Warum bekomme ich Absagen auf meine Bewerbungen?
Ich bin 32 Jahre alt und als promovierter Ingenieur seit rund drei Jahren bei einer Tochtergesellschaft eines renommierten Konzerns als Gruppen- und Projektleiter in der Entwicklung von …komponenten beschäftigt. Mittelfristig strebe ich eine Position als Entwicklungsleiter bzw. eine Führungsposition im operativen Geschäft (z. B. Führung einer Projektabteilung) an.
Aufgrund aktueller Umstrukturierungen meines Arbeitgebers bin ich praktisch gezwungen, mich aktiv am Arbeitsmarkt umzusehen.
Nach dem Motto „Ausstieg mit Aufstieg“ habe ich mich extern auf zwei Positionen mit erweiterter Führungsverantwortung beworben – jeweils mit negativem Ergebnis. Ich hatte zumindest damit gerechnet, zu einem Gespräch eingeladen zu werden (Unterlagen anbei).
1. Habe ich zu „hoch gepokert“, bin ich noch nicht „reif“ für einen solchen Karriereschritt?
2. Was genau waren Gründe für die Absagen? Was könnte bzw. müßte ich tun, um meine Ausgangsposition kurz- und mittelfristig zu verbessern?
3. Oder sind es eher „Soft Factors“ in meinen Bewerbungsunterlagen, welche zu den Absagen geführt haben? Habe ich mich schlicht zu schlecht verkauft? Meine Frau kritisiert, in den Anschreiben fehle jeweils der „Drive“.
4. Bin ich möglicherweise überqualifiziert und „schimmert“ dies in den Unterlagen durch?
5. Ist es für mich überhaupt sinnvoll, weiterhin nach der „Taube auf dem Dach“ zu greifen, oder sollte ich mich nun verstärkt um Positionen gleichen Ranges bewerben bzw. auch den Schritt zurück zur Sachbearbeitertätigkeit einplanen? Wie würde ein solcher Schritt von späteren Arbeitgebern gesehen?
6. Ist denn nicht ein Ausstieg aus einem renommierten Konzernunternehmen nach bereits drei Jahren zu früh? Sollte ich also nicht unter allen Umständen versuchen, noch einige Jahre im Konzern zu bleiben (mein Geschäftsbereich könnte geschlossen werden, die Suche nach sinnvollen internen Alternativen wäre sicher schwierig)?
Antwort:
Ich bin fest davon überzeugt: Im Karrierebereich gehört die Zukunft den Menschen, die (Reihenfolge ist keine Rangfolge
)a)intelligent
b)leistungswillig
c)mit einer gesunden Portion Pragmatismus ausgestattet und
d)durchaus auch machtorientiert sind.
Ein Blick in Ihre Unterlagen zeigt: a können wir abhaken – Einser-Noten, soweit das Auge reicht. Ich habe hier schon öfter ausgeführt, daß dieser Aspekt oft mehr Probleme als Freude bereitet.
Den Punkt b unterstelle ich absolut – „von nichts kommt nichts“, nicht einmal die Super-Noten von der Schule bis zur Promotion.
Bleiben c und d. Dort nun habe ich meine Zweifel. Auf c komme ich noch, aber schon Ihr Brief gibt Hinweise, daß es an d mangelt. Karriere ohne Machtinstinkt ist kaum denkbar. Minimalvoraussetzung für letzteren ist Selbstbewußtsein.
Sehen wir es doch einmal so: Sie sind jung, haben schon einiges erreicht und aus früheren Jahren tolle Bewertungen vorzuweisen. Jetzt müssen Sie Ihren Arbeitsplatz verlassen und streben bei der Gelegenheit („wenn schon, denn schon“) extern nach oben. Das ist normal, das ist vernünftig, das ist regelgerecht, das tun alle (sonst wäre es ja nicht normal).
Gut. Dann unternehmen Sie zwei(!) Versuche, bekommen Absagen und fragen nach den Gründen. Auch noch gut. Aber gleichzeitig stellen Sie Ihre ganze Konzeption in Frage. Und Sie entwickeln sofort Alternativen. Was ein bißchen früh ist, aber immerhin. Jetzt aber gehen Sie in diesen Varianten nicht nur einen Schritt zurück. Statt eines „Ausstiegs mit Aufstieg“ erwägen Sie also nicht nur den Wechsel auf gleicher Ebene, sondern sogar denselben mit Zielrichtung weit nach unten.
Stellen Sie sich einen Bergsteiger vor, der versucht, einen mittelhohen Berg zu bezwingen. Mit zwei Versuchen, die ein Beobachter als „ohne Drive angegangen“ einstuft, kommt er nicht zum Ziel. Nun fragt er einen Fachmann und bietet gleich an: „Soll ich vielleicht lieber ein Loch in die Erde graben, statt hoch hinaus zu wollen?“ Das würde ein Mensch, der ebenso machtorientiert wie pragmatisch veranlagt ist, nie tun. Was ist ein Ziel wert, das Sie nach zwei gescheiterten Versuchen aufgeben?Hier steckt sicher auch ein bißchen Denkungsart vieler typischer Einser-Kandidaten drin. Für sie ist (oft) alles ein Modell. Alles ist denkbar, alles muß durchgerechnet werden können, alles was unter Einsatz von Intelligenz als Alternative erarbeitet werden kann, wird auch erwogen und durchgespielt. Das kann und muß man bei der Suche nach technischen Lösungen auch tun – das eignet sich aber nicht als Lebens- und Berufsphilosophie eines Menschen, der die Managerlaufbahn anstrebt.
In diesem Bereich muß der Mensch etwas wollen, muß Ziele mit aller Kraft anstreben – und nicht als kühler Denker gleichzeitig alle Varianten der Niederlage durchspielen. Dieses Denken in Modellen ist – wissenschaftlich. Reine Wissenschaftler sind aber oft schlechte Machtpolitiker und eher weniger gute Manager.
Zu Ihrer grundsätzlichen Situation: Junge Akademiker gehen oft nach den ersten drei Jahren. Dabei haben Sie sogar noch einen guten Grund dafür. Also sollten Sie sich aus noch ungekündigter Situation eine neue Position suchen. Krampfhaftes Verbleiben auf „Druckposten“ im Konzern taugt nichts. Gäbe es ein rundum positiv zu sehendes internes Angebotwäre das externen Alternativen allerdings vorzuziehen (wegen der Dienstzeit insgesamt – als Polster für spätere „schlechte Zeiten“).
Nun zur Bewerbung (ich konzentriere mich auf die obenliegende, für beide fehlt hier der Raum). Zunächst zur Stellenanzeige des Beraters, in der Position und Anforderungsprofil beschrieben werden:Es ging um einen konzerngebundenen Mittelständlerder „anspruchsvolle Systeme“ auf Ihrem Gebiet entwickelt, produziert und vertreibt und nun den „Leiter Entwicklung und Projektsteuerung“ sucht, der die Systementwicklungsgruppe führt, also eine Art Gruppenleiter ist.Gefragt waren ein Studium („FH oder TH“), mehrere Jahre R+D-Erfahrung, Personalführungspraxis und diverse DV-Kenntnisse.
Beginnen wir mit dem Anschreiben, das Ihrer Bewerbung beiliegt:
Der erste Absatz lautet: „Wie ich der …-Zeitung entnehmen konnte, suchen Sie einen Leiter Entwicklung und Projektsteuerung im Bereich …systeme für die …technik. Aufgrund meiner Ausbildung und meines bisherigen beruflichen Werdeganges glaube ich, Ihren Anforderungen gerecht werden zu können.“
Wertung: Was im ersten Satz steht, weiß der Leser schon. Die pauschale Behauptung im zweiten Satz interessiert niemanden. Wer als Profi anfängt, Bewerbern zu glauben, die pauschal behaupten, allen Anforderungen zu entsprechen, wäre erledigt. Also: Informationswert null, Langweilfaktor extrem hoch. Stellen Sie sich vor, der arme Empfänger muß hundert Bewerbungen lesen – und alle würden so anfangen. Und: Kompliment an Ihre Frau.
Der zweite Absatz: „Nach meinem Studium der … an der … habe ich an der Universität … im damals neu eingerichteten Fachgebiet … im Rahmen einer Industriekooperation mit einer Arbeit zum Aufbau moderner …systeme promoviert. Die Ergebnisse mündeten in zwei Patenten sowie zahlreichen Tagungsbeiträgen und Veröffentlichungen. Ein weiterer Schwerpunkt meiner wissenschaftlichen Tätigkeit …“
Kennen Sie meine „Schloß-Schlüssel-Theorie“? Danach ist die ausgeschriebene Position ein (Tür-)Schloß, das durch die Anzeige exakt definiert ist, so wie durch eine technische Beschreibung ein Werkstück definiert wird. Und die optimale Bewerbung ist ein Schlüssel, der paßt.
Achtung! Letzteres heißt: Fünf „Kerben“ im Schloß suchen fünf „Zacken“ am Schlüssel. Nicht sechs, schon gar nicht sieben. Und „passend“ läßt sich nicht steigern! Eher im Gegenteil: Ein „Zacken“ zuviel – und aus ist es mit dem Passen.Hier nun war ein „FH- oder TH-Ingenieur“ gefragt. Als ideal müßte einer zwischen diesen beiden Grenzen gelten (darf man schließen, aber den gibt es nicht). Also sagt der Praktiker: ein sehr guter FH- oder ein noch ziemlich guter TH-Absolvent, das wäre es gewesen.
Nicht jedoch kann hier ein Einser-TH-Mann, schon gar nicht ein promovierter Idealkandidat sein. Nun, eine(!) Abweichung vom Idealprofil darf sein, sagt die Faustregel. Aber: Wenn hier ein FH-Ingenieur direkt angesprochen ist, wird es dann besonders klug sein, auf der Promotion (die hier ein „sechster Zacken“ am Schlüssel ist) auch noch verbal herumzureiten – bevor noch irgend etwas über die hier alles entscheidenden Erfahrungen aus praktischer Tätigkeit gesagt wurde? Das ist nicht nur ein überflüssiger „Zacken“ – da hängt auch noch ein Pfeil daran mit der Aufschrift: „Ich habe einen anderen Schlüssel als Sie ihn wollten.“ Das mußte doch nicht sein!
Im dritten Absatz dann stellen Sie Ihre praktische Erfahrung aus heutiger Tätigkeit vor. Das müßte Sie eigentlich interessant machen, soweit ich das beurteilen kann. Sie beschreiben Ihre derzeitige Tätigkeit/Funktion und sprechen Details der Fachqualifikation an. Mit dem Absatz hätten Sie anfangen sollen!
Danach kommt wieder Ungewöhnliches: „An der IHK … habe ich die Prüfung zum Fremdsprachenkorrespondenten Englisch/Wirtschaft erfolgreich absolviert.“ Es folgen dann Hinweise auf den ständigen beruflichen Gebrauch dieser Sprache. In der Sache ist das gut, aber normalerweise werden promovierte Ingenieure keine Fremdsprachenkorrespondenten mehr. Lassen Sie das raus aus der Bewerbung, auch aus dem Lebenslauf. Schreiben Sie, wie gut Sie Englisch sprechen, das reicht. Diplome sind nicht alles. Alle Engländer z. B. haben gar keine über ihr Englisch, man glaubt es ihnen dennoch.
Schließlich folgt: „Zur Erweiterung meines betriebswirtschaftlichen Horizonts besuche ich derzeit verschiedene Kurse an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie.“ Lassen Sie unter allen Umständen die Begründung weg – die Leser wissen schon, warum eine technische Führungskraft solches Wissen erwirbt. Aber diese ewigen Kurse! Haben Sie neben der Arbeit so viel Zeit (wird sich der Leser fragen)? Also auch hier: „Zusätzlich habe ich mir betriebswirtschaftliches Grundwissen angeeignet“ – das reicht.
Am Schluß steht eine Angabe zum Ist-Einkommen und zur Kündigungsfrist. Das Einkommen ist ein bißchen hoch für den gesuchten Leiter einer Gruppe (klar, Sie sind das ja heute schon – und das auf deutlich höherer Qualifikationsbasis als hier minimal gefordert wird).
Im Lebenslauf fehlt das Foto, das findet sich dann einsam auf einem weißen Blatt dahinter. Tun Sie das nicht, so bekommt dieses Bild eine Bedeutung, die es hier nicht hat.
Dann steht an vier verschiedenen Stellen „Abschlußnote: sehr gut“ (und einmal, beim Fremdsprachenkorrespondenten, „gut“, das fällt direkt unangenehm auf).
Das ist zu viel, das deprimiert ja Normalbegabte (oder Leute mit normalbegabten Kindern). Lassen Sie das alles weg, der Leser findet die Noten dann schon in den Zeugniskopien. Aber bei niemandem, der auch einen FH-Ingenieur genommen hätte, dürfen Sie sicher sein, daß er auch einen Dr.-Ing. mit so vielen Supernoten liebt (vielleicht hat er sogar Angst vor dessen Ansprüchen).
Seien Sie dann auch vorsichtig mit Ihren Hinweisen auf allzu viele Veröffentlichungen. Die üblichen Aufzählungen aus der Promotionszeit brauchen Sie nicht mehr (wegen der Berufspraxis) – und vielleicht mag der mittelständische Arbeitgeber ja lieber einen Praktiker, der Resultate auf die Beine stellt als einen Wissenschaftler, der langatmig darüber schreibt (was ein bißchen überspitzt ist; siehe aber „Mittelständler“).
Fazit: Sie haben, vermutlich aus nichtakademischem Elternhause kommend (was keine Wertung einschließt!), sehr viel erreicht. Bisher vor allem in Sachen Ausbildungsqualifikation. Nun aber gilt es, sich in der Praxis optimal zu verkaufen. Zielgruppenorientiert, wie ich warnend hinzufügen muß.
Dazu gehört, daß man schweren Herzens auch einmal einen „Zacken“ aus seinem Qualifikationsschlüssel abfeilt (und beispielsweise auch einmal etwas wegläßt, was man eigentlich auch noch gern vorgezeigt hätte) – wenn denn das Zielpositions-„Schloß“ dafür keine Kerbe hat. Ich weiß, das kostet das schiere Herzblut …
Am besten passen Sie natürlich zu einer Position, die genau das fordert, was Sie mitbringen. Aber wenn es die nicht gibt, müssen Sie sich eben „passend machen“.
Im vorliegenden Fall ist auch noch eine ganz einfache Erklärung für die Absage denkbar – oder sie addiert sich zu anderem: Sie sind Gruppenleiter und dafür gut bezahlt. Sie bewerben sich um die Leitung einer Gruppe, der neue Job wäre kein Fortschritt. Sie müßten aus dieser Argumentation heraus nicht tiefersondern höher greifen!
Kurzantwort:
Die optimale Bewerbung muß in allen Formulierungen in Anschreiben und Lebenslauf auf die Zielposition (Anzeige) ausgerichtet werden. Bei der Darstellung der eigenen Qualifikation gilt keinesfalls „Viel hilft viel“.
Frage-Nr.: 1329
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 43
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 1998-10-23
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