Wie verhalte ich mich, wenn mein Kollege mein Chef wird?
Vor einigen Jahren habe ich im Bereich … mit einem Kollegen zusammengearbeitet, der mittlerweile ein eigenes Unternehmen hat. Ich möchte mich bei ihm als freier Mitarbeiter oder um eine Festanstellung bewerben.
Damals haben wir uns geduzt und hatten auch sonst ein gutes Verhältnis, obwohl ich ihm unterstellt war. Wie sollte ich ihn jetzt in einem Anschreiben anreden: Sie oder Du? Sehr geehrter Paul oder Hallo Paul?
Antwort:
Ihre Schilderung ist in einem wichtigen Punkt etwas unpräzise: Teils war der Mann früher Ihr „Kollege“, teils waren Sie ihm damals „unterstellt“. Eines geht nur: Jemand ist entweder Vorgesetzter oder Kollege, nicht beides gleichzeitig. Ich nehme einmal an, der „Kollege“ überwiegt, die „Unterstellung“ ist vermutlich bloß die des Teammitglieds unter den Team-/Projekt-/Gruppenleiter gewesen. Also gehe ich hier von einer vorrangigen Kollegialfunktion aus.
Sie spüren es schon: Das alte Verhältnis ist nicht mehr! Die Relationen haben sich verschoben. Er ist jetzt Inhaber, gehört einer anderen „Klasse“ an, Sie wären in Zukunft nicht mehr mit ihm gleichgestellt, sondern von ihm abhängig.
Menschen pflegen sich zu verändern, wenn sie einen anderen Status erreichen. Derjenige, der noch in Ihrem Gedächtnis existiert, ist in Wirklichkeit gar nicht mehr vorhanden, hat sich gewandelt vom in gleichen Kategorien denkenden Kollegen zum künftigen Chef und Unternehmer. Vom Kumpel, der redete, dachte und über Vorgesetzte sprach wie Sie zum Mann, der Sie eines Tages feuern muss, um die Firma zu retten. Früher reagierte er auf Ihre kollegialen Anpflaumungen gutmütig, heute ist er Chef, der auf seinen Ruf und sein Image achtet und ebenso empfindlich auf den bloßen Verdacht einer Missachtung reagiert wie es Ihr gemeinsamer Chef aus früheren Tagen tat.
Damit will ich sagen: Tun Sie es lieber nicht, die Erfahrungen mit einem solchen Schritt sind schlecht. Sie müssten „Paul“ jetzt – früherer Kollege hin oder her – als Chef wie einen fremden Vorgesetzten ansehen und behandeln, da können Sie auch gleich zu einem tatsächlich fremden Chef wechseln. Als Warnung: Er muss sich verändert haben – wäre er noch der alte „Pfundskumpel“ von damals, wäre er demnächst pleite (oder nie Unternehmer geworden).
Sie selbst fragen sich ja schon, ob überhaupt noch Platz ist für die alte Vertraulichkeit, die im Duzen zum Ausdruck kam.
Für die Anrede (wenn Sie es denn doch tun) kann ich folgende Varianten empfehlen:
1. „Sehr geehrter Herr Müller, …“ und dann unter „PS: Natürlich erinnere ich mich daran, dass wir uns früher geduzt haben. Aber es ist für mich selbstverständlich, meinen künftigen Arbeitgeber und Chef zu siezen.“
Und dann warten Sie auf sein Zeichen. Dass da lauten könnte: „Aber selbstverständlich duzen wir uns weiter.“ Was Sie freuen würde, aber nichts taugt. Denn dann hat der Firmeninhaber frühere Bekannte als Mitarbeiter, die er duzt, und neue Leute, die er natürlich nicht duzt. Schon gibt es eine Basis für Neid und Missgunst.
2. „Lieber Paul, …“ und dann unter „PS: Ich habe hier die vertraute Anrede aus alten Zeiten gewählt, um den Einstieg in diese Kontaktaufnahme zu finden. Aber ich schlage dir hiermit gern vor, dich später nach einer eventuellen Anstellung ebenso mit ‚Sie“ anzureden wie deine anderen Mitarbeiter es auch tun. Sonst gäbe es nur zu leicht Unzufriedenheiten im Team. Ich habe damit wirklich keine Probleme.“
Und nun von mir noch ein Kommentar: Ich halte gar nichts davon, fremde Menschen schriftlich mit „Hallo“ anzureden, ob nun geduzt oder nicht. Man ruft eher so, wenn man sich im Gebirge verläuft und jemanden sucht, der helfen kann, finde ich. Dass die Kinder in der Nachbarschaft mich und andere so grüßen, ist wahrlich schlimm genug. Aber ich bin ja lernbereit. Daher: Hallo Fans, dies ist das Ende dieser Antwort.
Kurzantwort:
Frage-Nr.: 1853
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 24
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2004-06-11
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