Heiko Mell 01.01.2016, 06:31 Uhr

Wie kann ich konzernintern aufsteigen?

Wie kommt man innerhalb des eigenen Unternehmens an eine Aufstiegs-Position? Es müsste doch auch für die Unternehmen interessanter sein, gute Mitarbeiter intern zu halten als sie zu verlieren.

Antwort:

Fragen dieser Art häufen sich. Ich will, meinem Konzept entsprechend, nicht nur Informationen geben (was einfach ist), sondern auch versuchen, jeweils zu begründen, warum die Unternehmen so handeln (was schon deutlich schwerer ist). Aber so richtig erfolgreich umgehen können Sie nur mit einem Partner (Arbeitgeber), dessen Motive Sie kennen.

Wir haben es in der Wirtschaft mit drei Trends zu tun, die das Denken zu diesem Thema bestimmen (sie beeinflussen sich zusätzlich gegenseitig):

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1. Das Denken in langfristigen Zusammenhängen wird zunehmend ersetzt durch kurzfristigen Erfolgsdruck. „Übermorgen“ interessiert absolut nicht, „morgen“ kaum, „heute Abend“ ist die im Mittelpunkt aller Überlegungen stehende „Zukunft“. Aus manchen amerikanischen Konzernen kennt man das Prinzip: Aufwendungen, deren Ergebnisse sich nicht in der nächsten Quartalsbilanz positiv niederschlagen, sind uninteressant. Das wird – selbstverständlich – auch bei uns mehr und mehr Standard.

Gerade im Personalbereich müsste man langfristig denken – manche Überlegung wirkt sich nun einmal erst in drei oder fünf Jahren aus. „Uninteressant“, urteilt dabei oft das Top-Management. „Bis dahin sind wir längst übernommen, geschluckt oder aus dem Markt gedrängt worden oder haben unsererseits so gehandelt – und sind in einer neuen Dimension gelandet.“

 

2. Noch in den sechziger und siebziger Jahren, die ja viele von uns direkt oder indirekt geprägt haben, stand „das Unternehmen“ als eine Art Selbstzweck instinktiv im Mittelpunkt des Denkens und Handelns aller betrieblichen Entscheidungsträger. Die Mitarbeiter waren dabei ein sehr großer, sehr wesentlicher Teil des Unternehmens. Bei vielen täglichen Entscheidungen dachte das mittlere und obere Management fast ausschließlich an „sein“ Unternehmen und damit „automatisch“ an die Zukunft von dessen Mitarbeitern. Gesellschafter, so die damalige Meinung, hatten ja auch nur Vorteile von dieser Art des Denkens: Ihre Gesellschaft wuchs, blühte und gedieh – und würde das dank der vorausschauenden Politik des Managements auch noch in zwanzig Jahren tun.Heute ist auf allen Ebenen „knallharte“ Verfolgung von gegenwartsnahen Gesellschafter-(Aktionärs-)Interessen angesagt. Entscheidend ist der Profit, der jetzt gezielt oder – siehe zu 1 – kurzfristig zu erwarten ist. Bei Übernahmeschlachten und wachsendem Interesse der Öffentlichkeit für Börsenkurse zählt oft nur noch, was jetzt zu erwarten ist. Das Festhalten der Gesellschafter am Engagement für eine Firma, der man durch „Dick und Dünn“ folgt (wie es heute noch bei Familienbetrieben beobachtet werden kann), gibt es bei Kapitalgesellschaften nicht (mehr).

Bei der Gelegenheit darf an einen Grundsatz unserer Wirtschaftsordnung erinnert werden, den gerade junge naturwissenschaftlich orientierte Akademiker gern verdrängen: Unternehmen dienen dem Zweck, für das eingesetzte Kapital eine möglichst hohe Rendite zu erwirtschaften. Es ist nicht ihre Aufgabe, Menschen zu beschäftigen (und schon gar nicht, sie glücklich zu machen). Sie tun dies nur, weil sie – derzeit – anders ihr Hauptziel nicht erfüllen können, grundsätzlich aber keinesfalls gern (Menschen kosten sehr viel Geld, stellen ständig Forderungen, sind unbequem, unzuverlässig und unkalkulierbar).

 

3. Die modernen Organisationsstrukturen sehen die einzelne Betriebsabteilung immer mehr als Profitcenter. Ihr Leiter bekommt ein bestimmtes Kapital anvertraut (Budget) und hat damit ein maximales Ergebnis zu erwirtschaften. Etwas überspitzt und vereinfacht, aber nicht falsch gesagt: Früher war der Leiter einer Einheit mehr der treue Sachwalter dieses Betriebsteils, er „verwaltete“ die vorhandenen Ressourcen, zu denen halt auch die personellen zählten.Heute ist er eher ein „Unternehmer im Unternehmen“ mit klarer finanzieller Zielsetzung und unter hohem Erwartungsdruck stehend. Das alles zwingt ihn, ebenso wie seine Unternehmensleitung, stark gemäß 1. und 2. zu denken und zu handeln.

Auf der Basis nun konkret zum Thema:Der Leiter einer betrieblichen Einheit (siehe 3.) wird straff erfolgsorientiert geführt, an der Erreichung klarer Zielvorgaben gemessen und ist insgesamt „zum Erfolg verurteilt“. Zum Ausgleich läßt man ihm einen weitreichenden eigenen Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum.

Kein Vorgesetzter eines solchen Leiters einer betrieblichen Einheit wird es leichtsinnig riskieren, diesem Manager allzu enge Zügel anzulegen und ihm mehr als unbedingt nötig in seine Führung der Geschäfte hineinzureden. Schüfe er doch damit die Basis für eine „Ausrede“ bei der Debatte über nicht erreichte Ziele: „Wie kann ich meine Vorgaben erreichen, wenn Sie mir in die Führung meiner Abteilung hineinregieren? Nur weil Sie vor drei Monaten gegen meinen Willen entschieden haben, … …, habe ich letztlich das Ziel … verfehlt.“ Und da der Vorgesetzte dieses Managers auch Ziele hat, die er seinerseits erfüllen muss, wobei er wiederum auf Zielerfüllung seiner nachgeordneten Einheiten angewiesen ist, wird er sich hüten, einer ihm unterstellten Abteilung „Leute“ wegzunehmen, die deren Chef nicht weglassen will.

Halten wir also fest: Die Entwicklung in den letzten Jahren hat die Stellung der einzelnen betrieblichen Vorgesetzten gegenüber dem übergeordneten Gesamtunternehmen grundsätzlich gestärkt. Man könnte das kürzer formulieren: Abteilungsegoismus geht über langfristige Interessen des Ganzen – aber das wäre nicht nur unzulässig vereinfacht, sondern sogar falsch (weil es kein Abteilungsegoismus ist). Wenn es auch auf das gleiche Ergebnis hinausliefe.

So, nun hat ein Abteilungsleiter einen ehrgeizigen Mitarbeiter. Letzterer tut seit drei Jahren seine Pflicht, ist erfolgreich und will weiterkommen, also aufsteigen. Unternehmensintern, weil er da nun schon einmal ist, damit seine Dienstzeit beim Unternehmen weiterläuft und überhaupt. Ist das zu verstehen? Absolut.

Und müsste das Unternehmen nicht unbedingt daran interessiert sein, junge und gute (unterstellen wir das einmal) Hoffnungsträger im Unternehmen zu halten, statt ihnen als einzige Alternative die externe Bewerbung anzubieten? Absolut, es müsste.Warum aber tut es das nun nicht? Weil bei der Prinzipienabwägung das Gesamtunternehmen den Kürzeren gezogen hat: Dem liegen etwa solche Gedanken zu Grunde:

Lässt man den ungehemmten internen Wechsel zu, sind die Nachteile für die „abgebenden“ Abteilungen ganz klar: Sie verlieren gute (andere nimmt ja niemand) Leute, ihre Zielerfüllung wird gefährdet. Die Leiter der abgebenden Abteilungen hätten die erwähnten „Ausreden“ – und könnten wütend auf die „nehmenden“ Abteilungsleiter zugehen, von „Abwerbung“ reden etc.

Diese Nachteile sind sicher! Die Vorteile dieser Regelung aber wären absolut nicht sicher, sie sind spekulativ. Letztlich ist überhaupt nicht zu garantieren, daß die „Wechsler“ in der neuen Abteilung positiv „einschlagen“ – schließlich sind sie dort in einem neuen fachlichen Gebiet tätig (und unter einem neuen Chef).

Also, so das gängige Vorurteil, lässt man bewährte Mitarbeiter, die im Unternehmen eingearbeitet sind, dort ihre Netzwerke haben, viele Details kennen und die noch erhebliches Potenzial für „mehr“ haben, lieber abwandern als ihre Möglichkeiten für die Firma zu nutzen? Eine tolle Politik ist das! Nun, Fachleute wissen, dass auch das so nicht stimmt:

Öffnet man intern alle Schleusen, verlieren die abgebenden Abteilungen viele Leute. Erschwert man den internen Wechsel, ist dieser „Verlust“ deutlich(!) geringer. Denn wenn sie gleich den Konzern verlassen müssen, überlegen sich viele Mitarbeiter das noch einmal oder schieben ihr Vorhaben um einige Jahre auf. Dieser Effekt ist erwiesen, bitte unterschätzen Sie ihn nicht.Spätestens an der Stelle weist in der internen Diskussion jemand auf eine unübersehbare Tatsache hin:“Löcher“ müssen geflickt werden. Für jede freie Stelle im Haus muß ein Externer eingestellt werden – so oder so. Am besten flickt man das Loch da, wo es entstanden ist und reißt nicht erst ein anderes auf. Sonst hätte man nämlich zwei Leute zur Einarbeitung „auf Bewährung“ irgendwo sitzen, andernfalls nur einen. Bleibt als Argument die schwer zu beziffernde Demotivation junger Leute, die außerhalb ihrer Abteilung kaum Aufstiegschancen haben.

Es gilt also: Generell ist die Begeisterung großer Unternehmen, den internen Wechsel ihrer Mitarbeiter zu forcieren, eher gedämpft. Und: Die Gründe sind durchaus auch nachvollziehbar. Wer den betrieblichen Alltag kennt, wird das nicht rundweg abstreiten.Nun konkret zu den Gegebenheiten: Ich kenne nicht alle denkbaren Regelungen aus der Praxis, aber einige. Und ich will zwei extreme Modelle vorstellen, wobei ich glaube, dass die Mehrheit irgendwo dazwischen liegt:

a) Der Leiter Personalwesen Führungskräfte eines deutschen, stark international geprägten Konzerns mit deutlich über 20 Milliarden DM Umsatz sagt zur hausüblichen Regelung: „Mitarbeitern, die mich wegen eines angedachten internen Wechsels in eine Aufstiegsposition ansprechen, stelle ich die Kernfrage: Haben Sie das Vorhaben mit Ihrem Vorgesetzten besprochen, ist der informiert? Bekomme ich keine positive Antwort, schicke ich den Mitarbeiter wieder zurück. Wechselwünsche ohne vorherige Zustimmung des derzeitigen Chefs bearbeiten wir gar nicht erst, das entspricht nicht unserem Grundprinzip, es gibt sonst zu viel Ärger.“

b) Über einen sehr großen amerikanischen Konzern mit bedeutenden Aktivitäten in Deutschland habe ich gehört: Die betrieblichen Vorgesetzten sind aufgefordert(!), in einem bestimmten Zeitraum eine bestimmte Anzahl von Nachwuchsleuten mit Potenzial für höherwertige Aufgaben ausdrücklich zu benennen. Tun sie das nicht, bekommen sie Abzüge bei ihrer eigenen Bonusregelung. Gleichzeitig gilt die Regel, dass zu befördernde Mitarbeiter stets(!) in einer anderen organisatorischen Einheit eingesetzt werden (der Chef hätte also nichts davon, „hortete“ er seinen Nachwuchs für sich selbst). Aber natürlich müssen die Struktur und die Kultur des Konzerns dazu passen.

Mir scheint, dass mehr Konzerne in Richtung a tendieren, wenn auch vielleicht nicht ganz so krass. Ich hoffe, Sie verstehen auch, warum. Als Rat für Sie und alle anderen:Bringen Sie in Erfahrung, was in Ihrem Unternehmen üblich ist, welche Regeln gelten. Ansprechpartner ist das Personalwesen. Ihre Frage wird man Ihnen nicht übelnehmen, man wird Sie auch – soweit ich das von hier aus sagen kann – wegen dieser Informationseinholung nicht bei Ihrem Vorgesetzten „anschwärzen“; Personalabteilungen sind um ihren Ruf stets sehr besorgt (sonst redet ja nie wieder jemand mit ihnen).

Ja und dann handeln Sie entsprechend. Als Warnung: Wer „mehr“ möchte als er heute hat, muss stets auch einen Wechsel des Unternehmens in seine Überlegungen einbeziehen. Aus dem Bleiben beim Unternehmen ein Prinzip zu machen, ist praktisch nicht mehr zu verantworten.

Kurzantwort:

Aus z. T. durchaus nachvollziehbaren Gründen ist in vielen Großunternehmen der interne (Aufstiegs-)Wechsel über die Abteilungsgrenzen hinweg extrem schwierig bis unmöglich. Geduld auf der einen und Bereitschaft zum Konzernwechsel auf der anderen Seite sind die Alternativen.

Frage-Nr.: 1463
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 6
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2000-02-11

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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