Sollte ich mich erneut mit einem geringeren Gehaltswunsch bewerben?
Vor einigen Wochen war ich zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Die ausgeschriebene Position passte ideal zu meinen persönlichen Prioritäten:
1. heimatnah arbeiten zu können und
2. eine leitende Tätigkeit zu übernehmen.
Das Gehalt käme demnach frühestens an 3. Stelle.
Leider hatte ich mir diese Rangfolge vorher nicht bewusst gemacht. Im Vorstellungsgespräch nannte ich einen Gehaltswunsch, der einer Steigerung von ca. 15 % gegenüber meinem heutigen Einkommen entsprochen hätte. Eine Woche später erhielt ich eine Absage.
Da diese Stelle aber auch danach noch ausgeschrieben war, habe ich dort angerufen und nach den Gründen für die Absage gefragt. Dabei kam heraus, dass meine Gehaltsforderungen als zu hoch angesehen wurden bzw. meine Qualifikationen für ein solches Gehalt nicht ausreichten. Ich hatte also ein wenig überzogen.
Da aber diese Stelle eine der wenigen ist, die sehr gut zu meinen ersten beiden Zielen passt: Wäre es sinnvoll, sich dort erneut zu bewerben? Wie sollte ich diese Bewerbung – dann mit einer geringeren Gehaltsforderung – begründen? Oder soll ich jetzt lieber Gras über die Sache wachsen lassen und es später noch einmal versuchen? Wann?
Ich bin heute in einem großen Konzern tätig, das suchende Unternehmen ist mittelständisch und inhabergeführt.
Antwort:
Sie wissen, dass ich stets davor warne, Standortaspekte auf die Nr. 1 der Prioritätenliste zu setzen. Sie sehen ja, was dabei herauskommt.
Andernfalls würden Sie jetzt die Schultern zucken und sich neu bei einem der zahlreichen anderen mittelständischen Unternehmen irgendwo in Deutschland bewerben. Nun aber wollen Sie unbedingt an jenen Ort – und müssen also die wenigen potenziellen Arbeitgeber dort für sich begeistern. Und was geschieht, wenn in einigen Jahren ein weiterer Wechsel notwendig wird?
Nein, diese Prioritäten sind zur Nachahmung nicht empfohlen. Aber lassen wir das einmal und konzentrieren wir uns auf Ihre Frage:
Wenn Sie sich erneut bewerben, wird man sich vermutlich nicht an Ihren Namen erinnern, aber todsicher an Ihre Fakten. Sie sind der „Mann von der XY AG“, das prägt sich ein. Und man erinnert sich daran, dass man „das alles“ schon einmal gelesen hat. Man forscht nach – und findet die Absage an Sie. Vermutlich merkt dabei überhaupt niemand, dass Sie jetzt „billiger“ geworden sind.
Was man vermuten wird? Dass sich wieder einmal ein Bewerber merkwürdig verhält und sich trotz einer Absage erneut um dieselbe Position bewirbt, ohne das zu erkennen. So etwas gibt es jeden Tag.
Nein, ich würde den damaligen Gesprächspartner anrufen und ihm die Zusammenhänge ganz offen erläutern:
Sie hätten damals mit Ihrer Gehaltsforderung einen Fehler gemacht, indem Sie einfach ohne Nachzudenken die üblichen Steigerungsraten genannt hätten. Das entspräche aber absolut nicht Ihren Prioritäten. Dort stünde – natürlich – die interessante Aufgabe ganz oben, aber auch der Standort bedeute Ihnen viel und sei geeignet, Sie kompromissbereit zu machen. Daher seien Sie immer noch von der Position fasziniert und also bereit, Ihren Gehaltswunsch bei … Euro anzusetzen. Sie wüssten, dass Ihre Anfrage vielleicht etwas ungewöhnlich sei und dass Sie etwas ungeschickt vorgegangen seien – so als hätten Sie am Anfang schlicht „gepokert“. Aber Sie seien sich nun über Ihre wirklichen Prioritäten klar geworden und ob Sie sich noch einmal bewerben dürften.
Dann warten Sie einmal ab, was geschieht. Eine Einschränkung liegt übrigens in der Frage, ob die Absage damals wirklich nur am Gehalt gelegen hat. Wenn es noch andere Gründe gab, haben Sie eben Pech gehabt. Von der damals Ihnen gegenüber gemachten Anmerkung, Ihre Qualifikation sei für Ihren Gehaltswunsch nicht ausreichend, ist es nur ein ganz kleiner Schritt zu der Auffassung, Ihre Fähigkeiten reichten für die Position generell nicht aus.
Kurzantwort:
Die Gehaltsforderung eines Kandidaten im Bewerbungsprozess gilt als Faktum, nicht als Einleitungsforderung für Feilschungsrituale auf einem orientalischen Basar. Wer unbedingt diesen Job will, reduziere lieber schon im Vorfeld seine Forderungen.
Frage-Nr.: 1985
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 2
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2006-01-11
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