Wieso finde ich trotz guter Bewerbungen kein Einstiegsjob
Mein Studium des Maschinenbaus (FH), Fachrichtung Produktionstechnik, habe ich kürzlich abgeschlossen (Note: sehr gut). Dauer des Studiums 4 Jahre, zusätzlich habe ich fachspezifische Sonderscheine erlangt. Vorher arbeitete ich als Kraftfahrzeugtechniker, diese Karriere schloss ich mit dem Kraftfahrzeugmeistertitel ab.
Zusätzlich liegt folgende Praxiserfahrung vor:
– Kurzpraktikum bei einem deutschen Top-Kfz-Hersteller;
– Praxissemester im Ausland (Textilindustrie, um mal etwas anderes zu sehen);
– Diplomarbeit bei einem A-Lieferanten der Automobilindustrie;-
alle Referenzen und Zeugnisse wurden mit gut bis sehr gut bewertet;
– Alter: 30 Jahre, keine „Lücke“ im Lebenslauf.
Normalerweise würde man denken, dass ich schnell einen Job bekäme, aber dem ist nicht so. Dabei sind meine Bewerbungen von erfahrenen Personalern kontrolliert und für gut befunden worden.
Aktuell sieht es folgendermaßen aus:
Kein Automobilhersteller hat Interesse an meiner Bewerbung! Die Zulieferindustrie kann mit meinen Qualifikationen nichts anfangen. Ich sehe mich mittlerweile gezwungen, irgendeinen Job zu machen, damit ich Geld verdiene. Dabei galt damals der Grundsatz, je mehr Ausbildung und Erfahrung, desto bessere Jobmöglichkeiten.
Es ist mittlerweile so, dass es völlig egal ist, was man sich angeeignet hat. Ich überlege ernsthaft, irgendeinen Job zu machen, um dann nach 1,5 Jahren ins Ausland gehen zu können. Dabei dachte ich, dass deutsche Unternehmen auf Technologie und zukunftsorientierte Mitarbeiter setzen. Schade, leider nicht!
Antwort:
Nun werfen Sie bitte nicht gleich die Flinte ins Korn. Wir sehen uns die Geschichte einfach einmal im Detail an. Dass die Dinge bei Ihnen etwas ungewöhnlich strukturiert sind, erkennt man ja bereits aus Ihrer kurzen Schilderung. Inzwischen habe ich aber Ihre kompletten Bewerbungsunterlagen vorliegen. Beginnen wir mit dem Lebenslauf:
Sie haben nach Grund- und Realschule ein Fachgymnasium Wirtschaft besucht und einen „erweiterten Sekundarabschluss I“ mit 2,0 abgeschlossen. Das war kurz vor Ihrem 20.Geburtstag. Was ist ein „erweiterter Sekundarabschluss I“ überhaupt? Ein Mensch, der später ein FH-Studium mit sehr guten Noten abschließt (Ihre Worte), sollte mühelos ein Abitur schaffen – das Zeug dazu hätte er. Ist dieses hier „nur“ eine mittlere Reife – dann waren Sie dafür viel zu alt (16 Jahre wäre der Standard). Also mehr Fragen als Antworten an dieser Stelle.
Es folgt auf dieses „Fachgymnasium Wirtschaft“ eine Lehre – nicht kaufmännisch, sondern im gewerblichen Bereich, im Kfz-Handwerk. So richtig konsequent war das nicht. Anschließend etwa ein Jahr im Lehrberuf beim Autohändler – mit sachlich sehr gutem Zeugnis, das allerdings nicht sagt, wer wem gekündigt hat und eventuell warum.
Dann kommt, mit unerheblicher Pause dazwischen, ein Praktikum von 1,5 Monaten bei jenem deutschen Top-Kfz-Hersteller. Das Zeugnis ist sehr gut. Anschließend sind Sie noch vier Monate in diesem Automobilwerk geblieben und zwar als „kommissionierender Mitarbeiter“ in der Logistik. Mit etwas Nachdenken habe ich das als „Lagerarbeiter“ interpretiert. Damit schließt auch diese Phase irgendwie „erklärungsbedürftig“ ab. Zum Glück gilt auch sie im Gesamtzusammenhang nicht als übermäßig bedeutend.
Dann haben Sie eine Kraftfahrzeugtechniker-Meisterausbildung bei der Handwerkskammer mit solidem Ergebnis (2,5 sagen Sie im Lebenslauf) absolviert, was alles in allem nur acht Monate „verbraucht“ hat. Nur: Die „2,5“ kommen von Ihnen, eine „Deckung“ dafür in den Unterlagen gibt es nicht. Ihr Prüfungs-Zeugnis sagt in den beiden wichtigsten Fächern „befriedigend“, in einem dritten auch und in dem vierten, hier nicht relevanten Fach „gut“. Daraus ergibt sich für mich ein Durchschnitt von (ungewichtet, gewichtet würde er schlechter) 2,75. Seien Sie bitte sehr vorsichtig: Solange Sie Ihre 2,5 nicht durch ein amtliches Dokument beweisen können, sprechen Sie lieber nicht davon.
Fazit: Auch am Ende dieser kurzen Phase eine offene Frage (die nicht nötig gewesen wäre).
Nun folgt das FH-Studium. Nach dem Schulschwerpunkt „Wirtschaft“ und der folgenden praktischen Ausbildung, Tätigkeit und Weiterbildung im Bereich „Kraftfahrzeugtechnik“ nun wieder ein Aufgeben der bisherigen Ausrichtung und Studium der allgemeinen (nicht Kfz-bezogenen) Produktionstechnik. Das entsprechende Zeugnis ist noch keines, sondern nur eine (vorläufige) „Bescheinigung über bisher erbrachte Studien- und Prüfungsleistungen“. Dort steht z. B. noch nichts über eine Diplomarbeit! Der Durchschnitt der Noten auf diesem Blatt beträgt 1,8. Mehr Dokumente liegen mir zum Studium nicht vor. Sie schreiben auch im Lebenslauf korrekt 1,8. Aber ohne Diplomarbeit kann das doch nur eine vorläufige Note sein. Dieser Hinweis fehlt für den Lebenslauf-Leser. Woher Sie die Information zum Studienabschluss in dem Brief an mich („Note: sehr gut“) nehmen, bleibt vollständig unerfindlich!
Als Regel: Mit Motiven, Erklärungen, Hintergrundinformationen können Sie in Bewerbungen mit großem Ermessensspielraum jonglieren. Fakten (Zahlen, Noten etc.) müssen stimmen, Abweichungen zwischen Ihrer Aussage und Dokumenten sind extrem kritisch.
Sie geben im Lebenslauf an, die Diplomarbeit werde derzeit noch erstellt und zwar bei einem internationalen, großen Kfz-Zulieferer. Sie fügen ein Zeugnis dieses Unternehmens bei, nach dem jedoch die Tätigkeit in diesem Zusammenhang dort bereits vor sechs Wochen (gemessen am Tag „heute“) beendet wurde, die Diplomarbeit sei „in der vereinbarten Zeit fertiggestellt“ – ist also längst fertig. Extrem wichtig ist nun die Bewertung durch das Unternehmen.
Die ranghohen Zeugnisschreiber sprechen von Ihrer guten und schnellen Einarbeitung und Ihrem lobenswerten Vorgehen dabei (bei der Einarbeitung!). Dann wird Ihnen bescheinigt, Sie hätten Ihre Partner dort regelmäßig unterrichtet. Und Sie seien rechtzeitig fertig geworden. Dann kommen noch ein paar nette Worte zum Fachwissen, zum Engagement, zum freundlichen Wesen – und Schluss. Nichts, kein Wort zum Ergebnis Ihres mehrmonatigen Tuns dort. Nichts über den Wert Ihrer Arbeit für das Unternehmen, über die Verwertbarkeit Ihrer aufsehenerregenden Resultate für die Serienproduktion etc. etc.
Das ist überhaupt nicht gut – und nicht gut ist auch, dass ja der Konzern, der Sie kannte(!), Ihnen offensichtlich keinen Job angeboten hat. Für andere Leser Ihrer Bewerbung klingt das wie „Wir haben ihn erlebt, sorgfältig geprüft, aber nicht für einstellwürdig befunden.“
Von dem Top-Hersteller, bei dem Sie als Praktikant und „kommissionierend tätig“ waren, ganz zu schweigen.
Widmen wir uns dem Anschreiben: Basis ist die Ausschreibung eines internationalen Kfz-Zulieferers, der Berufseinsteiger sucht, entweder Maschinenbau-Ingenieure vorzugsweise der Fachrichtung Fahrzeugtechnik (der Sie nicht sind) oder Wirtschaftsingenieure (sind Sie auch nicht). Erwünscht sind eine Lehre im automobilen Bereich (haben Sie), fundierte Englischkenntnisse (Ihr Lebenslauf sagt „gut in Wort und Schrift“) sowie hohe Reisebereitschaft (Ihre gesamte Bewerbung sagt nichts dazu – ein Fehler).
Sie schreiben: „Meine Leidenschaft gilt der innovativen Automobilindustrie“ – dem steht das Durchtrennen des „roten Fadens“ Kfz-Technik entgegen. Durch die Aufnahme des allgemeinen Studiums der Produktionstechnik machen Sie Ihre „Leidenschaft“ etwas unglaubwürdig.
Dann schildern Sie Ihren Ausbildungsweg in groben Zügen. Dabei erwähnen Sie den „Meistertitel“. Das Problem dabei: Die Standard-Werdegänge sehen den Ingenieur mit Meisterprüfung nicht vor, so etwas gibt es sehr selten, kaum jemand kann das richtig ein- und zuordnen. Nach der Lehre macht man entweder seinen Meister oder(!) man studiert, nicht beides nacheinander. Niemand weiß, wie man den daraus entstandenen „Exoten“ nun einordnen soll. Je größer der potenzielle Arbeitgeber, desto stärker ist er an Denkraster und Standards gebunden.
Dann erwähnen Sie den Top-Kfz-Hersteller (Praktikum) und den großen Zulieferer (Diplomarbeit). Dabei drängt sich natürlich die Frage auf: Beide haben Sie kennen gelernt – warum stellt Sie keiner von denen ein?
Fazit: Sie sind (fast) Dipl.-Ing. (FH) der (allgemeinen) Produktionstechnik. Sie sind mit 30 Jahren dafür zu alt, soweit die Anforderungen großer Unternehmen betroffen sind. Schön, Sie sind zusätzlich zur Lehre noch Meister, das will aber niemand, das steht in keinem Anforderungsprofil.
Und Ihre Bewerbung hat und offenbart Schwächen, manche Ihrer Aussagen über sich und Ihre Noten sind, gelinde gesagt, etwas gewagt; welche Planung Ihrem Werdegang bisher zugrunde gelegen hat, wird nicht erkennbar. Ihre Diplomarbeit könnte(!) danebengegangen sein. Die fachliche Schiene der Fahrzeugtechnik haben Sie mit diesem Studium verlassen.
Mein Vorschlag: Akzeptieren Sie, dass Sie die weitgehend genormten Anforderungen der Großindustrie nicht erfüllen. Konzentrieren Sie sich auf mittelständische Unternehmen, die Ihre Praxisorientierung besser gebrauchen können. Schreiben Sie 50 % Ihrer Bewerbungen an „allgemein“ tätige Unternehmen, wie es Ihrer Studienspezialisierung entspricht. Renommieren Sie vorsichtshalber im Anschreiben nicht mit dem Meistertitel, bezeichnen Sie dieses „exotische“ Detail im Lebenslauf als „zur Überbrückung bis zur Aufnahme des Studiums“. Und die anderen 50 % schreiben Sie an mittelständische Kfz-Zulieferer, insbesondere auch an solche mit großstadtfernen Standorten.
Sie haben sehr viel erreicht nach Ihrem schwach aussehenden schulischen Start. Aber bedenken Sie: Wie jeder, der ein „Produkt“ gestaltet, das hinterher auf einem „Markt“ gegen Geld „verkauft“ werden soll, müssen auch Sie sich nach den Vorstellungen späterer „Kunden“ richten und dürfen nicht ungestraft nach eigenen Ideen „konstruieren“, was Ihnen gerade einfällt.
Kurzantwort:
1. Manche Ausbildungen sind nicht für eine Kombination vorgesehen, z. B. Meister und Ingenieur.
2. Große Unternehmen denken Bewerbern gegenüber meist in Standard-Kategorien, wer davon abweicht, hat dort schlechte Karten.
Frage-Nr.: 1977
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 49
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2005-12-04
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