Heiko Mell 01.01.2016, 12:41 Uhr

Wie lang und gut müssen Praktikumszeugnisse sein?

Frage: Ich schreibe aus Arbeitgebersicht. In unserer Forschung und Entwicklung kommen zahlreiche Ingenieurstudenten als Praktikanten zum Einsatz. Für die weitere Karriere wünschen sich diese Studenten häufig ein Zeugnis, bei dem auch die Leistung bewertet wird. Dabei kommt es immer wieder zu Verstimmungen.

Die Praktikanten erwarten auch bei nur dreimonatiger Beschäftigung ein sehr ausführliches, jedes Tätigkeitsdetail umfassendes Zeugnis – und sind unzufrieden, wenn es „nur“ eine Seite lang ist. Sie sind vielfach hochmotiviert; daraus entsteht eine Erwartungshaltung an die Leistungsbewertung, die in allen Punkten „sehr gut“ umfassen soll.

Ich will weder nur reine Bestätigungen, noch ausschließlich nette Super-Zeugnisse ausstellen.

Antwort:

Praktikumszeugnisse haben eine deutlich geringere Bedeutung als „richtige“ Zeugnisse. Liegen der Bewerbung später Arbeitgeberzeugnisse z. B. aus fünfjähriger Tätigkeit nach dem Studium bei, geht die Bedeutung von Praktikumsdokumenten gegen Null. Begründung: die kurze Beschäftigungszeit, der damalige Studentenstatus der Beurteilten und die Erfahrung, dass Praktika im Durchschnitt von beiden Seiten nicht so dramatisch ernst genommen werden.

Nur in einer einzigen Ausnahmesituation, bei der Bewerbung um die erste Position nach dem Studium, haben die Praktikumszeugnisse eine gewisse Bedeutung. Dabei gilt: Entscheidend ist zunächst, von welchen Unternehmen (Marktbedeutung, Ruf in der Branche) der Kandidat als Praktikant überhaupt genommen wurde und was er dort gemacht hat (dass man ihm „epochal“ wichtige Aufgaben übertragen hatte, glaubt ohnehin niemand). Beides erfährt man als Bewerbungsleser aus dem Lebenslauf – und glaubt das!

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Das Praktikumszeugnis wird dann zunächst nur überflogen, um die wichtigsten Angaben des Lebenslaufs bestätigt zu bekommen. Sorgfältig gelesen wird nur die Beurteilung, um zu sehen, wie der Student sich in der für ihn fremden Welt aufgeführt hat, wie er sich in das Team einfügte, mit Kollegen und Chefs zurechtkam, wie er sich „geführt“ hat.

Meine Empfehlung für Sie: Eine Seite ist genug, eine grobe Umschreibung der Tätigkeiten genügt – und den Satz mit der „Zufriedenheit“ verwenden Sie besser gar nicht. Schreiben Sie stattdessen irgendetwas Nettes, Positives. Denn: „Fertige“ Ingenieur werden eingestellt, um gegen Geld etwas für den Arbeitgeber zu leisten. Dessen anschließende Zufriedenheit ist relevant. Studenten hingegen werden Praktika gewährt, damit sie etwas lernen, hineinschnuppern in die Praxis (und damit das Unternehmen Kontakt zu potenziellen Mitarbeitern knüpfen kann). Eine Arbeitgeber-Zufriedenheit, die mit der nach fünfjähriger Tätigkeit vergleichbar wäre, ist hier nicht relevant.

Nieder mit der Inflation (und sei es die bei Zeugnisformulierungen)!

Kurzantwort:

Frage-Nr.: 1714
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 47
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2002-11-22

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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