„Wir wollen Regionen, Unternehmen und einzelne Haushalte energetisch unabhängig machen“
Der Projektierer Juwi aus dem rheinland-pfälzischen Wörrstadt entwickelt ein regional orientiertes Erneuerbare-Energien-Projekt nach dem anderen – und wenn es sein muss, passend dazu auch gleich ein neues Geschäftsfeld. Der Lohn: rasantes Wachstum und 18 000 Bewerbungen pro Jahr. Die drei Vorstände Matthias Willenbacher, Fred Jung und Jochen Magerfleisch sind sich einig, „dass in Zukunft erneuerbare Energien 100 % des Energiebedarfs decken werden“. Es ginge nur noch darum, wie schnell das erreicht werde und wer die Energie erzeuge.
Juwi ist gefragt. „18 000 Bewerbungen hatten wir 2010, rund 350 neue Mitarbeiter stellten wir ein, Fluktuation gibt es praktisch nicht“, sagt Matthias Willenbacher, einer der drei Vorstände der Juwi-Gruppe im rheinland-pfälzischen Wörrstadt nahe Mainz. Das Unternehmen ist einer der führenden Spezialisten für erneuerbare Energien und gehört hierzulande zu den attraktivsten Arbeitgebern: Bei „Deutschlands beste Arbeitgeber“ landete Juwi unter den Top 20, bei der großen Studie von berufsstart.de unter allen deutschen Unternehmen auf Rang 61.
Kein Wunder: Was man bei Juwi sieht, macht klar, dass nicht nur das Geschäftsfeld Erneuerbare neue Arbeitnehmer lockt: die ganztägig geöffnete Kantine mit Produkten aus der Region, das 2008 für seine ökologische Gestaltung preisgekrönte Vollholz-Geschäftsgebäude, neben dem immer neue Erweiterungsbauten aus dem Boden sprießen, der Betriebskindergarten – täglich geöffnet von 7.45 Uhr bis 18 Uhr. Weitere Goodies: finanzielle Beteiligungsprogramme für die Belegschaft, ein Shuttlebus, der Mitarbeiter kostenlos abholt und nach Hause bringt, ein Besinnungsraum, ein
Beachvolleyball- und ein Fußballplatz mit Flutlichtanlage, wo unter anderem einmal jährlich der Juwi-Cup ausgetragen wird.
Letzteres ist kein Zufall: Willenbacher kickt jeden Samstag in einem Freizeitverein, „wo die Spieler nicht so ehrgeizig sind und vor allem Spaß haben wollen und Menschen verschiedenster Kulturen mitmachen“. Außerdem hat Willenbacher eine Partnerin. Mehr ist dem Manager, der auch im Dienst, wenn möglich, Trainingsjacke, Jeans und Turnschuhe trägt, zum Privaten nicht zu entlocken. „Ich will in meinem Leben ein paar Bereiche haben, die nicht öffentlich sind“, erklärt er bestimmt.
Früher einmal dachte der Landwirtssohn daran, Lehrer für Sport, Physik und Mathe zu werden – eine Verlegenheitswahl. „Ich wusste, dass ich nicht 365 Tage im Jahr im Stall stehen wollte. Mein Bruder hat Physik studiert, da habe ich das auch gemacht“, sagt er. Spaß bereitete ihm das nicht sonderlich. „Die Arbeit war zu weit weg vom Leben.“ Trotzdem schrieb er an einer Doktorarbeit in Physik, er baute „eine Art kleinen Teilchendetektor“.
Dann schlug das Schicksal zu: Erst riss beim Fußball Willenbachers Kreuzband, was ihn monatelang schachmatt setzte. Dann spielte ihm ein Freund versehentlich einen Virus auf die Festplatte mit der Dissertation, die Diskette mit der Sicherungskopie wiederum war unlesbar – die Daten perdu. Ohne das alles gäbe es Juwi wohl heute nicht.
Denn während seiner Zeit im Krankenhaus las Willenbacher einen Artikel über Windenergie. Und war fasziniert. „Damals hat es Klick gemacht“, erinnert er sich.
Weil sie beide Windmessungen vornahmen, lernte Willenbacher bald darauf den Agrarökonomen und Landwirt Fred Jung kennen, der nur wenige Kilometer entfernt ebenfalls auf einem Hof aufgewachsen war. Die beiden gründeten 1996 ein Zwei-Mann-Büro für die Projektentwicklung von Windparks – Juwi war geboren. Das Eigenkapital für das erste Windrad kam von acht Bekannten.
Jung und Willenbacher sind sehr unterschiedlich. Jung ist Familienmensch. Er wohnt mit Eltern, Ehefrau und fünf Kindern auf dem Hof und engagiert sich stark in der christlichen Kirche, deren Jugendlager ihn geprägt haben. „Fred hat noch andere Schwerpunkte in seinem Leben – für mich ist Juwi meine Berufung, aber Juwi funktioniert nur mit uns beiden“, sagt Willenbacher.
Bei Juwi übernimmt Willenbacher eher die Aufgaben in der Öffentlichkeit und kümmert sich verstärkt um Technologie und neue Projekte – so sponserte Juwi den Aufklärungsfilm rund um Erneuerbare Energien „The 4th Revolution“, in dem Willenbacher mitspielte.
Jung ist insbesondere für die Finanzen zuständig – gerade bei wachstumsstarken Firmen eine große Herausforderung. Auch hier gibt es eine klare Linie: Juwi ist und bleibt autonom und will nicht an die Börse, der Selbstbestimmung wegen. Inzwischen gibt es mit Jochen Magerfleisch noch einen dritten Vorstand für Holding-Aufgaben. Meinungsverschiedenheiten lösen die Manager, indem sie so lange miteinander reden und das immer wieder, bis ein Konsens gefunden ist. „Das geht meist schnell“, sagt Willenbacher.
Ein Holding-Management ist nötig, denn es entsteht ein neues Tochterunternehmen nach dem anderen, wann immer die Ausrichtung am Gesamtziel das nahelegt. „Wir wollen Regionen, Unternehmen und einzelne Haushalte energetisch unabhängig machen und sie in die Lage versetzen, ihren eigenen Strom zu erzeugen – sauber und preiswert“, erklärt Willenbacher die Marschrichtung.
„Es herrscht Konsens, dass in Zukunft Erneuerbare 100 % des Energiebedarfs decken werden“, betont er. „Es geht nur noch darum, wie schnell wir das erreichen und wer die Energie erzeugt: Großkonzerne, die gigantische Gewinne machen, oder autonome, regionale Produzenten, ob nun hier oder in Afrika. Die sogenannte Atomenergie-Brücke gibt es nur, damit die Großen aufholen können.“
Zuerst kam bei Juwi die Windenergie, dann auch Photovoltaik – inzwischen das wichtigste Geschäftsfeld –, schließlich Bioenergie. Dazu immer neue Bereiche, die die Kette zwischen regionaler Energieerzeugung und Verbrauch schließen sollen: grüne Mobilität, kleine Blockheizkraftwerke für Häuser, regional ausgerichtete Pelletswerke, Geothermie, kleine Wasserkraftanlagen, nachhaltiges Bauen.
Und – hier schließt sich der Kreis zum Ursprung der beiden Firmengründer, der Landwirtschaft – die Produktion eines sehr nährstoffreichen Humussubstrats: Palaterra.
Bei Ausgrabungen früherer Hochkulturen im Amazonas-Regenwald wurde eine sehr fruchtbare, von Menschen angesetzte Bodenart entdeckt, die aufgrund ihrer tief dunklen Färbung „Terra Preta“ genannt wurde. Viele Jahre haben Wissenschaftler versucht, den Code der Terra Preta zu entschlüsseln. Gelungen ist es schließlich dem Bodenexperten Joachim Böttcher.
Gemeinsam mit Böttcher hat Juwi ein Joint Venture zur Produktion und Vermarktung von Palaterra gegründet, der neuen Terra Preta. Am Hengsbachterhof im Donnersbergkreis ist im September 2010 eine Pilotanlage in Betrieb genommen worden (Jahresausstoß 1250 m3). Bald soll Palaterra auch im großen Stil erzeugt werden – in einer Anlage mit einer Kapazität von rund 50 000 t pro Jahr.
Inzwischen ist aus der Zwei-Mann-Bude ein Unternehmen mit 1200 Mitarbeitern und Niederlassungen in zwölf Ländern erwachsen. 2011 soll die Umsatzmilliarde geknackt werden.
Wie wird man mit so viel Wachstum fertig? „Mir helfen meine Überzeugung, das Richtige zu tun, Einfühlungsvermögen in die Bedürfnisse meiner Mitmenschen und gesunder Menschenverstand“, sagt Willenbacher.
Dann klingelt das Handy. Ein hochrangiger Vertreter einer Landesregierung ist dran. Er will mit Willenbacher über eine mögliche Niederlassung reden. Die Berufung ruft – Willenbacher ist auf und davon. ARIANE RÜDIGER
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