goodwill-Leistungen ist – auch unter schwierigen Voraussetzungen – hat ihnen die Erfahrung gezeigt. Zu enge Kontrollmechanismen hingegen bewirken oft das Gegenteil. Um eine Kultur des Vertrauens zu schaffen, ist es notwendig, offen und ehrlich zu kommunizieren. Michael Podubrin: „Vertrauen kann nicht verordnet werden. Selbst mit Extra-Belohnungen ist das so eine Sache. Im Grunde genommen gibt man damit zu erkennen, dass man nicht sicher ist, ob ein Beauftragter die Aufgabe auch erfüllen kann und bringt ihm anstatt Vertrauen Misstrauen entgegen. Solche Situationen aber finden sich im Alltag von Führungskräften immer wieder, und viele glauben dann auch noch, etwas besonders Gutes zu tun.“
Patrick Niehr setzt in diesem Zusammenhang auf „klar definierte Entscheidungsräume“, und auch Christel Bühren plädiert dafür „mit der Belegschaft offen und fair zu kommunizieren und auch betrieblichen Kennzahlen nicht aus dem Weg zu gehen“. Dabei weiß sie, wovon sie spricht: „Schon vor einigen Jahren konnte Lemken aufgrund Auftragsmangels in einer Branchenkrise, nachdem die gesamte Belegschaft informiert war, mit dem Betriebsrat unter Beteiligung des Arbeitgeberverbandes und der Gewerkschaft die Wochenarbeitszeit kurzfristig vorübergehend von 35 auf 30 Stunden mit entsprechender Lohnangleichung reduzieren. Die Belegschaft hat diese Entscheidung einvernehmlich mitgetragen.“
Michael Podubrin nennt für Holtmann desgleichen ein Praxisbeispiel gemeinsamer Problemlösung durch Offenheit: „Wir haben 2006 Vertrauensarbeitszeit eingeführt. Die Reaktion war zunächst Unzufriedenheit und die bleibende Aufforderung an die Geschäftsleitung, Änderungen zu veranlassen. Alle Erklärungsversuche sind gescheitert. Schließlich wurde eine Arbeitsgruppe aus Mitarbeitern aller Bereiche gebildet, in der man miteinander Argumente pro und contra austauschte. Daraus entstand ein „Leitfaden“, und seitdem dieser Leitfaden der Mitarbeitergruppe jedem Belegschaftsmitglied zur Verfügung gestellt wurde, verstummte die Kritik an der Vertrauensarbeitszeit schlagartig.“
Beide Beispiele beziehen sich auf Arbeitszeitfragen. Diese scheinen bis heute die einzigen zu sein, zu denen eindeutig Stellung genommen wird. Andere Einrichtungen und Maßnahmen, von denen Mitarbeiter untereinander häufig sagen: „Jetzt reichts aber“, werden begreiflicherweise von den zuständigen Stellen nur ungern öffentlich diskutiert. Geht es den Betriebsorganisatoren, insbesondere den Personalverantwortlichen, doch oft ähnlich wie den Juristen: Sie sind in Gesetze oder Gesetzmäßigkeiten eingebunden, die für sie keineswegs immer ein optimales Ergebnis garantieren.
Michael Podubrin versucht, diesem Trend gegenzusteuern – so weit das möglich ist: „Bei Holtmann haben wir die Ziele der Personalentwicklung zum integralen Bestandteil der Organisationsentwicklung gemacht. Danach waren die Mitarbeiter zunächst der Ansicht, dass sie jetzt darauf warten könnten, was die Geschäftsleitung in dieser Richtung für sie unternimmt. Erst im Laufe der Zeit ist ihnen klar geworden, dass Personalentwicklung auch Eigeninitiative bedeutet und voraussetzt, dass sich jemand auch entwickeln will.“
Das zeigt, dass es gerade bei allseits betontem Vertrauensvorschuss oft zweier Ansätze bedarf, um Mitarbeiter vor einer selbst gebauten „Schmerzgrenze“ für Einschränkungen und Bevormundungen zu schützen. Vor allem aber gehört die Einbeziehung oder doch Anhörung von Belegschaftsansichten dazu, um Übereinstimmung zu erzielen. Christel Bühren bestätigt: „Lemken will seine Beschäftigten fair behandeln und dabei nicht nur auf die Entlohnung abstellen, sondern bei den Mitarbeitern auch die Empfindung gefragt zu sein, unterstützen.“
Patrick Niehr weist für die Schütte GmbH darauf hin: „Die Kultur unseres Hauses ermöglicht es, vorhersehbare Probleme gemeinsam mit Betriebsrat und Mitarbeitern zu diskutieren und zu lösen. Wenn der Dialog gepflegt wird, und das Gespräch vor der Anordnung wie vor der Beschwerde Vorrang hat, sind von den Führungskräften auch schwierige Aufgaben zu meistern, wie z. B. bei der Einführung von Kurzarbeit.“
Auf einen Nenner gebracht zeigen damit die Erfahrungen bewährter Praktiker, dass gerade in Krisenzeiten im betrieblichen Alltag nichts so wichtig ist, wie ein offenes und ehrliches Gespräch.
R. FIEDLER-WINTER/jul
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