Heiko Mell 01.01.2016, 03:21 Uhr

Wird eine Versetzung aus der Zentrale in ein Tochterunternehmen bei späteren Bewerbungen als Abstieg gewertet?

Frage: Mit großem Interesse verfolge ich Ihre Serie und habe dabei viele wichtige Anregungen für mich persönlich gewonnen.
Ich bin derzeit bei einer AG als Projektingenieur angestellt. Bis vor etwa einem Jahr habe ich entsprechende Aufgaben konzernweit von der Holding aus wahrgenommen.
Seit diesem Zeitpunkt bin ich – auf eigenen Vorschlag – durch den Vorstand zur forcierten Lösung eines Problems in ein Tochterunternehmen geschickt worden. Nun arbeite ich praktisch direkt der dortigen Geschäftsführung unterstellt. Dieses Projekt bindet etwa 90 % meiner Arbeitszeit und wird noch einige Jahre in Anspruch nehmen.
Mit meiner Arbeit bin ich sehr zufrieden. Es zeigen sich Erfolge, das Team ist in Ordnung. Ich habe zwar im Prinzip weder Vollmachten noch Personalverantwortung, leite jedoch praktisch ein kleines Team als Projektleiter und koordiniere dessen Arbeit nach Absprache mit der Geschäftsführung. Ich glaube, auch Vorstand und GF sind mit mir sehr zufrieden.Jetzt möchte man mich bei der Tochter als Angestellten voll übernehmen, das bedeutet eine Umstellung des Arbeitsvertrages von der Mutter zur Tochter, vermutlich ohne sonstige Änderungen. Die AG hat mir versichert, daß hinter dem Wunsch nach Vertragsänderung lediglich bilanztechnische Gründe stehen.
Da ich inzwischen weiß, daß mir das Arbeiten „vor Ort“ mehr Spaß macht als in der Zentrale, wäre eigentlich nichts gegen eine solche Entwicklung einzuwenden.

Allerdings bewegen mich doch noch Fragen:

1. Wird eine Versetzung aus der Zentrale in ein Tochterunternehmen X bei späteren Bewerbungen als Abstieg gewertet?

2. Ist es – um dem vorzubeugen – notwendig, bei einer solchen Gelegenheit einen auch vertragsseitig fixierten Karrieresprung bzw. erweiterte Vollmachten auszuhandeln?

3. Mit dem Personalchef der AG habe ich abgesprochen, daß ein Zwischenzeugnis ausgestellt wird. Ist der beigefügte Entwurf in Ordnung?

4. Die Annahme eines Vertrages mit dem Tochterunternehmen X beschneidet etwas meine Aktivitäten. Es gibt heute noch Projekte bei einer Tochter Y, in die ich integriert bin und die ich für meine fachliche Profilierung als bedeutend ansehe. Kann ich auf einer Lösung bestehen, die mir zumindest befristet eine weitere Mitarbeit gestattet (die Töchter X und Y könnten ja meine „Ausleihe“ vertraglich regeln).

5. Sollte ich, falls einer Regelung gemäß 4. nicht zugestimmt wird, mich als freier Mitarbeiter bei Y anbieten und dort z. B. während eines Teils meines Urlaubs arbeiten oder führt so etwas zu Irritationen?

Antwort:

Konzerne mit Töchtern gab es schon immer. Aber noch in den sechziger Jahren war die AG die „Hauptfirma“ mit den meisten Mitarbeitern, an der dann noch ein paar Töchter hingen. Aus Konzernsicht war ein Job bei der Mutter I., bei einer Tochter jedoch II. Wahl. Die Dinge haben sich geändert. Heute besteht der Standardkonzern häufig aus einer kleinen Holding (ohne operatives Geschäft) und vielen Töchtern. Die Mitarbeiterzahlen der Holding sind eher unbedeutend, Geld wird praktisch allein bei den Töchtern verdient (hat sich nur in manchen Branchen, z. B. der Kfz-Industrie, bisher als Prinzip nicht durchsetzen können).

Vor diesem Hintergrund müssen Sie Ihre Frage sehen: Früher hätte man eine Versetzung zur Tochter als Abschiebung verstanden, heute geht eine Standardkarriere von der Zentrale in die operative Tochtereinheit.

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Zu 1: Nein. Da der außenstehende Leser die konzerninternen Verhältnisse meist ohnehin nicht kennt, prüft er nur, inwieweit sich ggf. Aufgaben und Zuständigkeiten verbessert oder verschlechtert haben. Darüber hinaus ist die Versetzung ein neutraler Vorgang.

Zu 2: Es ist nicht notwendig; vielleicht läßt es sich auch gar nicht durchsetzen oder ein Versuch verärgert sogar den Tochter-Geschäftsführer. Aber schön wäre es schon, könnte im Lebenslauf anläßlich des zu nennenden neuen Arbeitgebers auch eine etwas hochwertigere Positionsbezeichnung stehen: beispielsweise „Projektingenieur“ bei der Mutter und „Projektleiter“ bei der Tochter. Aber es geht auch so – ohne Nachteile für Sie. Die ganze Geschichte ist ohnehin kein Arbeitgeberwechsel im üblichen Sinne (z. B. bei späteren Bewerbungen).

Zu 3: Absolut in Ordnung. Es ist uneingeschränkt positiv. Die Formulierungen sind u. a. „warmherzig“, die Formulierung „stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“ ist Top – und dennoch wirkt der (auf neutralem Papier ohne Unterschrift vorgelegte) Entwurf nicht so als sei er von Ihnen.

Zu 4: Nun wird es schwierig. Ich verstehe ja Ihr Interesse. Aber bestehen können Sie auf einer solchen Lösung keinesfalls, nur anregen dürfen Sie die.Eine Akzeptanz Ihrer Idee durch die X-GF hängt von vielerlei Dingen ab – u. a. davon, wie „grün“ man dem Y-GF-Kollegen ist. Vorsicht: X wird jetzt Ihr Arbeitgeber – alles andere geht nur mit Genehmigung der X-Geschäftsführung. Wenn die das nicht will, müssen Sie Ihr Vorhaben begraben.

Zu 5: Nein, vergessen Sie das. Tun Sie außerhalb von X nichts, wovon die X-GF nichts weiß und was sie nicht ausdrücklich (vorher) genehmigt hat. Außerdem: Die meisten Arbeitsverträge verbieten jede Art von Nebentätigkeiten, die mit Geld verbunden sind. Das gilt auch für Schwestergesellschaften im Konzern.Als abschließende Warnung: Sie müssen nun ein „X-Mann“ werden, voll und ganz. Noch sind Sie es innerlich nicht. Die Regel ist eindeutig: Wes Brot ich eß“, des Lied ich sing“.

Kurzantwort:

Die Versetzung von einer Mutter- zur Tochtergesellschaft ist – aus Karrieresicht betrachtet – grundsätzlich wertneutral, die „Begleitumstände“ (z. B. Auf- oder Abstieg) entscheiden.

Frage-Nr.: 1249
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 44
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 1998-10-30

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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