Was muss ich als Arbeitnehmer bei einem Wechsel zur direkten Konkurrenz beachten?
Mir geht es um die Modalitäten bei einem Wechsel zur direkten Konkurrenz. Ich bin im Management eines Großunternehmens tätig. In nächster Zeit steht voraussichtlich eine interne Veränderung an. Aus meiner Sicht ist dies eine gute Gelegenheit, nicht nur ein anderes Arbeitsfeld oder einen anderen Konzern-Standort kennen zu lernen – sondern eben auch andere Unternehmenspolitik zu „erleben“.
Erstaunlich ist, dass die meisten Wechsel von und zur Konkurrenz auf Tarif- oder auf Vorstandsebene stattfinden. Woran liegt das?
Mein Vertrag sieht eine beiderseitige Kündigungsfrist von neun Monaten zum Quartalsende vor. Wird von Unternehmensseite üblicherweise daran festgehalten – oder bestehen zwischen den Unternehmen „Gentlemen’s Agreements“, die einen kurzfristigen Ausstieg ermöglichen?
Der Vertrag enthält weiterhin Geheimhaltungsvereinbarungen, die zeitlich unbegrenzt sind. Der Fall „Lopez“ ist sicher kein Maßstab. Wie ernst sind die Formulierungen zu nehmen? Mein „Marktwert“ ist nicht allein bestimmt durch meine Fähigkeiten – sondern basiert natürlich auch auf meinem Wissen.
Meine Stellung – oder auch mein Ruf – ist gegründet auf Offenheit und Zuverlässigkeit. Hier ist darüber hinaus Diplomatie gefragt. Mein Ziel ist es, so zu gehen, dass ich jederzeit „mit offenen Armen“ empfangen werde. Das ist möglich. Wie sind hier die Spielregeln?
Antwort:
1. Sie sprechen hier zunächst das Thema „Karriere bei einem der großen Konzerne“ grundsätzlich an. Nun sind diese Unternehmen trotz ihrer irgendwo vergleichbaren Größe untereinander nicht völlig gleich. Dennoch gilt insbesondere bei den ganz großen Namen hierzulande etwa:
a) Es ist schon der Normalfall, dass man bei einem dieser Arbeitgeber nach dem Studium eintritt, dort aufsteigt – und bleibt (mit dem Risiko, eines Tages siebzehn Dienstjahre zu haben und für fremde Arbeitgeber nicht mehr interessant zu sein).
Man stellt bevorzugt junge Hochschulabsolventen ein – nimmt aber überwiegend nicht sehr gern beispielsweise Abteilungsleiter und höherrangigere Kandidaten als Seiteneinsteiger „von draußen“. Einer der Gründe liegt in den vielen jungen Nachwuchsleuten, die man hat und die alle etwas werden wollen – es fehlt der „Leidensdruck“, unter dem beispielsweise auch große Mittelständler stehen: Es muss dringend eine gehobene Position besetzt werden – und es gibt einfach intern keine geeigneten Bewerber! Ein anderer, besonders gewichtiger Grund liegt in den fehlenden internen Kontakten („Netzwerk“) und in den fehlenden Kenntnissen der hausinternen Gepflogenheiten des von draußen kommenden Seiteneinsteigers. Der Vertreter des Personalwesens eines der ganz großen Häuser in Deutschland hat mir erzählt: „Mit Seiteneinsteigern im Führungsbereich haben wir schlechte Erfahrungen gemacht. Bevor die verstanden, wie die Dinge hier laufen, hatten sie entscheidende Fehler gemacht und waren wieder draußen.“
Schauen Sie sich doch in Ihrem Konzern aufmerksam um: Wieviele Managementkollegen sind denn – als Führungskräfte – von anderen, konkurrierenden Großunternehmen gekommen? Und dann unterstellen Sie einfach, bei anderen Arbeitgebern dieser Art und Größe sei es ähnlich.
Damit ist Ihre erste Frage beantwortet: Die große Masse der Führungskräfte kommt folgerichtig nicht vom Wettbewerb, sondern diese Manager sind „Eigengewächse“.
b) Vorstände und Tarifangestellte sind lediglich „Ausreißer“ an den äußersten Rändern des Spektrums. Lassen wir die Vorstandsmitglieder hier einmal weg. Tarifangestellte nun werden vorzugsweise über ihre fachliche Qualifikation definiert. Und da kann es auch dem größten Haus passieren, dass für einen plötzlich auftretenden Bedarf keine eigenen Leute mehr in geeigneter Anzahl zur Verfügung stehen. Dann sucht man händeringend fach-, branchen- und konzernerfahrene Kandidaten. Woher nehmen, wenn nicht vom Wettbewerb? Und störende Kündigungsfristen o. ä. (s. 4.) hat dieser Personenkreis noch nicht.
2. Innerhalb gewisser Branchen sind, ich deute hier bewusst nur vage an, im Einzelfall auch vertrauliche Sonderabsprachen (oder auch nur feste „Gepflogenheiten“) denkbar, eher keine(!) Bewerber vom direkten Wettbewerb einzustellen. Meist gibt es darüber unter altgedienten Kollegen irgendwelche Gerüchte oder Vermutungen. Und Sie können durch die Analyse der Verhältnisse in Ihrem Konzern ganz gut auf das Verhalten der anderen schließen: Solche „Gepflogenheiten“ sind fast immer gegenseitig. Haben Sie also viele Kollegen, die früher beim Wettbewerb tätig waren, dann ist auch dorthin ein Wechsel problemarm möglich. Oder eher nicht.
3. Wir müssen im Arbeitsvertrag unterscheiden zwischen
a) einer bindenden Wettbewerbsvereinbarung („Konkurrenzklausel“), die Ihnen für einen begrenzten Zeitraum die Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses beim Wettbewerb verbietet und dafür einen finanziellen Ausgleich vorsieht und
b) einer allgemeinen, oft „ewig“ geltenden grundsätzlichen Geheimhaltungs-/Vertraulichkeitsvereinbarung. Damit wird generell nicht die Anwendung Ihrer inzwischen erworbenen Fähigkeiten, Ihres Fachwissens und -könnens behindert.
Aber Sie sollen keine Details über die Herstellkosten des neuesten Modells Ihres alten Arbeitgebers oder über die Pläne zur Einführung völlig neuer Produkte ausplaudern, keine Unterlagen „mitgehen lassen“, nichts über geheime strategische Konzepte verlauten lassen etc. Bitte holen Sie im Detail und vor allem im Zweifelsfall juristischen Rat ein. Bei Ihnen scheint es sich aber „nur“ um die allgemeine Geheimhaltungsklausel zu handeln. Diese behindert Firmenwechsel grundsätzlich nicht.
4. Ihre scheinbar so harmlose Vereinbarung zur Kündigungsfrist schützt nicht nur Sie vor plötzlichem Einkommensverlust (oder erhöht bei Entlassungen die Abfindung), sie ist auch der eigentliche Hebel, mit dem der (heutige) Arbeitgeber steuern kann, welcher seiner Führungskräfte wohin wechselt:
a) Meist gibt es zur Frage „Lässt mein Unternehmen wechselwillige Angestellte, die deutlich vor Ablauf ihrer Kündigungsfrist ausscheiden wollen, vorzeitig gehen?“ hausinterne Gepflogenheiten, Erfahrungen aus früheren Fällen. Seien Sie dabei vorsichtig: Sie können nie völlig sicher sein, dass man eines Tages auch bei Ihnen so verfährt. Ließe man jeden vorzeitig gehen, könnte man ja gleich etwas dazu in den Vertrag schreiben.
b) Sie bewerben sich. Niemand wartet (fast) ein Jahr auf einen neuen Mitarbeiter, auch Ihr potenzieller neuer Arbeitgeber nicht. Also bietet er Ihnen einen Vertrag an mit einem Eintrittsdatum in, sagen wir, sechs Monaten. Den können Sie noch nicht unterschreiben! Also reden Sie dann mit Ihrem heutigen Arbeitgeber über dessen mögliche Bereitschaft, Sie vorzeitig gehen zu lassen. Darüber entscheidet der dann in aller Ruhe – und gegebenenfalls unter Einbeziehung der Position, die Sie anstreben (und natürlich des Arbeitgebers, zu dem Sie wollen).
c) Sollte der heutige Arbeitgeber Ihren Wunsch ablehnen, sitzen Sie zwischen zwei Stühlen: Er weiß von Ihrer Kündigungsabsicht – aber der Vertrag mit dem potenziellen neuen Arbeitgeber kommt nicht zustande.Und auch dies ist ein Grund, warum so wenige Manager zwischen konkurrierenden Großunternehmen wechseln.
5. Wenn Sie also Ihr Wechselvorhaben weiter verfolgen, brauchen Sie Informationen. Offizielle werden Sie kaum bekommen, aber auf informellen Wegen lässt sich immer etwas machen. Kernfrage muss sein, ob schon oft Manager diesen Wechsel konkret zu dem von Ihnen anvisierten Hause vollzogen haben. Ist das nicht der Fall, wissen Sie jetzt auch, warum das vermutlich so ist.
Kurzantwort:
Durch eine sehr lange Kündigungsfrist schützt sich ein Arbeitgeber wirksam vor unliebsamen Wechseln seiner Führungskräfte zum Wettbewerb. Selbstverständlich muss man auch die Absicherung sehen, die eine lange Frist der einzelnen Führungskraft im Falle einer Entlassung gewährt. Es sind dies die klassischen zwei Seiten einer Medaille.
Frage-Nr.: 1757
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 20
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2003-05-15
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