Promotion oder Berufseinstieg als Ingenieur?
Ich studiere zur Zeit Maschinenbau mit der Fachrichtung Konstruktionstechnik und werde mein Studium in Kürze erfolgreich abschließen. Während meines Studiums habe ich mich mit Problemen der Strukturmechanik unter Verwendung der FE-Methode beschäftigt und möchte auch später in diesem Bereich tätig werden. Nachdem mir mein Professor eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter angeboten hat, stellt sich für mich die Frage:
Soll ich das Angebot annehmen und einen Abschluss als Dr.-Ing. anstreben oder soll ich die günstige Arbeitsmarktsituation nutzen, um eine gute Anstellung in der freien Wirtschaft zu finden?
Antwort:
Ich halte es für absolut möglich, ein komplettes Buch zu diesem Thema zu schreiben. Mit Auflistung aller denkbaren Vor- und Nachteile, Abwägung aller Eventualitäten, mit Beiträgen von Professoren und Fallbeispielen von Leuten, die diesen Weg gegangen sind. Darunter solchen, die dabei gescheitert sind und solchen, die damit glücklich wurden. Mit Darstellung von Werdegängen, die sich ergaben, als plötzlich mitten im Vorhaben der Professor starb oder bei Eintritt ins Berufsleben unvermutet die größte Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit herrschte. Da kämen auch solche Leute zu Wort, die später in Laufbahnen einschwenkten, bei denen ein FH-Abschluss genügt hätte. Und solche, die Ärger mit einem Chef bekamen, der einen Bildungskomplex hatte und unterstellte Promovierte mehr quälte als andere. Dann stünde noch etwas da über promovierte Akademiker, die schließlich beruflich in Ländern arbeiteten, in denen man gar nicht wusste, was ein Dr.-Ing. ist. Und dann läsen Sie das Buch und wüssten immer noch nicht, ob …Meine Tipps für Ihre Entscheidung für oder gegen eine Promotion:
1. In Ihrem Fachgebiet scheint eine weitere wissenschaftliche Qualifizierung durchaus sinnvoll zu sein. Das spricht dafür.
2. Streben Sie eine Laufbahn im Entwicklungsbereich an? Ein „Ja“ spräche dafür.
3. Stellen Sie sich vor den Spiegel und fragen Sie sich, ob Sie – unabhängig von anderen Argumenten – letztlich gern „Doktor“ wären. Ein „Ja“ spräche dafür.
4. Sind Sie ein wirtschaftlich knallhart kalkulierender Mensch – der stets nur tut, was sich „rechnet“ und nur kauft, was gerade billig angeboten wird? Ein „Ja“ spräche dagegen.
5. Sind Sie bereit, wegen eines persönlichen Zieles ein Risiko auf sich zu nehmen, z. B. das, in vier Jahren schlechtere Einstiegschancen zu finden als heute? Ein „Ja“ spräche dafür.
6. Ist es ausgeschlossen, dass Sie eines fernen Tages eine FH- oder TH/Uni-Professur anstreben? Ein „Ja“ spräche dagegen.Nun gewichten Sie Ihre „Punkte“, dann handeln Sie entsprechend.
PS: Ich glaube nicht, dass man Methoden verwendet (eher „an“).
Kurzantwort:
Frage-Nr.: 1556
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 2
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2001-01-19
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