Wie verhalte ich mich, wenn mein Vorgesetzter das Unternehmen betrügt?
Ich arbeite seit zwei Jahren für eine deutsche AG in einer ausländischen Niederlassung, viele tausend Kilometer von der Zentrale entfernt, geleitet von einem deutschen Geschäftsführer. Unsere Niederlassung wirft jedes Jahr einen gewissen Gewinn ab. Dies dürfte wohl der Grund sein, weshalb wir von unserer Muttergesellschaft weitgehend in Ruhe gelassen werden.
Seit einiger Zeit beobachte ich, wie der Geschäftsführer in nicht unerheblichem Maße auf verschiedene Art und Weise Geld „in die eigene Tasche steckt“. Die mir bekannten Vorgänge dieser Art sind vermutlich nur die Spitze des Eisbergs.
Wie würden Sie sich an meiner Stelle verhalten? Ich habe über verschiedene Optionen nachgedacht:
1. Ich „petze“ beim zuständigen Vorstand in Deutschland. Dann wird der Geschäftsführer vermutlich seinen Posten verlieren. Der Vorstand ist mir dann entweder unendlich dankbar und verdoppelt mein Gehalt oder ich muss mir eine neue Stelle suchen, da die Aufdeckung „Spannungen“ in unseren Beziehungen hier verursacht.
2. Ich „petze“, aber anonym. Das hat diverse Nachteile, u. a. wird man den „Maulwurf“ suchen.
3. Ich unternehme nichts. Dann könnte ich mich grämen, selbst nicht clever genug zu sein, eine Scheibe vom dargebotenen Kuchen abzuschneiden. Oder ich suche mir einen neuen Arbeitgeber. Oder ich rede offen mit meinem Geschäftsführer (und ihm tut es schrecklich Leid und er zahlt alles zurück oder er ist stinksauer und sucht nach einem Grund, mich unehrenhaft hinauszuwerfen).
Für Ihren Rat bin ich Ihnen sehr dankbar.
Antwort:
Antwort: Sie sitzen auf einem Pulverfass – und die Zündschnur brennt schon! Versuchen wir, das Problem in bewährter Weise „aufzudröseln“:
a) Der Konzern, vertreten durch den Vorstand in Deutschland, erwartet in jedem Fall, dass jeder seiner weltweit tätigen Mitarbeiter jederzeit alles unternimmt, um loyal zur Firma zu stehen, Schaden von ihr abzuwenden, vor allem finanziellen.
Offiziell erwartet der Konzern eine „Meldung“ von Ihnen! Schon die Tatsache, dass Sie seit „einiger Zeit“ Mitwisser sind und nichts unternommen haben, kann Sie den Kopf kosten! Sie haben bereits damit gegen Ihre Loyalitätsverpflichtung verstoßen. Wie immer geht es hier nicht um eine juristische Würdigung. Der Vorstand wird, wenn er irgendwie selbst auf den Fall stößt und von Ihrer Mitwisserschaft erfährt oder sie unterstellt (!), zumindest Ihre Entlassung betreiben.
b) Damit ist generell die Möglichkeit tot, „ich tue gar nichts, ziehe den Kopf ein und habe nie etwas gesehen oder gemerkt“. Sie könnten auch nicht mehr unbefangen mit Ihrem Geschäftsführer umgehen. Stellen Sie sich vor, der mäkelt an 10 EUR (oder an einer vergleichbaren Summe in örtlicher Währung) bei Ihrer nächsten Spesenabrechnung herum. Sie könnten sich in einem Wutanfall zu unbedachten Äußerungen hinreißen lassen.
c) Wenn Sie aber Ihre Pflicht tun und den Vorstand informieren, dann werden Sie erleben, dass man zwar den Verrat liebt, aber den „Verräter“ hasst. Dort vor Ort will niemand mehr etwas mit Ihnen zu tun haben – wer weiß, wen Sie demnächst „anschwärzen“. Und der Vorstand liebt Sie auch nicht wirklich – weil er befürchtet, Sie riefen demnächst den Aufsichtsrat an und meldeten irgendetwas, das sich auf Vorstandsebene getan hat (er könnte auch befürchten, im aktuellen Fall der mangelnden „Dienstaufsichtspflicht“ verdächtigt zu werden).
d) Anonyme Mitteilungen sind eines aufrechten Mannes Sache nicht! So etwas hatten wir hierzulande alles schon hinreichend. Außerdem, Sie vermuten richtig, wird jeder nach dem „Maulwurf“ suchen.
e) Na ja, das „gute Gespräch“ mit dem Sünder ist so eine Sache. Im Krimi erschießt der den Mann, der ihm erzählt: „Ich weiß um Ihre kriminellen Machenschaften.“ Mit einem Kollegen wäre ein Gespräch noch denkbar, mit einem Chef nicht.
f) Die Situation ist diese: Sie haben nichts falsch gemacht – und haben dennoch ein Problem: Was immer Sie tun, bringt Ärger für Sie mit sich, Ihre schöne ruhige Welt da unten hat sich mit einem Knall aufgelöst. Als Trost: Das Leben ist mitunter so, es legt vielfältige Minen um uns herum aus. Der eine steht zur falschen Zeit am falschen Ort und wird vom Auto überfahren, der andere hat in der falschen Situation die falsche Information. Die Frage nach der persönlichen Schuld oder Unschuld stellt sich nicht, ebenso wie die nach Gerechtigkeit. „Das Leben“ kennt die-sen Begriff praktisch nicht.
g) Natürlich müssen Sie dennoch etwas tun, Sie können auf dem Pulverfass mit brennender Lunte nicht sitzen bleiben. Die Lösung taucht schon in Ihrem Brief auf: Sie werden sich einen neuen Arbeitgeber suchen müssen – schnell. Denn die „Zeitbombe“ wird hochgehen – und es ist immer gut, dann so weit weg wie möglich zu sein.
Anmerkung: Für viele Leser, für mich übrigens auch, ist meine Analyse sicherlich unbefriedigend. Da betrügt jemand seinen Arbeitgeber, bereichert sich an dessen Vermögen, jemand weiß davon – und nun soll nicht nur der Betrüger straflos davonkommen, sondern der zufällige Mitwisser, der völlig unbeteiligt ist, muss die Geschichte ausbaden und auch noch Unannehmlichkeiten hinnehmen wie etwa einen ungeplanten Arbeitgeberwechsel.
Gehen wir etwas tiefer in die Sache hinein: Geschädigt ist der Arbeitgeber, eine international operierende Aktiengesellschaft. Diese kann nicht nur gut auf sich selbst aufpassen, in den Augen ihrer Aktionäre hat sie auch die unbedingte Pflicht, dies zu tun. Instrumente dazu sind das Bemühen um Prozesse (Abläufe), die eine persönliche Bereicherung möglichst erschweren oder ausschließen und effiziente Kontrollmaßnahmen wie z. B. eine aktive Revision.
Ich weiß, dass manche Firmen intern direkte Wege geschaffen haben, auf denen Mitarbeiter so etwas anonym melden können. Ich bin ein strikter Gegner jeder Förderung anonymer Äußerungen. Dabei ist auch Missbrauch nicht auszuschließen, z. B, das Anschwärzen missliebiger Kollegen oder Chefs. Wenn zwei Mitarbeiter zur Beförderung anstehen und nur eine Position zu besetzen ist, könnte jemand in Versuchung kommen, dem Rivalen eine Betrugsanzeige anzuhängen, ganz anonym, versteht sich. Nein, das gefällt mir nicht.
Was auch unbedingt gesagt sein muss: In dieser gesamten Frage, auch (oder gerade) im Fall unseres Einsenders, muss man sich vor unbewiesenen Verdächtigungen hüten. Da ein Täter niemals so dumm sein wird, vor Zeugen direkt in die Kasse zu greifen, gibt es stets die Gefahr von Fehlinterpretationen bestimmter Handlungen und falschen Verdächtigungen.
Hier haben Sie nun ein schönes Beispiel für meine Theorie gelesen, dass unser berufliches System am ehesten einem Monopoly-Spiel gleicht: Es gewinnt nicht zwangsläufig der beste Spieler, Glück gehört dazu und nicht jeder, der die Karte zieht „Gehe ins Gefängnis“, hat diese Strafe verdient. Vermutlich ist wegen der Unvollkommenheit der beteiligten Menschen gar kein auch nur halbwegs perfektes System denkbar.
Kurzantwort:
Service für Querleser:
Wer erfährt, dass sein Chef den gemeinsamen Arbeitgeber betrügt, steht vor einem hochkomplexen Problem, bei dessen Lösung ihm selbst erhebliche Nachteile drohen. Der schnelle Arbeitgeberwechsel kann für ihn der rettende Ausweg sein.
Frage-Nr.: 2009
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 15
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2006-04-14
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