Heiko Mell 01.01.2016, 03:03 Uhr

Was halten Sie von einem Einstieg in die Unternehmensberatung als Jobanfänger?

In Kürze werde ich mein Studium abschließen. Mich würde die Arbeit bei einer namhaften Unternehmensberatung sehr interessieren. Ich verspreche mir eine vielseitige und herausfordernde Tätigkeit mit großen Perspektiven, allerdings verbunden mit enormem Reiseaufwand.

Im Moment reizt mich sicherlich die hohe Mobilität, jedoch habe ich aus Ihrer Karriereberatung gelernt, über den Tag hinaus zu denken und zukünftige Probleme zu erkennen.

Was wäre, wenn mir die Arbeitsbedingungen doch nicht gefallen (oder nicht auf Lebenszeit)? Wie sind die Aussichten, nach drei bis fünf Jahren aus der Beratung in die Industrie zu wechseln? Wo liegen verborgene Risiken?

Antwort:

Das Branchenspektrum „Unternehmensberatung“ ist groß, die – vielfach kleineren – Unternehmen sind höchst unterschiedlich strukturiert und bieten Unterschiedliches. Als Versuch einer Durchschnittsbetrachtung:

Die Einsätze der Berater erfolgen fast ausschließlich beim Kunden an dessen Dienstsitz. Der ist so gut wie nie mit dem Firmensitz der Beratung identisch. Also gehört die Hotelübernachtung von Montag bis Freitag überwiegend dazu. Manche Partner(innen) machen da Probleme, mancher Betroffene (Berater) akzeptiert das nur für eine begrenzte Zeit – andere wiederum genießen das „weltweite Flair“ und leben gern „aus dem Koffer“. Insbesondere bei den international renommierten Branchenführern sind die Anforderungen allein an den zeitlichen Einsatz sehr bis extrem hoch – nach einem langen Arbeitstag folgen Projektbesprechung und „Hausaufgaben“ für den nächsten Tag.

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Fachlich ist die Arbeit hochinteressant. Man lernt in kurzer Zeit viele Unternehmen kennen, hat dort Kontakt zu höchsten Entscheidungsträgern, löst hochkomplexe, anspruchsvollste Aufgaben. Die „großen Namen“ der Branche sehen sich selbst durchaus als etwas elitär, entsprechend hoch sind die Anforderungen.Nach etwa zwei bis drei Jahren fällt meist die Entscheidung. Der Berater versucht (überwiegend erfolgreich), seine Erfahrungen „draußen“ zu vermarkten und z. B. in der Industrie Karriere zu machen. Diesen Weg gehen sehr viele, die Unternehmensberatung wird oft als eine Art Traineeprogramm mit anderen Vorzeichen gesehen. Stets bleibt auch die Hoffnung, die aber keineswegs immer erfüllt wird, direkt von einem Kundenunternehmen ein Angebot zu bekommen.

Vorsicht ist geboten, wenn man zu lange bleibt: Unternehmensberater, die diese Tätigkeit nicht nur als Einstieg sehen, sind nicht so eindeutig beliebt und gesucht von und in der „Praxis“, wie man das meinen sollte. Operative Manager der „stationären“ Unternehmen haben z. T. ihre besondere Meinung über langjährige Berater, die „immer nur mit tollen Konzepten glänzen und längst wieder weg sind, wenn es an die Realisierung im Alltag geht“. Konkret: Berater haben keineswegs überall ein Spitzen-Image!

Die Alternative zum Wechsel nach den ersten Jahren ist die Karriere im Beratungsmanagement (bis zum Geschäftsführer) oder der Schritt in die Selbständigkeit. Aber Vorsicht: In beiden Fällen entscheidet die Fähigkeit zur Auftragsbeschaffung über Sieg und Niederlage. Wie überall, so reichen auch hier rein fachliche Fähigkeiten allein für eine Karriere nicht aus. Typische Unternehmensberater sind hervorragend im Studium, mehrsprachig, auslandserfahren, kontaktorientiert, verbindlich, präsentabel, diszipliniert und zeitlich wie räumlich absolut flexibel.

Für einen Jungakademiker mit Managementambitionen ist der Berufseinstieg in einer Unternehmensberatung absolut erwägenswert – wenn ihm die Sache liegt. Wer eh nur Sachbearbeiter bleiben will, kann sich den beträchtlichen Aufwand sparen.

Das Risiko liegt u. a. darin, daß der Durchschnittsanfänger nach ein paar Jahren wieder gehen – und damit eine Art Systemwechsel im Arbeitgeberstatus vollziehen will. Vorsichtige Naturen scheuen einen Start bei einem Arbeitgeber, bei dem sie keinesfalls bleiben wollen. Wie ist die Konjunktur auf dem Arbeitsmarkt in drei Jahren? Wer weiß das schon ….

Kurzantwort:

Für den hochqualifizierten, karriereinteressierten Einsteiger kann die Unternehmensberatung ein interessanter erster Arbeitgeber sein. Aber nicht jeder eignet sich für diesen speziellen Weg.

Frage-Nr.: 1228
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 44
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 1998-10-30

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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