Whistleblowing: Missstände in Unternehmen erst intern lösen
Im Zuge der NSA-Abhöraffäre um Edward Snowden fällt immer wieder das Wort Whistleblowing. Was bedeutet Whistleblowing im deutschen Arbeitsrecht für Arbeitnehmer und Unternehmen? Julia Glaser, Rechtsanwältin bei CMS Hasche Sigle, hat besondere Erfahrungen bei Whistleblowerhotlines und der Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen. Die Kanzlei bietet für Mandanten auch die Einrichtung von Whistleblowerhotlines an.
Glaser: Richtig. Auch beim jüngsten Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Whistleblowern war sehr umstritten, ob ein solches überhaupt erforderlich ist – letztlich ist auch dieser Entwurf in der Schublade verschwunden. Darin war eine Definition geplant, unter welchen Umständen Mitarbeiter Missstände melden dürfen und sich auch direkt an eine externe Stelle wie beispielsweise die Staatsanwaltschaft oder eine zuständige Behörde wenden können. Das ist ja einer der Knackpunkte im Arbeitsrecht: Aufgrund der aktuellen Rechtslage muss sich der Arbeitnehmer bis auf extreme Ausnahmefälle zuerst bemühen, intern Abhilfe zu schaffen, wenn er oder sie von Unregelmäßigkeiten erfährt. Diese interne Stelle kann eine Beschwerdestelle oder der Betriebsrat oder auch der Vorgesetzte sein, wenn dieser nicht selbst betroffen ist. Wenn ein Mitarbeiter gegen diesen Grundsatz verstößt, kann das ein Kündigungsgrund sein.
Letztlich wird das weit gefasst. Eigentlich ist damit das Melden jeglicher Missstände im Unternehmen gemeint. Es muss sich nicht um ein Verbrechen oder eine Straftat handeln. Der Begriff umfasst aber natürlich keine Beschwerden über schlechtes Kantinenessen – es geht immer um Themen wie geistiges Eigentum, Korruption oder Arbeitssicherheit.
Das Problem sollte in jedem Fall intern bei den geeigneten Stellen vertrauensvoll vorgetragen werden – bevor man sich nach außen wendet. Viele gehen gar nicht aus bösem Willen, sondern schlicht aus Unkenntnis der Zuständigkeiten und ohne Wissen über die Konsequenzen den falschen Weg. Viel interessanter dürfte darum die Frage sein, wie das ein Unternehmen verhindern kann. Es empfiehlt sich meiner Meinung nach dringend, ein internes Hinweisgebersystem zu errichten.
Das klingt erst einmal sehr kompliziert, letztlich ist das aber relativ einfach zu handeln. Beispielsweise durch die Einrichtung einer Whistleblowerhotline, telefonisch oder per E-Mail, an die sich Beschäftigte auch anonym wenden können. Das lässt sich technisch so einrichten, dass auch Rückfragen an den Mitarbeiter ohne direkte Rückschlüsse auf seine Identität möglich sind. Es gibt auch die Möglichkeit, einen Ombudsmann zu ernennen. Dieser sollte idealerweise eine externe, „neutrale“ Person sein.
Die Vertraulichkeit ist natürlich letztlich relativ. Schon allein, weil man gelegentlich aufgrund der Information darauf schließen kann, von wem sie kommt, jedenfalls wenn sie sehr detailliert ist. Grundsätzlich empfehlen wir Arbeitgebern, ein Hinweissystem zu errichten, das auch die Möglichkeit anonymer Anzeigen bietet. Solche Hinweise müssen dann natürlich streng vertraulich gehandhabt werden. In Deutschland ist die Möglichkeit anonymer Meldungen aber immer noch ein bisschen problematisch. Während in den USA anonyme Beschwerden gang und gäbe sind, hat das leider in deutschen Unternehmen gelegentlich immer noch den Ruch des Denunziantentums. Hier ist ein Umdenken angebracht – zum Wohle der Beschäftigten wie auch der Unternehmen selbst.
Wir betreiben Whistleblowerhotlines für Unternehmen und fragen die Anrufer dann auch jedes Mal, ob sie ihren Namen nennen möchten – was viele machen, denn nicht immer handelt es sich ja gleich um hochdramatische Korruptionsfälle. Wir prüfen den Hinweis dann und geben ihn nach einem festgelegten Regelwerk im Unternehmen weiter. Die Bandbreite der Beschwerden ist groß und betrifft alles, was im Unternehmen schiefgehen kann. Die Mitarbeiter wissen von der Hotline, weil sie im Intranet oder am Schwarzen Brett genannt ist. Die Hotline kann zudem nicht nur für Mitarbeiter, sondern auch für Kunden und Lieferanten geöffnet werden.
Auf Arbeitgeberseite ist die Einrichtung eines Hinweisgebersystems mittlerweile als best practice anzusehen und integraler Bestandteil der Compliance-Maßnahmen, die ein Unternehmen heutzutage zu treffen hat. Das kann aber nur zielführend sein, wenn die anderen Maßnahmen auch passen.
Es muss eine Kette geben: Ich brauche als Mitarbeiter natürlich zum einen Klarheit, welche Regeln überhaupt Anwendung finden. Neben den Gesetzen, auf die man als Arbeitgeber hinweisen kann, ist ein „Code of Conduct“ ein probates Mittel, in dem interne Betriebsregeln zur Firmenphilosophie, zum Umgang innerhalb der Belegschaft und zum Verhalten gegenüber Kunden und Geschäftspartnern festgehalten sein können. Beispielsweise: Darf der Mitarbeiter die Flasche Wein oder den Kugelschreiber vom Kunden annehmen?
Die Whistleblowerhotline oder der Ombudsmann sind der nächste Baustein, mit dem Fehlverhalten und Verstöße gemeldet werden. Im dritten Schritt brauche ich dann aber auch Maßnahmen, um aufzuklären, was genau passiert ist. Wenn es tatsächlich Verstöße gab, muss schließlich sanktioniert und als letzter Schritt müssen Maßnahmen getroffen werden, um die Organisation zu verbessern. Nur eine funktionierende Kette signalisiert den Beschäftigten: „Eure Mithilfe ist gewünscht und aussichtsreich.“
Es gibt ausgehend vom allgemeinen Recht auf Meinungsäußerung ein Recht des Arbeitnehmers, solche Dinge anzuzeigen. Unter Umständen besteht aber sogar die Verpflichtung: Sie ergibt sich aus der allgemeinen Treue- und Loyalitätspflicht im Arbeitsverhältnis und greift besonders, wenn schwere Schäden vom Unternehmen abgewendet werden müssen. Letztlich ist es aber immer eine Einzelfallfrage. Auf der anderen Seite der Skala steht das Geheimhaltungsinteresse des Arbeitgebers. Gerade beim externen Whistleblowing droht ggf. der Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen. Das kann eine Straftat nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb sein. Bei missbräuchlichen Meldungen drohen dann wieder andere Straftatbestände: Verdächtigung, Beleidigung, Verleumdung.
Strafrechtlich gesehen muss der Mitarbeiter bei einem berechtigten Whistleblowing also nichts befürchten, wenn er sich an die Regeln hält. Auch arbeitsrechtlich ist der Arbeitnehmer grundsätzlich vor Sanktionen geschützt allerdings macht die erforderliche Abwägung der Umstände im Einzelfall es dem Arbeitnehmer oft schwer, die Grenzen des zulässigen Whistleblowings klar zu erkennen.
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