Heiko Mell 01.01.2016, 03:16 Uhr

Warum bekomme ich keine Arbeit, obwohl ich mich schon auf fast alles beworben habe?

Ich lese natürlich auch die Karriereberatung, in der Sie Fragen mit weisen Antworten im Sinne eines Personalberaters beantworten. Natürlich interessiere ich mich für Ihre Antworten, zumal ich seit fast zwei Jahren arbeitslos bin. Leider hatte ich meinen hoffnungslosen „Fall“ nie für wichtig genug gehalten, Ihnen zu schreiben. Aus persönlichem Frust und aus Gründen der Ausweglosigkeit schreibe ich heute dennoch.

1. Warum bekomme ich keine Arbeit, obwohl ich mich schon auf fast alles beworben habe?

2. Mit welcher Arroganz werden seitens der Personalbüromitarbeiter Bewerbungsunterlagen mutwillig zerstört und dann zurückgeschickt? Denn es ist doch wohl logisch, daß ein Arbeitsloser sich weiter bewirbt. Eine Bewerbungsmappe kostet mich ca. 8 – 10 DM, ich habe mich in zwei Jahren ungefähr 100 x beworben. Ich erkenne keinen logischen Zusammenhang. Ich bewerbe mich doch nicht, weil ich so viel Geld habe, sondern weil ich Geld verdienen möchte.

3. Ich bin 39 Jahre alt, habe ständig ca. 5 – 6 Bewerbungen laufen, auch über Personalvermittler. Ich weiß auch, daß meine letzten Zeugnisse nicht sehr gut sind. Leider hätte ich auf die Formulierungen sogar Einfluß gehabt, habe sie aber aus Leichtsinn und wegen fehlenden Weitblicks geduldet.

4. Mein Hobby ist alles rund um die Börse und ich weiß, daß viele junge Kundenberater „mir nicht das Wasser reichen können“. Aber ich bin ja keiner vom Fach und bei der Bank oder Sparkasse kann kein Personalchef meine Fachkompetenz erkennen.
Ich könnte noch viel mehr über meinen Frust schreiben, aber leider ist die Seite zu Ende.

Mein Wunsch: Ich möchte Ihre Kollegen, die mein Geld (meine Bewerbungsunterlagen) zerstören, als Langzeitarbeitslose sehen.

Antwort:

Ich kann, dies vorweg, völlig problemlos alle Ihre Fragen beantworten. Ob dann Ihr Problem gelöst ist, bleibt abzuwarten. In jedem Fall muß eine Lösung von Ihnen ausgehen – „die anderen“ werden nichts für Sie tun. Damit stehen Sie nicht allein: Für mich tun „die“ auch nichts, ich muß ständig im Sinne der „Spielregeln“ arbeiten. Letztere sind wichtig: Auch als Fußballspieler, der entgegen den Spielregeln öfter den Ball mit der Hand spielt, dauernd vom Platz gestellt wird und sich dann wundert, warum ihn niemand mehr spielen läßt, wird man nicht auf viel Verständnis stoßen.

Ich versuche hier einmal bewußt eine spezielle Therapie: Ohne mich mit Verständnisbeteuerungen für Ihr schweres Schicksal aufzuhalten, sage ich Ihnen knallhart, was nach meiner Meinung gesagt werden muß – und darf. Und dann liegt es an Ihnen, etwas daraus zu machen.

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Erwähnt werden muß zum besseren Verständnis, daß Sie FH-Ingenieur sind und aus den neuen Bundesländern stammen (Ihre Ausbildung lag vor der Wiedervereinigung; es hat also keinen Zweck, Ihnen vorzuwerfen, Sie hätten sich als junger Mann halt für eine Karriere an der Börse ausbilden lassen sollen – die damals bei Ihnen herrschende „Partei“ hätte glatt der Schlag getroffen ob solchen Ansinnens).

Bleiben wir bei Nr. 4: Vergessen Sie das, behalten Sie die Börse als Hobby. Die Regeln sind klar: Als Angestellter haben Sie nur eine Chance, wenn Ausbildung und Erfahrung zum Job passen. Ihre passen beide nicht – Ende. Jede Minute des Gejammers wäre vergeblich. Ich bin ein verhältnismäßig intelligenter Mensch und durchaus vielseitig begabt. Aber „die“ nehmen mich – beispielsweise – nicht einmal als Grundschullehrer, der kleinen Kindern Lesen und Schreiben beibringen muß. Keine entsprechende Ausbildung – keine Chance. Und ich versichere Ihnen: die Kleinen würden Deutsch lernen, daß es nur so raucht (was vielleicht gar nicht erwünscht ist, na lassen wir das).

Ernsthaft: Banken verwalten das Geld fremder Leute und sind zur extremen Sorgfalt verpflichtet. Die Anleger würden schön toben, ließe die Bank ihr Geld von arbeitslosen Ingenieuren verwalten, die als Hobbybörsianer tätig werden. Ich will, daß mein Arzt, mein Kfz-Werkstattleiter und mein Bankberater „gelernte Profis“ sind. Sonst bin ich dort Kunde gewesen (und Eltern wollen, daß ihre Kinder von „richtigen“ Lehrern unterrichtet werden).

Aber ich kann Ihr Zentralproblem lösen und Frage Nr. 1 erschöpfend beantworten:
Sie haben mir Ihre letzten drei Arbeitszeugnisse beigelegt. Das älteste stammt aus 1991 und sagt (nach durchaus positiver Beurteilung): „Herr … verläßt das Unternehmen aus persönlichen Gründen.“ Das bedeutet: Ohne jegliche sachliche Notwendigkeit, sondern weil persönliche Belange irgendwelcher Art von Ihnen höher gewertet werden als berufliche. Das ist schon einmal kein guter Anfang in den Augen potentieller Arbeitgeber (Bewerbungsempfänger).

Das mittlere Zeugnis stammt aus 1993, beschreibt 2,5 Jahre als Konstruktionsingenieur bei einer Firma in Westdeutschland – und ist, verzeihen Sie, hundsmiserabel (und das ist schon geschönt ausgedrückt). Es ist extrem kurz, allein das ist kein gutes Zeichen. Dann gibt es überhaupt nur einen einzigen Satz, der etwas Wertendes enthält: „Er erledigte seine Aufgaben mit großer Sorgfalt und Genauigkeit.“ Ende, aus. Nicht einmal angedeutet wird, daß Sie die Arbeit auch gut gemacht haben und daß Ihr Chef zufrieden war.

Schließlich folgt noch die arbeitgeberseitige Entlassung aus „wirtschaftlichen Gründen“. Niemand wird das glauben. Man wird annehmen, das Unternehmen hätte die Chance genutzt, sich „bei der Gelegenheit“ von einem Mann zu trennen, über dessen Arbeitsresultate es nichts Positives zu sagen gab.Das dritte Zeugnis stammt aus 1995. Bei einem Westunternehmen waren Sie in einer ostdeutschen NL beschäftigt, eingesetzt als „Ingenieur“ in verschiedenen Projekten. Der Kernsatz lautet: „Mit der Güte seiner Arbeitsergebnisse waren wir im allgemeinen zufrieden.“ Und dann steht da noch: „… scheidet am … aus unserem Unternehmen aus.“ Das wird ohne jeden Zweifel interpretiert als: „Wegen unzureichender Leistungen entlassen.“ Und das ist schon für sich allein schlimm genug, im Verbund mit den beiden anderen Dokumenten ergibt sich ein katastrophales Gesamtbild.

Inzwischen kommt die zweijährige Arbeitslosigkeit dazu. Damit also ist die Ursache klar erkennbar: Sie sind von den letzten Arbeitgebern derart kritisch beurteilt worden, daß nach den Regeln des Marktes kein neuer Chef den Mut hat, es noch einmal mit Ihnen zu versuchen (jedenfalls in Positionen mit entsprechenden Anforderungen). Schlimmer noch: Er müßte mit Vorwürfen seiner Vorgesetzten rechnen, täte er es denn.

Das alles ist allgemein bekannt und wird u. a. in dieser Serie seit dreizehn Jahren veröffentlicht, die ersten zehn Jahre davon sind zusätzlich in Buchform erschienen. Und ich habe noch mehr getan: In meinem jüngsten Buch, das auch aus der Arbeit an dieser Serie entstand, habe ich versucht, die wichtigsten Grundregeln schlagwortartig zusammenzufassen, jeder kann dort nachlesen, wie das System funktioniert. Da lautet z. B. die Regel 67:

Unzufriedenheit des Chefs mit der Leistung des Mitarbeiters ist „tödlich“.Und in der darunterstehenden Erläuterung heißt es u. a.: „Bewerbungsempfänger mögen keine Kandidaten, die “Ärger“ hatten mit früheren Chefs – von Bewerbern mit Leistungsmängeln jedoch lassen sie unter allen Umständen die Finger.“ (Heiko Mell, Spielregeln für Beruf und Karriere, ursprünglich im VDI Verlag erschienen, ISBN 3-18-401577-7, Bestelladresse: Springer-Verlag, Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin. Und bei der Gelegenheit. Wer mir jetzt Werbung in eigener Sache vorwirft, hat natürlich recht. Aber es ist ein kleines Taschenbuch für etwa 30,00 DM, ich lebe wirklich nicht von dem Autorenanteil am Verkaufspreis. Aber es ärgert mich ganz einfach, wenn Menschen so tun, als wüßten sie nicht, woran sie scheitern – wenn es doch so einfach nachzulesen ist).

Wie ich an anderer Stelle oft gesagt habe: Wenn sich ein Angestellter mit dem Chef nicht verträgt, ist das schlimm (für ihn). Wenn er sich hinreißen läßt, verbale Auseinandersetzungen über „Persönliches“ mit dem Vorgesetzten zu führen, ist das noch schlimmer. Aber wenn er es zuläßt (z. B. durch seine Arbeit im Tagesgeschäft), daß man ihm Leistungsmängel oder -schwäche bescheinigt, entzieht er damit seiner Angestelltenexistenz dauerhaft die Grundlage.

Bitte glauben Sie mir, daß ich sehr wohl nachfühlen kann, wie Sie unter Ihrer Gesamtsituation leiden (müssen). Ich wehre mich nur gegen Ihre anklagend formulierte Frage Nr. 1. Die Geschichte ist klar, die Regeln sind veröffentlicht, die Bewerbungsempfänger reagieren folgerichtig und vorhersehbar – da bleibt nichts offen an Unklarem, Geheimnisvollem etc.

Jeder Arbeitnehmer in Deutschland muß am ersten Tag seiner Berufstätigkeit wissen: Niemals, überhaupt nicht und unter keinen Umständen, darf er sich mangelhafte Leistungen verwerfen lassen. Wie er das macht, ist ziemlich gleichgültig. Ein Weg dahin ist es, stets gute Arbeit zu leisten.

Natürlich kommt irgendwann die Frage auf, ob denn die Zeugnisbeurteilungen auch „gerecht“ seien, ob es nicht sein könne, daß ein bösartiger Chef hier …. Einmal spricht die Häufung dagegen – und dann will das auch niemand hören. Da schon Schulkinder dazu neigen, schlechte Noten vorzugsweise den „ungerechten“ Lehrern anzulasten, wäre das Argument als „Ausrede“ abgestempelt.

Bleibt Frage 2: Ich versichere Ihnen, daß niemand hier mit Vorsatz so handelt und Ihre Unterlagen verdirbt. Merkwürdigerweise jedoch ist dieses Denken in manchen Bewerberkreisen nicht unüblich. Auch ich erinnere mich an z. T. wütende Briefe, in denen ich bezichtigt werde, Stellenanzeigen nur deshalb in Zeitungen aufzugeben, um mich hinterher an widerrechtlich einbehaltenen Plastikhüllen oder Büroklammern(!) rechtloser Bewerber bereichern zu können.

Das ist alles Unfug, die Vorwürfe resultieren natürlich auch aus der besonderen Situation des Langzeitarbeitslosen, der allzu leicht dazu neigt, eine Art „Verschwörung“ aller Beteiligten gegen ihn zu unterstellen.

Auch bei dieser Thematik ist alles ganz einfach: Nach den gängigen Regeln ist jede Bewerbung ein Unikat, das nur für diesen einen Fall erstellt und auf diesen ausgerichtet wurde. Anstandshalber schickt man dem Kandidaten im Absagefall zwar seine Unterlagen zurück – aber nur, damit er sie vernichtet. Die Mehrfachverwendung ist also eigentlich gar nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Erkennt der Empfänger eingereichte Unterlagen als „gebraucht“, hat er sofort einen schlechten Eindruck.

Dennoch gehen nun Personalabteilungen und -berater nicht etwa bewußt leichtsinnig mit Bewerbungen um. Im Standardfall werden pro zu besetzender Position vielleicht 100 Unterlagen mit der Post verschickt, ständig umgeschichtet, von der Hauspost weitergeleitet, in der Personalabteilung sortiert und registriert, sie fallen in großen Haufen beim Fachvorgesetzten vom Schreibtisch auf den Fußboden, werden in Schubladen gequetscht, schließlich in allzu leicht aufplatzenden Umschlägen zur Durchsicht ans Werk Posemuckel weitergereicht. Und dann sind sie hin.

Bei hohen Bewerbungszahlen können sich da für den einzelnen Absender schon Kosten addieren, das ist richtig. Mir scheint es wichtiger zu sein, durch sorgfältige Auswahl der angestrebten Stellen und natürlich durch Optimierung der Bewerbungstechnik zu versuchen, die Erfolgsquote zu erhöhen. Konkret: Wenn 100 Bewerbungen erfolglos blieben, hat es keinen Sinn, weitere 100 der gleichen Art um die gleichen Positionen zu verschicken.

Und damit sind wir bei einer Frage, die Sie gar nicht gestellt haben: Was können Sie jetzt überhaupt noch tun?

Meine Meinung dazu ist sicher hart, aber ich sehe kaum einen anderen Ausweg. Ich sage jedoch nicht, Sie sollen so handeln, ich zeige nur eine mögliche Alternative auf; Sie entscheiden über Ihr Tun!

Ich fürchte, klassische Bewerbungen um klassische Ingenieurpositionen sind in Würdigung der Gesamtumstände weitgehend aussichtslos. Nicht wegen der Konjunktur, sondern wegen Ihrer Unterlagen. Es bleiben also Bemühungen um Anstellungen außerhalb dieses klassischen, Ihrer Ausbildung entsprechenden Bereichs. Sie müssen hinein in den Arbeitsprozeß, egal wie, egal wo (und ohne Rücksicht auf Geld und Angemessenheit der Tätigkeit). Ich ginge an Ihrer Stelle als Monteur in Wechselschicht (beispielsweise) – und dann würde ich denen dort zeigen, was in mir steckt.

Was Sie zukünftig brauchen und sich erarbeiten müßten, ist der unantastbare Nachweis, über mehrere Jahre hinweg im Arbeitsleben ohne jede Beanstandung durch den Ihre Arbeitskraft „kaufenden Kunden“ (Arbeitgeber) funktioniert zu haben. die Leute dort (die oben, nicht die unten) müssen voller Begeisterung über Sie und(!) Ihre Leistung sprechen. Dann müßten Sie auf interne Beförderung setzen – und dürften hoffen, eines Tages wieder auf einer Ingenieurposition zu sitzen.

Die Regel lautet: Wer beispielsweise im Besitz einer Ingenieururkunde ist, erhält – quasi „auf Kredit“ – Ingenieuraufgaben übertragen. Man schaut dann in der Praxis, ob er sich dieser Vorschußlorbeeren auch würdig erweist. Der Mann, der sich da heute unter Ihrem Namen bewirbt, hat diesen „Kredit“ verspielt. Und bitte, suchen Sie die Ursachen für die Misere nicht vorrangig bei anderen. In meinem Alter lernt man, bei sich selbst damit anzufangen, auch ich mache das in der Beziehung zu meinen „kaufenden Kunden“ täglich.

Kurzantwort:

Die Antwort auf viele „brennende“ Fragen ist recht einfach, wenn man zumindest die allgemein zugänglichen Informationsquellen nutzt.

Frage-Nr.: 1243
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 44
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 1998-10-30

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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