Heiko Mell 01.01.2016, 15:29 Uhr

Zählt die Konzernkarriere?

Direkt nach meinem Studium trat ich vor etwa zwölf bis vierzehn Jahren (die unpräzisen Angaben werden von mir formuliert; Ziel ist die weitgehende „Neutralisierung“ der mir detailliert mit allen Namen und Daten vorliegenden Informationen, d. Autor) in die ABC GmbH ein. Kurz danach wurde ich zum Leiter der Stabsstelle (mit Zuständigkeit für alle Standorte des Unternehmens) in meinem seither gleichgebliebenen Fachgebiet befördert.

Inzwischen war das Unternehmen von einer internationalen Gruppe übernommen worden. Ich leitete das Steuerungs-Team der Gruppe in meinem Fachgebiet, zusätzlich hatte ich die entsprechende operative Verantwortung in einem Geschäftsbereich.

Fünf Jahre später wurden wir durch eine völlig andere internationale Gruppe übernommen. Wieder fungierte ich als erster Ansprechpartner auf meinem Fachgebiet. Mein Arbeitsvertrag wurde erst gekündigt und dann mit der deutschen Konzerngesellschaft neu geschlossen. Ich wurde „Director …“.

Zur Zeit verantworte ich meinen angestammten Fachbereich für etwa zwanzig Werke in diversen europäischen Ländern. Die Leiter der entsprechenden Fachgebiete sind mir fachlich und disziplinarisch unterstellt. Ich berichte direkt an die Konzernzentrale im fernen Ausland.

Ich schätze die Rahmenbedingungen meiner Position im Unternehmen sehr (angemessenes Gehalt, Dienstwagen). So weit so gut (oder sogar sehr gut). Aber:

– Die Konzernmutter ist in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, es sind bereits rechtliche Schritte eingeleitet worden.

– Trotz diverser Unternehmensverkäufe, Umbenennungen und zweier Arbeitsverträge habe ich seit meinem ersten Arbeitsvertrag vor zwölf bis vierzehn Jahren denselben Dienstort und dieselbe Telefonnummer (auch wenn ich mich räumlich mittlerweile in die „belle étage“ vorgearbeitet habe).

– Aufgrund der permanent wachsenden Anforderungen aus den Gesetzgebungsaktivitäten auf nationaler und internationaler Ebene nimmt die Lobbyistenarbeit auf unternehmensexterner politischer Ebene mehr und mehr Zeit in Anspruch. In meiner Lebensplanung hatte ich dies eigentlich erst ab Ende 50 vorgesehen (jetzt bin ich Ende 30).

– Ich war hier mit der Schließung und Abwicklung mehrerer Produktionsstandorte in Europa betraut, einige weitere sind gerade dazugekommen. Natürlich sind Restrukturierungen notwendig, um Unternehmensziele zu verwirklichen und um das Überleben des Unternehmens zu sicher, aber Projekte dieser Art stellen eine starke mentale und körperliche Belastung dar.

– Ich beschäftige mich intensiv mit der Frage, ob ich das Unternehmen verlassen soll. Bisher vorliegende Angebote habe ich ausgeschlagen, da sie mich noch weiter von der betrieblichen Praxis entfernt hätten.

Meine Fragen:

1. Gehöre ich mit meiner langen Dienstzeit mittlerweile zum alten Eisen oder werden potenzielle künftige Arbeitgeber die Karriere innerhalb des Konzerns ähnlich wertschätzen wie Laufbahnen, die mit mehreren Wechseln des Arbeitgebers verbunden sind?

2. Bin ich mit meiner internationalen Ausprägung und der zunehmenden Entfernung vom betrieblichen Tagesgeschäft für ein mittelständisches Unternehmen überhaupt von Interesse (meine Idealvorstellung: metallverarbeitender Betrieb mit mehreren Produktionsstandorten in D und übersichtlicher Eignerstruktur)?

3. Wie wird die Begründung des geplanten Ausstiegs (Werksschließungen, gravierende wirtschaftliche Probleme der Mutter) von potenziellen Arbeitgebern eingeschätzt?

Antwort:

Sie haben einen durchaus typischen Berufsweg hinter sich: Mehrfache Eigentümerwechsel, zunehmende „Globalisierung“ der Aufgaben, ernste wirtschaftliche Probleme der Konzernmutter – die Tochtergesellschaften auch dann bedrohen, wenn diese selbst gesund sein sollten.

Ihr Hauptproblem aus meiner Sicht: Ihre Aufgabe dort hat sich in eine höchst spezielle Richtung entwickelt. Daher kann praktisch auch nur ein ebenso speziell aufgestellter Arbeitgeber damit etwas anfangen. Praktisch gilt dieser Grundsatz immer: Wenn ein Wechsel erforderlich wird (wegen der Umstände, nicht vorrangig aus Karrieregründen), ist ein Arbeitgeber desselben Typs mit einer Position derselben Art die logische 1. Wahl. Gibt es diese Firmen kaum oder besetzen die wenigen ihre entsprechenden Positionen so gut wie nie von außen, haben Sie ein Problem. Ein Arbeitnehmer sollte stets darauf achten, einen Job zu haben, von dessen Art es draußen viele gibt (goldene Regel).

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Gehen wir Ihre konkreten Fragen durch: Zu 1: Nein, Sie gehören nicht zum alten Eisen. Zwar ist bei Dienstzeiten oberhalb von zehn Jahren ein kritisches Hinterfragen des eigenen Marktwertes durchaus angebracht. Aber selbst Ihre reine Betriebszugehörigkeit liegt noch im Toleranzrahmen. Hinzu kommen die dramatischen Eigentümerwechsel, die „locker“ den einen oder anderen Arbeitgeberwechsel ersetzen. Letztlich steht auch Ihr kontinuierlicher Aufstieg dem Vorwurf einer fantasielosen „Stagnation“ entgegen!

Zu 2: Ihr Verdacht ist berechtigt! Warum, in aller Welt, bezeichnen Sie sich vorn in dem Satz als Mann mit (deutlicher) „internationaler Ausprägung“ und wollen ein paar Zeilen später in einen Betrieb, der nur „mehrere Produktionsstandorte in Deutschland“ hat?

Gerade die Internationalität ist eines der „Pfunde“, mit denen Sie als Bewerber „wuchern“ könnten! Ach und die „übersichtlichsten“ Eignerstrukturen hat ein inhabergeführtes Privatunternehmen. Aber nicht alles, was man übersehen kann, ist auch besonders einfach.

Schließlich gilt folgendes Prinzip: Sie scheinen doch mit Ihrer Aufgabe ganz zufrieden zu sein, mit allen Randbedingungen ebenso. Nur Ihre Konzernmutter steckt in wirtschaftlichen Problemen. Also lautet doch die logische Lösung Ihres Problems: Sie suchen sich wieder eine solche international geprägte Position bei einem anderen international geprägten Konzern – der aber nun nicht von Insolvenz bedroht ist. Dass Sie „bei der Gelegenheit“ gleich noch ein paar Details zu Arbeitgeber und Position zusätzlich verändern wollen, kompliziert unnötig die Lösung.

Zu 3: Für einen Mann in Ihrer Position (Gegenbeispiel: Ein Bewerber, dem man wegen seines Jobs Mitschuld an der kritischen wirtschaftlichen Lage des Konzerns anlasten könnte) ist das völlig problemlos. Ein Angestellter arbeitet für Geld. Hat er berechtigte Zweifel, dass dieses Geld auch in Zukunft noch fließt, ist er nicht nur zum Streben nach neuen Ufern berechtigt, sondern geradezu verpflichtet. Das ist dann zwar keine Nibelungentreue bis in den Tod – die Nibelungen waren aber auch keine bezahlten „Söldner“ mit Kündigungsfrist (das Beispiel mit dem Söldner ist hart, natürlich hinkt es, aber es steckt eine Menge Wahrheit darin. Oder wie wollen Sie sonst erklären, dass mitunter sogar Vorstandsmitglieder „zur Konkurrenz“ gehen und dort munter weitermachen?).

Übrigens: Bei einer Bewerbung liegt es an Ihrem verkäuferischen Geschick, ob Sie viel vom „Konzern“, von „Internationalität“ und von „Lobbyarbeit“ sprechen – und sich damit vielleicht um Welten vom Bewerbungsempfänger entfernen.

Kurzantwort:

Wer ein drängendes Problem hat, soll und muss das lösen. Das gelingt um so besser und sicherer, je eindeutiger er sich nur auf den Kern konzentriert und nicht „bei der Gelegenheit“ noch andere Gegebenheiten optimieren will (und z. B. bei drohender Arbeitgeberpleite auch noch einen ganz anders gelagerten neuen Job bei einem anderen Arbeitgebertyp sucht).

Frage-Nr.: 1828
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 8
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2004-02-20

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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