Warum brauchen die Firmen so lange im Bewerbungsprozess?
Ich habe gerade einen Bewerbungsprozeß abschließen können. Mit dem Erfolg (Vertragsangebote) bin ich durchaus zufrieden. Aber verwundert hat mich, gelinde gesagt, die Bearbeitungsdauer in den Unternehmen. Das dauert z. T. Monate, bis eine Entscheidung fällt. Verstehen kann ich das nicht: Was ist so schlimm daran, meine Bewerbung zu lesen, mich einzuladen, mir einen Vertrag (oder eine Absage) zu senden – und fertig. Kann ich als Bewerber etwas tun, um diesen ja auch für mich unerfreulichen Prozeß zu beschleunigen?
Antwort:
Letzteres zuerst: nein. Sie können so gut wie gar keinen Einfluß nehmen auf den restlichen Ablauf. Halt, da fällt mir doch noch etwas ein:
Sie könnten – wie andere Bewerber natürlich auch – vorher(!) überlegen, ob Sie zum Umzug bereit sind. Und Sie könnten das mit Ihrer Ehefrau vorher(!) verbindlich(!) und endgültig(!) abklären. Viel Spaß dabei, übrigens. Denn einen Teil der heute als ärgerlich empfundenen Bearbeitungszeit müssen Firmen auch deswegen aufwenden, weil der letztlich ausgewählte Spitzenkandidat erst alle Vertragsdetails aushandelt und dann, mit dem fertigen Papier in der Hand, kleinlaut erzählt, seine Frau zöge jetzt doch nicht um – worauf der ganze Entscheidungs und Auswahlprozeß von vorne losgeht (und für die anderen Bewerber natürlich immer länger wird).
So etwas geschieht übrigens durchaus auch bei Bewerbungen auf Geschäftsführungsebene.Was aber geschieht nun in den Unternehmen im Standardprozeß „Bewerberauswahl“? Ich schildere Ihnen einmal einen durchschnittlichen Ablauf – und versuche, Begründungen zu liefern für Details, die dem Bewerber ohne Erklärung merkwürdig bis unverständlich vorkommen müssen. Wir gehen vom einfachsten Fall aus: Das Unternehmen hat unter seinem Namen (Fachausdruck „offen“, also nicht unter der Adresse eines Beraters) inseriert.
1. Ausgangssituation vor dem Insertionstermin „X“:
Es eilt, es eilt ungemein, außerordentlich und praktisch immer. Die Bewerber hätten ihre Freude daran zu sehen, wie eilig es dem Unternehmen mit dem Fall ist. Zwar fällt der Entschluß zur Insertion immer erst in letzter Minute, was meist zu einer gewissen Hektik bei der Vorbereitung der Anzeige führt (Agenturen und Anzeigenabteilungen der Zeitungen können Lieder davon singen), aber irgendwie klappt es dann doch noch.
Als Bewerber können Sie ganz beruhigt sein: Als der Auftrag zur Insertion erteilt wurde (meist am Mittwoch vor dem Erscheinungstermin „X“ der Anzeige), hätte man den gesuchten neuen Mitarbeiter am liebsten sofort eingestellt und ebenso direkt mit seiner Tätigkeit anfangen lassen. Zu diesem Zeitpunkt ist die Welt noch in Ordnung.
2. Die nächsten Tage nach der Entscheidung:
Jetzt ist der „Dampf aus dem Kessel“: Die Entscheidung zur Insertion ist gefallen – und erst einmal passiert zwangsläufig gar nichts. Von jenem Mittwoch bis X kann auch nichts passieren, dann steht das Inserat in der Zeitung. Schön, aber inzwischen hat der suchende Fachvorgesetzte sich längst wieder seinen diversen Tagesgeschäften zugewandt. Wie das so geht: Die ehemals so dringende Suche nach dem neuen Mitarbeiter hat sich zwar noch nicht „durch längeres Liegen von selbst erledigt“, hat aber doch viel von ihrer Hektik und Dramatik verloren (oder ist, das klingt besser, von neuer, anderweitiger Hektik und Dramatik überlagert worden).
Denn, das weiß nun der suchende künftige Chef auch: Dienstantritt des Neuen ist vermutlich erst in fünf Monaten (guter Durchschnittswert auf der Basis üblicher Gegebenheiten wie Bearbeitungsdauer und Kündigungsfrist). Und danach muß der sich erst einmal einarbeiten, was weitere sechs Monate dauert. Also sagt er sich: „So richtig nützlich ist der jetzt gesuchte neue Mitarbeiter erst etwa in einem Jahr. Was zu tun war, habe ich getan; dem Grundsatz ‘Es muß etwas geschehen’ wurde Rechnung getragen.“
Aber er kommt dann auch zu dem Schluß: „Warum weiter Hektik verbreiten wegen eines Vorganges, dessen positive Resultate erst in einem Jahr eintreten?“ Also geht er gelassen an die weitere „Entwicklung“ des Falles heran. Eigentlich eilt das alles schon gar nicht mehr so furchtbar.
3. Die ersten drei Wochen nach X:
In dieser Phase geschieht teils viel, teils wenig: Für die Personalabteilung, die den Prozeß nur begleitet, aber nicht für die Einstellung eigenverantwortlich zuständig ist, bringen die ersten zwei Wochen nach X Aufregungen und Arbeit durch einlaufende telefonische Anfragen potentieller und durch eingehende Unterlagen realer Bewerber. Letztere bekommen eine Eingangsbestätigung, die Bewerbungen werden erfaßt, eventuell vorsortiert und an den eigentlich suchenden Fachvorgesetzten weitergeleitet. Da liegen sie denn.
4. Eine erste Entscheidung bahnt sich an:
Der Fachvorgesetzte hat inzwischen den Fall abgehakt und fast vergessen. Beliebt ist: Er ist gerade jetzt in Urlaub (glauben Sie nur nicht, ich würde das aus der Luft greifen) oder auf längerer Geschäftsreise in Brasilien. Unabhängig davon steht er etwas entsetzt vor dem Haufen Papier, den er nun lesen muß – vielleicht 50 Bewerbungen à 15 Blatt, das häuft sich. Dazu, beschließt er, kommt er erst in der nächsten Woche, wenn der Termindruck nicht so hart ist (nächste Woche aber gilt es, die Präsentation bei der GF vorzubereiten, dann muß das Bewerbungslesen halt noch einmal verschoben werden …). Beim späteren Studieren der Unterlagen merkt er dann (oder er weiß es aus früheren Fällen), daß der Wirkungsgrad seines Tuns nicht sehr hoch ist: 90 % der Bewerbungen sind uninteressant, nur der Rest lohnt die nähere Beschäftigung mit den Details. Das steigert seine Begeisterung auch nicht gerade. Irgendwann aber ist er „durch“, geht mit seiner Auswahl zur Personalabteilung und sagt dort, welche Bewerber er zum Vorstellungsgespräch sehen will.
5. Die ersten Bewerber (< 10 %) hören etwas Positives:
Jetzt suchen der Fachvorgesetzte und der Vertreter der Personalabteilung gemeinsam nach Lücken im Terminkalender, um Vorstellungsgespräche durchzuführen. Das ist nicht so einfach, manchmal gibt es über eine ganze Woche hinweg keine Chance dazu. Irgendwie aber klappt es dann doch, die Einladungen gehen hinaus. Die Eingeladenen aber können natürlich nicht alle an den vorgeschlagenen Tagen oder zumindest nicht zu dieser Uhrzeit. Also rufen sie an, versuchen Änderungen abzustimmen, lösen damit neue interne Abstimmungsprozesse aus (zu denen die beiden Firmenvertreter überhaupt einmal gleichzeitig im Hause sein müssen).
6. Ausblick:
Die Sache zieht sich. Eine Entscheidung, die erst mit beiderseitig unterschriebenem Arbeitsvertrag endgültig ist, dämmert noch nicht einmal am Horizont herauf. Vorher muß die erste Vorstellungsgesprächsrunde „durch“ sein, danach muß eine Entscheidung getroffen werden, welche Kandidaten rausfallen und welche in die engste Wahl kommen. Von letzteren werden einer oder zwei zum zweiten Gespräch geladen (Terminabstimmung zwischen drei Partnern!). Zwischendurch sagt der Spitzenkandidat ab – er hat anderswo einen Vertrag unterschrieben (nein, der andere Arbeitgeber hat nicht schneller entschieden, der hat bloß früher inseriert; woraus hervorgeht, daß immer ganz schnell inseriert werden muß, siehe auch Punkt 1). Dann muß der Geschäftsführer den Kandidaten auch noch kennenlernen und akzeptieren – der ist dann aber natürlich im Urlaub oder in Brasilien ….
Und weil man weiß, daß das geschehen kann, läßt man die anderen Bewerbungen halt liegen, „zur Sicherheit“. Bis ein Vertrag mit einem Kandidaten geschlossen wurde. Was durchaus Monate dauern kann.
7. Empfehlung:
Wer sich bewirbt, muß Zeit mitbringen und geduldig sein. Und er sollte nicht unter Druck stehen, sondern „notfalls“ seinen alten Job weitermachen können.
Als Grundregel gilt: Wenn Sie nicht vier Wochen nach dem Erscheinungstermin des Inserates die Einladung zum Vorstellungsgespräch vorliegen haben, sind Sie für diesen Inserenten vermutlich nicht „1. Wahl“. Aber warten Sie in Ruhe alles ab, Anfragen zwischendurch sind sinnlos.
8. Zeittafel:
Das Ablaufdiagramm, das ich hier abdrucke, ist als Empfehlung für inserierende Unternehmen gedacht. Es enthält die nach allgemeiner Erfahrung denkbar kürzesten(!) Abwicklungswege – der Bewerber sieht daraus, ob seine Erwartungen noch realistisch sind.
In der Mehrzahl aller Fälle wird man „hinten“ noch etliche Wochen anhängen müssen – und bei den einzelnen Zwischenschritten jeweils mindestens einige Tage.
Zeittafel vom Bewerbungseingang bis zum Arbeitsvertrag
Bewerbungseingang (Anfang 1. bis Ende 2. Woche) Eingangsbestätigung (Mitte 1. bis Mitte 3. Woche) Einladung z. Vorstellung (Mitte 2. bis Mitte 3. Woche) 1. Gespräch (Mitte 3. bis Ende 4. Woche) Einladung z. 2. Gespräch (Mitte 4. bis Ende 5. Woche) 2. Gespräch (Mitte 5. bis Ende 6. Woche) Absendung Vertrag (Mitte 6. bis Ende 7. Woche) Bewerber hat Vertrag (Mitte 6. bis Ende 7. Woche)
Frage-Nr.: 1451
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 51
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 1999-12-24
Ein Beitrag von: