Wie sehen meine Karrierechancen nach einem Studium bei der Bundeswehr aus?
Ich möchte Ihre Meinung zu einem Maschinenbaustudium an einer Technischen Universität der Bundeswehr, verbunden mit zwölfjähriger Verpflichtung, hören.
Wie werden die Chancen, nach Ablauf der Verpflichtung in der Wirtschaft einen guten Job zu erhalten, von Ihnen bewertet?
Antwort:
1. Ich nehme einmal an, Sie stehen jetzt vor der Entscheidung. Dann wäre der Eintritt in die Wirtschaft in etwas mehr als zwölf Jahren fällig. Dieser Teil der Antwort ist klar und absolut sicher: Was dann sein wird, weiß heute niemand! Das betrifft Zeitgeist (Bewertung einer Offiziersvergangenheit) und Konjunktursituation gleichermaßen.
2. Die Studien an einer Bundeswehr-Universität gelten als uneingeschränkt vergleichbar mit denen an „zivilen“ Hochschulen. Im Gegenteil: Da dort, so der allgemeine Eindruck, „Zucht und Ordnung“ herrscht, da zeitliches Gammeln nicht erlaubt ist und zielstrebig studiert werden muss, sehen viele Entscheidungsträger der Wirtschaft das Studium(!) bei der Bundeswehr als Empfehlung an. Mögliche Vorbehalte richten sich stets gegen den größeren „Rest“ der Verpflichtungszeit.
3. Zeitsoldaten dieses Programms wissen, dass sie nach zwölf Jahren den Arbeitgeber „Staat“ verlassen und die völlig anders(!) strukturierten, andere Anforderungen stellenden, anders befördernden und bezahlenden Arbeitgeber in der freien Wirtschaft begeistern und langfristig zufrieden stellen müssen. So etwas soll man grundsätzlich nicht tun. Man muss sehr gute Gründe haben, bevor man im beruflichen Bereich etwas anfängt, von dem man von Anfang an weiß, dass zu einem feststehenden, weit entfernten Zeitpunkt ein radikaler Systemwechsel ansteht.
4. Die Idealkonzeption für Karriere lautet: ein Berufsziel haben (z. B. Vorstand eines Automobilkonzerns) und entsprechend den „Spielregeln“ konsequent darauf zumarschieren. Die Regeln sehen in einem solchen Fall vor: Start in einem Automobilkonzern, systematisches Aufsteigen dortselbst, ggf. später in einen anderen Automobilkonzern wechseln, dort Vorstand werden. Von einem Start in einem extrem anderen Umfeld und einem Verbleiben dort für zwölf Jahre ist keine Rede.
Nun wollen viele gar nicht so hoch hinaus. Wenn Sie aber ohne Führungserfahrung in Pension gehen wollen, ist es ohnehin egal wie Sie vorgehen – aber dann war es doch Unfug, erst Offizier zu werden, also Prototyp einer Führungskraft, um dann im neuen Umfeld der Wirtschaft „nichts“ mehr erreichen zu wollen.
5. Es gibt durchaus vorzeigbare Karrieren ehemaliger Zeitsoldaten in der Wirtschaft. Ob die überwiegend im mittleren Hierarchiebereich enden oder absolut „quotengerecht“ auch die Vorstände bzw. Geschäftsführungen umfassen, weiß ich jedoch nicht.
6. Ich nehme an, auch die Bundeswehr würde einem jungen Mann, der sehr hochgesteckte Karriereziele als Berufssoldat hat, z. B. General werden möchte, dringend raten, sofort zur Truppe zu kommen und dabei zu bleiben – und nicht erst Abteilungsleiter in der Wirtschaft zu werden. Das gilt eben grundsätzlich auch umgekehrt.
7. Mit – selten öffentlich geäußerten, aber doch vorhandenen – Vorbehalten einzelner(!) Entscheidungsträger in der Wirtschaft gegenüber Bewerbern, die Offizier sind/waren, ist durchaus zu rechnen. Vielleicht war dieser Manager, der jetzt einen Mitarbeiter sucht, selbst Ersatzdienstleistender – oder Gefreiter mit „bösen“ Erfahrungen in seiner Soldatenzeit.
8. Etwaige Befürchtungen, Zeitoffiziere würden beispielsweise einen „Kasernenhofton“ auch im Zivilbereich an sich haben und stets im Befehlsjargon reden, sind vollständig unbegründet. Ich habe sehr viele ehemalige Zeitoffiziere in Vorstellungsgesprächen erlebt – viele davon hätte man sich noch nicht einmal mit Phantasie als schneidige, befehlsgewohnte Einheitsführer vorstellen können, so „zivil“ wirkten sie.
9. Das Studium des Zeitsoldaten liegt bei seinem Eintritt in die Wirtschaft schon viele Jahre zurück. Fachlich relevante Tätigkeiten, die sowohl zum Studium als auch zur typischen Ingenieur-Position in der Wirtschaft passen (Konstruktion, Produktion), kann die Bundeswehr in der Zeit nach Studienabschluss nur sehr begrenzt, in vielen Bereichen gar nicht anbieten. Damit ist dieser Weg nur für bestimmte berufliche Richtungen in der Wirtschaft geeignet (z. B. Logistik), für andere eher nicht. Er kann also schon deshalb nicht die pauschale Lösung sein, um sich später anspruchsvolle, neigungsgerechte Laufbahnen in der Wirtschaft zu erschließen. Der gleichaltrige „zivile“ Akademiker dürfte in vielen speziellen Ingenieurtätigkeiten so etwa fünf Jahre Erfahrungsvorsprung gesammelt haben.
10. Die Anforderungsprofile für gute Offiziere und gute Manager der Wirtschaft sind womöglich in einigen Bereichen ähnlich, aber garantiert niemals völlig deckungsgleich. Damit müssen Menschen, die diesen Weg gehen, entweder Universalgenies sein (selten) oder sie riskieren, schlechte Offiziere bzw. schlechte Manager zu werden. Das berufliche Umfeld prägt junge Menschen besonders stark. Der ehemalige Zeitsoldat wird vieles wieder vergessen oder abschütteln müssen, was ihn prägend beeinflusst hat.
Als Fazit: Diese Verpflichtung kann eine Lösung sein, der pauschal zu empfehlende Weg zu einer anspruchsvollen Karriere in der Wirtschaft ist sie nicht. Man wird nicht „einfach so“ für zwölf Jahre irgendetwas, beispielsweise Zeitsoldat. Dafür muss man gute, individuelle Gründen haben (z. B. den, dass man anders gar nicht an ein Studium gekommen wäre).
Kurzantwort:
Die zwölfjährige Verpflichtung bei der Bundeswehr mit integriertem Studium führt am Ende zu einer ganz speziellen Qualifikation und Erfahrung. Es kann nicht erwartet werden, dass diese stets mit der eines gleichaltrigen „zivilen“ Akademikers identisch ist, der dann schon etwa fünf Jahre Praxis in Wirtschaftsunternehmen hat.
Frage-Nr.: 1569
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 11
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2001-03-16
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