Mein Chef behindert meine Beförderung
Nach dem Studium begann ich meinen Berufsweg in der Produktentwicklung eines internationalen Konzerns. Zunächst durchlief ich ein Traineeprogramm und wechselte danach in meine jetzige Abteilung. Ich bin Anfang 30 und etwa fünf Jahre bei diesem Arbeitgeber.
Mein Ansatz war, mich über das Knüpfen von belastbaren Beziehungen und über eine ausgezeichnete fachliche Arbeit für weiterführende Aufgaben zu qualifizieren. Der Abteilungsleiter, der mich in die Abteilung holte, ist inzwischen durch einen anderen ersetzt worden (normaler Wechsel).
Heute schätzen mich meine Kollegen, und mein Teamleiter, mit dem ich gut zusammenarbeite, unterstützt mich und erkennt meine Leistungen an. Ich bin sein Stellvertreter und Teilprojektleiter eines wichtigen Projektes, welches mein Abteilungsleiter leitet. Dieses Projekt erfüllt – vorsichtig ausgedrückt – nicht die internen Standards in Bezug auf Organisation und Management. Termine werden überfahren, die Arbeitsergebnisse passen aufgrund mangelnder Koordination nicht zusammen. Meinen Verantwortungsbereich halte ich sauber, und ich versuche, meinem Abteilungsleiter notwendige Veränderungen aufzuzeigen, der reagiert aber oft zu spät.
Mein Arbeitspensum ist hoch und ich beginne, mich an den Randbedingungen aufzureiben. Im letzten Personalgespräch erhielt ich die Zusage zur Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme, die für die Beförderung in die nächste Ebene obligatorisch ist. Diese Zusage wurde nicht eingehalten.
Bei einer passenden Gelegenheit befragte ich meinen Abteilungsleiter zu meinen Entwicklungsmöglichkeiten. Er sagte, es wären keine Entwicklungsmaßnahmen notwendig und zudem habe er keine offenen Stellen; ich müsste mich noch mindestens zwei bis drei Jahre gedulden. Seine Hinhaltetaktik war offensichtlich.
Meine Optionen sind nun folgende:
a) Ich bleibe in der Abteilung und drängele. Meine Aussichten wären begrenzt, reizvolle Stellen gibt es im derzeitigen Bereich kaum.
b) Ich wechsle intern. Der Wechsel an sich ist machbar. Aus meiner Trainee-Zeit pflege ich Kontakte, interne Ausschreibungen bieten Möglichkeiten. Ich müsste mich aber vom meinem Fachgebiet entfernen. Hierzu passt Ihre Empfehlung, die Karriere an wachsender Verantwortung auszurichten. Aber wie weit kann ich mich von meiner jetzigen Tätigkeit entfernen, ohne einen Bruch im Lebenslauf zu provozieren?
c) Ich wechsele in einen anderen Konzern. Ich glaube schon, dass mir mein spezielles Wissen die Tür zu einem anderen Großen der Branche öffnet. Hier könnte ich weiter mein Wissen nutzen, müsste mir aber ein neues Netzwerk aufbauen.
Welche Fragen sind bei einem solchen Wechsel von einem Bewerber zu stellen, um das Risiko zu minimieren, bei dem neuen Arbeitgeber karrierehemmende Überraschungen zu erleben?
Antwort:
Natürlich interessiert Sie: „Was soll ich jetzt tun?“ – davon aber haben die anderen Leser nichts. Also stelle ich „Was ist geschehen, wo sind Fehler gemacht, Risiken missachtet worden?“ in den Vordergrund. Davon haben viele Leser etwas – und Sie auch. Gehen wir die Problempunkte an:
1. Sie sind – durchgängig durch Abitur und Examen (beides wieder einmal schön deckungsgleich) – ein Einser-Mann. Sagen wir es einmal so: Viele Menschen aus dieser Kategorie sind schwierig, andere haben es schwer, manche decken beides ab. Natürlich bleibt ein Rest – aber ein kleiner. Als Versuch einer Erklärung: Man bekommt seine „1“, wenn man alles perfekt gemacht hat, wird gelobt, der Beurteiler (Lehrer, Professor) freut sich, hat wegen seines deutlich höheren Bildungsgrades auch keine Angst vor dem Schüler/Studenten, fühlt sich von ihm weder bedrängt, noch bedroht (Professoren hatten selbst sehr gute Noten) – und alles ist gut.
In der betrieblichen Praxis hingegen … Nun ja. Wir kommen noch darauf zurück.
2. Sie reklamieren eine „ausgezeichnete fachliche Arbeit“ für sich und sehen darin die zentrale Basis für die Karriere. Ersteres ist gewagt, letzteres ist falsch. Wie, sagten Sie doch gleich, löst Ihr Abteilungsleiter seine Aufgaben – aber er ist im Management, Sie jedoch nicht! So einfach ist das!
Das heißt nicht, man wird um so mehr Chef, je schlampiger man arbeitet. Aber: Ausgezeichnete fachliche Arbeit ist so wichtig für die Karriere wie gesunde Beine für einen Weltklasse-Tennisspieler – irgendwo selbstverständlich, allein aber bedeutungsarm.
Einigen wir uns doch so: Brillante Noten im Studium sind die halbe Miete – aber in dem Begriff steckt die Erkenntnis, dass es ja wohl auch noch eine zweite Hälfte geben muss. Darauf will ich Ihre – und anderer Leute – Aufmerksamkeit lenken.
Für den Start (Traineeprogramm beim Top-Konzern) waren die Noten (Sie hatten noch andere Pluspunkte damals) eine hervorragende Empfehlung – eine Eintrittskarte für das „Spiel“ des Berufslebens. Es ist ein „Spiel“, das merken Sie langsam. So wie Monopoly: Mit Intelligenz allein ist kein Blumentopf zu gewinnen.
3. Ihr heutiger Chef (Abteilungsleiter) hat Sie nicht gewollt, sondern Sie waren Teil des Inventars, das er dort vorfand und akzeptieren musste. Der Vorgänger hatte Sie als Trainee beobachtet, kennen und schätzen gelernt, Sie als zu sich passend eingestuft und Sie aktiv haben wollen. Das ist ein Unterschied!
Viele Mitarbeiter in vielen Abteilungen haben diesen Aspekt schon missachtet. Wenn Sie als „Neuer“ irgendwo anfangen, ist Ihr Chef Ihr Verbündeter – der hat Sie ja ausdrücklich haben wollen und will unbedingt, dass sich seine Entscheidung bewährt. Wenn aber der Chef neu hinzukommt, ist völlig offen, ob er Sie mag oder nicht. Ihre ständige Aufgabe, sein Wohlwollen zu erringen, ist viel schwerer als im erstgenannten Fall.
Da ich zu eindrucksvollen Beispielen neige: Es ist ein bisschen so als hätten Ihre Eltern Ihnen eine Freundin ausgesucht, mit der Sie nun glücklich werden sollen. Dann schon lieber, werden Sie denken, mit einer selbsterwählten. Sehen Sie, so denkt Ihr Chef auch und fühlt sich überhaupt nicht verpflichtet, Sie ob Ihrer puren Existenz zu mögen. Sie hätten darum kämpfen müssen …
4. Ihr heutiger Chef, die zweite (Klappe, wie die Filmemacher sagen): Was sollen Sie mit einem Chef machen? Sie sollen ihn „erheitern“, ihn dazu bringen, Sie für einen guten Mitarbeiter zu halten. Und was tun Sie? Sie machen ihm klar, dass seine Projektleitung höchst unvollkommen ist, dass Sie jedoch Ihr Teilprojekt vorbildlich … Will ein Chef Mitarbeiter, die ihm zeigen, wo es langgeht? Er will hingegen, dass Sie beeindruckt davon sind, wie toll er …
5. Ihr heutiger Chef, die dritte: Kennen Sie die Ausbildungsqualifikation (TH/FH) und vor allem die Noten Ihres Chefs? Vermutlich nicht. Aber der kennt Ihre – und besser können seine kaum sein.
Ich halte Sie für fähig zu glauben, Sie könnten so manches besser als er. Und ich halte ihn für clever genug, das zu merken. Was er davon hält, ist jedem klar.
6. Ihr heutiger Chef, die letzte: Es wird ganz deutlich, dass er Sie nicht befördern will. Schon gar nicht, wenn er ohnehin keine offenen Stellen – oder neue zu erwarten – hat, er also nicht mit Ihrer Beförderung seine Probleme lösen könnte, sondern auch noch kämpfen müsste, nur um Ihnen zu helfen.
Die Äußerungen Ihres Chefs dürfen durchaus so interpretiert werden, dass er vielleicht sogar Ihr „freiwilliges“ Verlassen der Abteilung forciert, es zumindest „billigend in Kauf nimmt“.
7. Ihre Kollegen schätzen Sie – das ist schön. Aber bitte bewerten Sie das nicht über! Die wählen keine neue Führungskraft, diese wird hingegen „von oben“ ernannt.
Ihr Ziel also muss sein: „Meine Vorgesetzten schätzen mich, mit den Kollegen komme ich auch einigermaßen aus.“ Schließlich bezahlt das Unternehmen Sie, es wird durch den Vorgesetzten vertreten. „Vorgesetzter“ in diesem Sinne ist die Ebene mit Disziplinarverantwortung, hier also Ihr Abteilungsleiter.
Fazit bis dahin: Sie haben bisher allein auf brillante fachliche Leistungen und „korrektes“ Verhalten gesetzt. Karriere macht man jedoch, indem man seine Vorgesetzten begeistert. Dafür wiederum ist die Fachqualifikation nur ein Baustein, noch nicht einmal der wichtigste.
Zu Ihren Optionen:
a) Das bringt nichts.
b) Ist in einem so großen Konzern wie Ihrem die Standardlösung. Die Entfernung vom bisherigen Fachgebiet ist, solange Sie im Konzern bleiben, unerheblich. Sie bekommt höchstens bei einem späteren Firmenwechsel Bedeutung. Nach drei Jahren im neuen Fachgebiet wären Sie dort Fachmann – im alten Gebiet jedoch praktisch nicht mehr. Wie weit Sie sich jetzt vom bisherigen Gebiet entfernen dürfen, lässt sich nicht theoretisch diskutieren. Solange Sie im Konzern weiter am bisherigen Produkt (z. B. Werkzeugmaschinen) arbeiten und im bisherigen Tätigkeitsbereich (z. B. Entwicklung) bleiben, ist es nicht so furchtbar wichtig, ob sie beispielsweise von der Serienbetreuung in die Projektierung von Einzelmaschinen wechseln. Die Hauptsache ist, Sie kommen in der Laufbahngestaltung voran. Wer Karriere macht, kann ohnehin nicht Spezialist bleiben.
c) Das empfehle ich grundsätzlich nicht. Im Mittelstand hat das einen Sinn. Bei so großen Konzernen jedoch gilt: Wer einen kennt, kennt alle. Man kommt entweder mit „seinem“ zurecht oder mit den anderen ebenso wenig. Im Einzelfall können Ausnahmen denkbar sein, aber gerade unter Karriereaspekten gilt die Grundregel.Wenn Sie also den Konzern verlassen, dann gehen Sie am besten zu einem kleineren Unternehmen (z. B. mit 20.000 Mitarbeitern) und steigen dabei deutlich in der Hierarchie auf.
Kurzantwort:
1. Man muss seine Vorgesetzten begeistern, um Karriere machen zu können. Das Erbringen hochqualifizierter fachlicher Leistungen ist dabei ein Baustein von vielen, reicht allein aber niemals aus.
2. Wer in einem Großkonzern nicht aufsteigen kann, sollte nicht in einen zweiten wechseln, das lohnt sich nicht. Dann empfiehlt sich eher der Wechsel in einen anderen Unternehmenstyp (eine Nummer kleiner).
Frage-Nr.: 1798
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 42
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2003-10-16
Ein Beitrag von: