Weltmarktführer aus der Provinz
Zahlreiche mittelständische Unternehmen in Deutschland, die sich auf technische Spitzenprodukte in Nischen spezialisiert haben, sind Weltmarktführer. Bernd Venohr, Wissenschaftler und Berater, hat ihre Erfolgsfaktoren unter die Lupe genommen und sieht gute Chancen, dass sie auch in Zukunft erfolgreich sein werden.
VDI nachrichten: Herr Venohr, Sie haben gerade mit Herrn Langenscheidt das Lexikon der deutschen Weltmarktführer veröffentlicht. Ihr Enthusiasmus hinsichtlich der Firmen ist in Ihren Vorträgen spürbar. Was macht unsere Mittelständler so erfolgreich?
Venohr: In der Tat haben wir in Deutschland eine weltweit einzigartig leistungsfähige Unternehmenslandschaft. Viele Mittelständler sind Weltspitze bei Produkten und Dienstleistungen, und sie schaffen es, eine Unternehmenskultur aufzubauen, die immer wieder Innovationen hervorbringt. In diesen Organisationen arbeiten die Mitarbeiter gern. Das hängt auch mit mit Führungsverhalten zusammen. Wir haben in Deutschland sehr viele Führungskräfte, die ihr Geschäft wirklich verstehen und auch als Führungspersönlichkeiten Vorbild sind.
Was meinen Sie damit ?
In den Topmanagement-Positionen bei den technisch orientierten Mittelständlern arbeiten überwiegend Naturwissenschaftler und Ingenieure mit einer großen Leidenschaft für die eigenen Produkte. Einer dieser sehr erfolgreichen Manager, Klemens Kalverkamp von Grimme, Weltmarktführer für Kartoffelerntmaschinen, hat es mir gegenüber einmal auf den Punkt gebracht: „Leidenschaft lässt sich durch nichts ersetzen als durch Leidenschaft.“ Diese Leidenschaft für die eigenen Produkte mögen manche belächeln, sie ist aber authentisch und glaubwürdig. Und was auch noch wichtig ist: Wir haben in Deutschland wenig – in Anführungszeichen – professionelle Manager mit MBA, d. h. man führt mithilfe des gesunden Menschenverstands und natürlich auch mit modernen betriebswirtschaftlichen Instrumenten, aber lässt sich nicht durch irgendwelche Managementmoden, die ständig kommen und gehen, beeindrucken: Man behandelt seine Mitarbeiter so, wie man selbst gern behandelt werden möchte.
Woran liegt das?
Ein wichtiger Punkt ist natürlich, dass sehr viele dieser Firmen in kleinen Orten angesiedelt sind, man kennt sich, sehr oft sind auch Generationen von Familien dort beschäftigt, man begegnet sich am Samstag auf dem Wochenmarkt. Das führt zu einem ganz anderen Führungsverhalten, Hire und Fire ist nicht möglich, Mitarbeiter werden wertschätzend behandelt. Hinzu kommt, dass diese Firmen meist Familienunternehmen sind und die Eignerfamilien eine ganz besondere, emotionale Beziehung zu dem Unternehmen haben. Es wird nicht so auf den kurzfristigen Erfolg gesetzt, sondern die langfristige Perspektive ist wichtig, der Erhalt des Unternehmens für kommende Generationen. Das führt zu einer stark durch gegenseitiges Vertrauen geprägten Kultur. Diese Vertrauenskultur spiegelt sich auch in den Kunden und Zulieferbeziehungen wider: Sehr oft arbeitet man schon seit Jahrzehnten intensiv und vertrauensvoll zusammen. So können immer wieder richtungsweisende Innovationen entstehen.
Ein Problem ist aber nicht selten die Unternehmensnachfolge…
Die fehlende Unternehmensnachfolge ist die Achillesferse der Familienunternehmen. Die besten Mittelständler gehen auch hier keine Kompromisse ein und setzen, falls keine geeigneten Familienmitglieder zur Verfügung stehen, auf externe Manager für das operative Geschäft. Letztlich sind es diese weichen Faktoren, die dazu führen, dass die Firmen auch im internationalen Vergleich eine Spitzenstellung einnehmen und immer wieder Marktstandards durch Innovationen setzen.
Alle klagen über den Fachkräftemangel, wie sieht es denn aus vor Ort?
Demografie ist ein harter Faktor, das ist für viele Firmen eine große Herausforderung. Ich sehe zwei wichtige Trends: Zum einen geht es um den Umgang mit älteren Mitarbeitern. Bis Mitte der 2000er-Jahre wurden ältere Mitarbeiter massenhaft nach Hause geschickt. Jetzt sehe ich vermehrt Programme, die sich damit beschäftigen, wie eine Firma es schafft, beispielsweise auch in der Produktion über 55-Jährige produktiv zu halten. Noch wichtiger ist die Rekrutierung des Führungsnachwuchses und von Fachkräften: Bisher konnte man sich auf das regionale Umfeld, z. B. Kooperationen mit den örtlichen Hochschulen, verlassen. Diese Pools sind zunehmend ausgeschöpft. Hier ist bei vielen Unternehmen ein Umdenken nötig: Man darf sich nicht mehr verstecken und abwarten, bis sich geeignete Bewerber melden, sondern muss aktiv Personalmarketing betreiben, deutschlandweit und auch zunehmend international. Da sehe ich noch starken Nachholbedarf bei meinen Kunden.
Welche Erfahrungen haben Sie mit den Mittelständlern in der Krise gemacht?
Die natürliche Reaktion bei ihnen war: Wir glauben an unsere Marktchancen und an unser Geschäftsmodell, wir wissen, wie wichtig unsere Mitarbeiter für uns sind und wir versuchen alles, um die Mannschaft an Bord zu halten. Das hat bei den meisten Unternehmen gut geklappt. Entscheidend waren auch die flexiblen Arbeitszeitmodelle sowie die Kurzarbeitsregelungen. Viele Mitarbeiter haben vorübergehend auf Lohn und Gehalt verzichtet, im Vertrauen darauf, dass es wieder aufwärts geht. Die Unternehmen zahlen ja jetzt auch die Bemühungen der Belegschaft zurück, einige ziehen z. B. Tariferhöhungen vor oder leisten Einmalzahlungen, das finde ich sehr gut.
Deutscher Mittelstand, das klingt im Zeitalter der Globalisierung ein klein wenig wie ein Antagonismus. Wie steht es mit der interkulturellen Kompetenz?
Wir Deutschen sind Reiseweltmeister und quasi in der Welt zu Hause. Wir haben auch viele ausländische Studierende, gerade an den technischen Hochschulen. Sie werden lachen, aber mittlerweile hat doch fast jeder Mittelständler sozusagen „seinen“ Chinesen oder „seine“ Chinesin an Bord. Außerdem hat Deutschland einen entscheidenden Vorteil: Es gibt ein sehr gut ausgebautes Netz an Außenhandelskammern. Das ist ein Vorteil, der häufig unterschätzt wird. In über 80 Ländern der Welt gibt es deutsche Vertretungen als Anlaufstellen. Zudem bieten viele Mittelständler ihren Mitarbeitern eine Reihe von interkulturellen Trainings. Es ist nur so, dass dort nicht so viel darüber geredet wird, es wird einfach gemacht. Die Unternehmen sind auch untereinander gut vernetzt, es gibt immer einen in der Nachbarschaft, der schon mal da oder dort tätig war und der Auskünfte geben kann, da agieren die Mittelständler sehr praktisch.
Werden die deutschen Unternehmen, vor allem unsere Mittelständler, weiterhin so erfolgreich bleiben?
Der Mittelstand stand sehr unter Druck, es gab im Jahr 2000 den „Schlachtruf“ von Herrn Forster, dem damaligen Opel-Chef: „Out of Germany or out of business.“ Mittelständler im Familienbesitz können und wollen nicht einfach die Türen schließen im Hochlohnland Deutschland, sie fühlen sich an den Standort gebunden. Sie sind extrem effizient geworden und punkten durch Innovationen. Zudem haben sie, anders als andere vergleichbare Unternehmen in anderen Ländern, die eher regional agieren, auch rechtzeitig internationale Vertriebsnetze und Werke aufgebaut.
Die Herausforderungen sind allerdings auch sehr groß. Nehmen Sie die starken Unsicherheiten in den volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die Schuldenkrise in den USA und im Euroraum, den Aufstieg Chinas und Indiens. In vielen Branchen gibt es auch durch neue Technologien gewaltige Verschiebungen. Schauen Sie sich die tief greifenden Auswirkungen des Internets an: Die Verlagerung der Werbeaufwendungen in den Onlinebereich hat beispielsweise unsere einstige Paradebranche Druckmaschinen in die Existenzkrise gestürzt. Ein Ranking der erfolgreichsten Unternehmen 2020 wird deshalb anders aussehen als heute, es wird Gewinner und Verlierer geben. Insgesamt bin ich aber optimistisch, dass die Position der deutschen Industrie stabil bleibt, wenn sie sich nicht sogar verbessert. CLAUDIA HANTROP
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