Heiko Mell 01.01.2016, 04:21 Uhr

Genießt die Promotion in Deutschland immer noch einen höheren Stellenwert als der MBA-Abschluß?

Wir sind zwei Studenten (TU, Produktionstechnik, 7. Semester), die Ihre Karriereberatung regelmäßig und mit großem Interesse verfolgen.
In 1,5 Jahren werden wir unser Studium abschließen und stehen vor der Wahl, entweder zu promovieren oder ein Traineeprogramm in einem Unternehmen zu absolvieren. Sollten wir den Einstieg in die freie Wirtschaft wählen, so haben wir vor, nach einigen Jahren Berufserfahrung einen MBA-Kurs zu besuchen.

– Alter bei Studienabschluß: 24 bzw. 25 Jahre,
– Vordiplom 2,0, bisherige Hauptstudium-Leistungen gut bis besser,
– viele Praktika (teilweise im englischsprachigen Raum)
– Auslandssemester in England,
– geplant: zusätzliche Praktika in Frankreich,
– geplant: Diplomarbeit im englischsprachigen Raum.

Wir wissen, daß für die meisten Top-Positionen in der freien Wirtschaft der Dipl.-Ing. nicht ausreicht. Da wir aber möglichst weit „nach oben“ kommen wollen, ist uns klar, daß wir noch einen weiteren Abschluß machen wollen (wir sind im Vergleich zu unseren Studienkollegen relativ jung).

Daher unsere Frage: Promotion oder MBA? Genießt die Promotion in Deutschland immer noch einen höheren Stellenwert als der MBA-Abschluß (und warum)? Wie verhält sich das im europäischen Ausland (wir sind nicht auf Deutschland beschränkt)?

Antwort:

Fangen wir einmal mit einem Aspekt an, den Sie sicher nicht erwartet haben:

Sie sind zu zweit, haben bisher alles gemeinsam gemacht. Mein dringender Rat lautet: Hören Sie auf damit, am besten sofort, auf jeden Fall aber bei diesem Problem. Oh, nichts gegen enge Freundschaft, ganz im Gegenteil. Aber zwei Freunde sind in jedem Fall zwei verschiedene Menschen. Mit ähnlichen, aber nicht identischen Zielen, mit ähnlichen, aber nicht identischen Vorlieben und – das garantiere ich: mit durchaus unterschiedlichen Stärken und Schwächen.

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Nun ist es so, daß die enge Gemeinschaft, die gerade Studenten oft pflegen, leicht zu gemeinsamen Handlungen und Entscheidungen (ver-)führt. Gefördert wird das durch die stärkere Persönlichkeit des einen oder durch seine bessere Rhetorik und durch den gemeinsamen Wunsch, so lange wie möglich zusammenzubleiben.

Schließlich gilt es für zwei verschiedene Menschen, einen Kompromiß zu schließen. Und der ist entweder für einen der beiden schlecht – oder für beide nicht optimal. Als Trost: Auf Dauer funktioniert das ohnehin nicht. Spätestens bei der Erstanstellung gehen Sie zwangsläufig verschiedene Wege.

Also achten Sie auf diese Gefahr. Und planen Sie gegebenenfalls gemeinsam, diskutieren Sie über alles – aber handeln Sie getrennt. Sie können ja dennoch Freunde bleiben.

Nun zum Promovieren. Es ist dies ein typisch deutsches Thema. Sehen Sie, ob Sie Facharbeiter sind oder TH-Ingenieur, die Bäckersfrau sagt „Herr Müller“ zu Ihnen, wenn Sie Ihre Brötchen holen. Nur ab dem nächsten kleinen Qualifikationsschritt weiter nach oben sagt sie „Herr Doktor“ – und das hat schon etwas. Und wer jetzt meint, ich nähme das nicht so furchtbar ernst, der irrt diesmal. Denn das Thema ist vielschichtig. Und die Schichten, auf denen „Emotion“ steht, überwiegen dabei.

Vor allem aber: Es höret nimmer auf (das Thema). Seit sehr vielen Jahren berate ich – irgend jemand hat sich das ausgedacht – auch angehende Jungingenieure in Gruppen. So fünf bis zehn Gruppenmitglieder kommen zur Tür herein und dürfen etwa eine halbe Stunde lang fragen, was sie wollen (dann kommen die nächsten). Und Sie können Wetten darauf abschließen: Einer bis zwei fragen immer, ob sie promovieren sollen.

Ein dankbares Thema, ein Dauerbrenner also. Und so schwierig. Denn hier, wo wir öffentlich darüber diskutieren, lesen Promovierte (die natürlich niemals sagen werden, es sei unnötig oder nicht lohnend gewesen) und Menschen, die schon gewollt hätten, die aber die Voraussetzungen nicht haben, die man in unserem Lande immer noch nötiger braucht als Fähigkeiten (und die es überhaupt nicht witzig fänden, höbe jemand hier die Promotion in den Himmel). Und dann jene, die damals gedurft hätten, aber die Umstände waren dagegen oder sie haben eine Entscheidung getroffen, die sie heute bereuen, was sie aber niemals eingestehen würden. Es gibt Gescheiterte, die führen das auf den fehlenden Titel zurück. Und Gescheiterte, die freuen sich, daß sie wenigstens ihren Doktor haben („meine wissenschaftliche Qualifikation kann mir niemand nehmen“). Ich sage ja: vielschichtig.Und deshalb gibt es gerade hierzu niemals nur eine Meinung.

Da wir in dieser Serie tatsächlich schon einige Wochen ohne „Promotion oder nicht“ ausgekommen sind, liste ich einfach einmal auf, was mir spontan dazu einfällt. Gewichten Sie die Aussagen individuell und treffen Sie dann Ihre Entscheidung. Aber seien Sie wachsam: Ich bin Partei, denn ich habe den Titel nicht. Wer ihn hätte, wäre aber auch Partei – so schwierig ist das. Falls später einmal darüber diskutiert wird, sind schnelle Zugriffsmöglichkeiten wichtig. Also numeriere ich die Argumente, aber die Reihenfolge ist keine Rangfolge:

1. Der zeitliche Aufwand ist enorm hoch – und eigentlich kaum zu verantworten. An „guten Unis“ (es gibt keine schlechten, ich weiß) dauert es fast so lange wie der 2. Weltkrieg (keine Panik, es ist nur ein zeitlicher Vergleich).

2. Wer nur auf Wirtschaftlichkeit achtet, wird merken: Es „rechnet“ sich nicht. Wer „gut“ ist, kommt ohne Dr.-Titel in jenen fünf Jahren so weit, das holt der durchschnittliche Promovierte weder vom Einkommen noch von der Karriere her ein.

3. Daß so viele Spitzenmanager promoviert haben, beweist noch nichts: Das sind Leute, die gewohnt sind, überall das Maximum zu erreichen. An der Uni halt auch noch den Doktor, in der AG auch noch den Vorstand. Nahezu alle hätten es bis in diese Hierarchieebene auch ohne Titel geschafft – wegen ihrer Persönlichkeit.

4. Es gibt Laufbahnen, die setzen eine Promotion nahezu zwingend voraus, bei anderen beruflichen Schienen ist der Dr. zumindest sehr, sehr förderlich (Universitätslaufbahn, FH-Professur, Forschungsinstitut, F + E-Bereiche der Industrie).

5. In einigen Branchen dominieren Akademiker, die nahezu „automatisch“ promovieren. Daneben wirken nichtpromovierte andere Akademiker fast ein bißchen „verloren“(chemische Industrie, Pharmazie).

6. Gesellschaftlich ist der Titel in Deutschland immer noch nützlich, das Ausland denkt da z. T. weitgehend „offener“.

7. Manche Startposition (z. B. Vorstandsassistent) bekommt man mitunter leichter mit Titel, in konjunkturell schwierigen Zeiten jedoch haben promovierte Akademiker oft besondere Probleme: Sie können praktisch niemals auf Jobs ausweichen, die auch für FH-Absolventen ausgeschrieben wurden.

8. Alle Personalentscheidungen werden von Menschen getroffen. Die meisten davon nehmen sich selbst als Maßstab. So wird ein promovierter Manager instinktiv die Bewerbung eines promovierten Bewerbers besonders wohlwollend prüfen, während ein FH-Ingenieur als Entscheidungsträger auch schon einmal vor der „ranghöheren“ Qualifikation zurückzucken kann (kann!).

9. Auf vierzig Jahre Berufsleben bezogen gilt: Es gibt keine seriöse Vorhersage über diesen Zeitraum! Wir wissen ja nicht einmal, wie nächsten Monat das Wetter sein wird. Bis Sie pensioniert werden, dürften Fragen eine Rolle spielen, da kennen wir heute noch nicht einmal das Problem, geschweige denn die Lösung.

10. Wenn Sie hier das entscheidende Sachargument noch nicht gefunden haben, dann stellen Sie sich vor den Spiegel und fragen Sie sich, ob Sie gern „Dr.“ wären. Sagen Sie das Resultat niemandem, aber handeln Sie entsprechend. Schließlich können Sie immer noch sagen, der Titel bedeute Ihnen gar nichts – wenn Sie ihn erst haben.

So, nun zum MBA: Er ist keine deutsche Institution. Und er ist viel mehr Qualifikation als Titel (der Dr.-Ing. ist Qualifikation und Titel). Die englischsprachigen Länder schätzen ihn, also wird er sich auch hier durchsetzen. Und: Im Ausland „versteht“ man ihn vielfach besser als eine (nahezu) typisch deutsche Konstruktion.

Für Sie gilt auch: Sie wollen ins Ausland; Produktionstechniker müssen sogar ins Ausland (schon wegen der vielfachen Fertigungsverlagerungen). Dort wird der MBA problemlos richtig gewertet werden. Und meine Prognose: In zehn Jahren wird der MBA hier viel dazu gewonnen haben – aber auch der Dr.-Ing. wird immer noch sehr viel bedeuten. Also können Sie eigentlich wenig „richtig falsch“ machen.

Kurzantwort:

Es gibt kein pauschales „Richtig“ oder „Falsch“ in der Frage einer Promotion – nur ein individuelles Abwägen.

Frage-Nr.: 1342
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 46
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 1998-11-13

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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