Heiko Mell 01.01.2016, 19:54 Uhr

Was sollte ich machen, wenn ich auf der Arbeit nichts zu tun habe?

Die Lektüre Ihrer Rubrik am Freitag Abend markiert für mich seit Jahren den Beginn des Wochenendes und ist somit ein quasi ritualisierter Teil meines Lebens. Dass ich Ihnen einmal ausgerechnet aus dem hier angesprochenen Grunde schreiben würde, hätte ich nicht gedacht.

Vor einigen Monaten trat ich eine neue Stelle an. Die Abteilung, in der ich tätig bin, arbeitet projektorientiert an bereichsübergreifenden Themen mit dem Ziel, die Prozesse entlang der Wertschöpfungskette zu optimieren. Das von mir betreute Fachgebiet (eine der klassischen Säulen einer Unternehmensstruktur) stand in der Vergangenheit nicht im Fokus, so dass es in meiner Abteilung bisher keinen Ansprechpartner für diesen Bereich gab – was der Grund für meine Einstellung war. Eine Einweisung oder gar Einarbeitung fand praktisch nicht statt. So blieb ich lange Zeit weitgehend auf mich allein gestellt und versuchte, im Unternehmen Fuß zu fassen. Mein Vorgesetzter ist selten in seinem Büro und meine Kollegen waren mit ihren Projekten beschäftigt – während ich beschäftigungslos war (und weiter bin).

Nun ist das kein Thema, mit dem man gerne die Aufmerksamkeit des Vorgesetzten weckt. Erst recht nicht in der Probezeit. Dennoch habe ich meinen Chef – sowohl dezent als auch direkt – auf meine geringe Auslastung hingewiesen. Meistens führte das zu nichts, gelegentlich führte es zu kleineren Aufträgen. Im schlimmsten Fall führte es sogar zu der Frage, ob ich nicht ein paar Tage Urlaub nehmen möchte. Dabei kann man nicht sagen, dass das von mir betreute Fachgebiet nicht die nötige Aufmerksamkeit fände. Zwischenzeitlich wurde ein umfangreiches Projekt unter Mitwirkung einer externen Beratung gestartet, an dem auch ich in geringem Umfang beteiligt bin. Doch trotzdem – und trotz einiger Themen, die ich mir schon aus eigener Initiative gesucht habe – bin ich nicht ansatzweise ausgelastet. Ich habe schon Wochen damit verbracht, einen beschäftigten Eindruck zu machen.Auch das jüngst absolvierte Zielvereinbarungsgespräch brachte mich nicht weiter: Die Ziele sind wachsweich und es lässt sich beim besten Willen kein einziger konkreter Handlungsansatz daraus ableiten. Ich bin mittlerweile völlig ratlos. Ein einfaches „Weiter so!“ ist jedenfalls keine Lösung. Können Sie mir einen Rat geben?

Darf ich Ihnen für Ihre Antwort ein Zitat als Einstieg in das Thema empfehlen? „Arbeit ist schwer, ist oft genug ein freudloses und mühseliges Stochern; aber nicht arbeiten – das ist die Hölle“ (Thomas Mann).

Antwort:

Ich habe es fürwahr doch weit gebracht: Jetzt bekomme ich den Einstieg in meinen Kommentar schon mitgeliefert. Die nächste Stufe ist dann die vorformulierte Antwort, die ich nur noch absegnen muss. Ich bin über diesen Ihren Vorschlag keineswegs verstimmt, bestehe aber aus Prinzip darauf, selbst Ideen auch für Zitate zu haben. Allerdings: Je mehr ich über eine mitgelieferte Einsender-Antwort nachdenke – die Sache hat was.

Zu Ihrem Problem: Sie haben absolut Recht mit der Aussage, so könnten Sie nicht weitermachen. Sie haben sogar zwei offene Flanken in Ihrer derzeitigen „Stellung“: Teils könnte irgendwann offiziell auffallen, dass Sie nichts zu tun haben, teils droht aber auch die Erkenntnis, dass bei Ihrem „Tun“ nie etwas herauskommt. Ersteres ist kurz-, Letzteres mittelfristig von höchster Brisanz. Nein, hier gilt das klassische Wort: Es muss etwas geschehen! Darüber dürfte Einigkeit bestehen. Beginnen wir mit der Analyse denkbarer Ursachen und gehen wir dann zum Handeln über:

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1. Die solideste neue Anstellung, die sich finden lässt, ist durch zwei Kriterien gekennzeichnet:

a) Es ist eine Linienfunktion (also nichts Stabsähnliches, sondern eine Aufgabe, die zur Fortführung des Geschäftsbetriebs dringend gebraucht wird; eine Position, deren Fortfall eine Lücke reißen würde).

b) Es gibt diese Funktion schon lange; es gibt einen Vorgänger, der dort längere Zeit gute Arbeit geleistet hat.

Im Gegenteil dazu ist Ihre Abteilung eine Art Inhouse-Consulting, Ihre Position ist brandneu. Also „doppeltes Risiko“! Ich sage nicht, diese Konstellation könnte nicht interessant, reizvoll, herausfordernd oder karrierefördernd sein, ich sage nur, eine Kombination der beiden Faktoren a + b sei besonders solide.

2. Was ist das für ein Mensch, der betroffen ist, der so empfindet, so reagiert – der in diese Misere geraten ist? Ist das ein Standard-Mitarbeiter (dann wäre der Verdacht gerechtfertigt, die Situation sei exotisch) oder ist er eher ein „besonderer Fall“ (dann könnte er vielleicht auch Standard-Situationen als ungewöhnlich empfinden)?

Also mit der gebotenen Vorsicht und Diskretion: Sie sind Anfang 30, Ingenieur, hatten Pech (schuldlos) beim eigentlich schon in „trockenen Tüchern“ gewesenen Berufseinstieg und übernahmen dann eine völlig andere Position als stellvertretender Leiter eines Profitcenters in einem völlig anders strukturierten Dienstleistungsunternehmen (gemessen an Ihrem heutigen Industrie-Großbe­trieb). Diese frühere Position war stark aktiv vertriebsorientiert, es ging vor allem um Aufträge, Kundenkontakt u.ä. – eine klassische Linienfunktion. Man hat dort mit Ihnen einen Berufsanfänger zum stellvertretenden Leiter eines Profitcenters gemacht – das hätte man in Ihrem heutigen klassisch-konservativen Industriebetrieb nie getan. Und Sie waren dort tätig in der abgeschotteten Welt eines überschaubaren, regional tätigen Unternehmensteils.

Und jetzt sind Sie ohne Führungsverantwortung (absichtlich, wie Sie an anderer Stelle sagen) in einem sehr großen, weltweit tätigen Industrieunternehmen für die Optimierung der Prozesse auf einem der zentralen Tätigkeitsgebiete zuständig. Um es deutlich zu sagen: Ihre bisher vorliegende Praxis passt nicht so besonders gut zu Ihrem derzeitigen Job. Ich finde, dass sich zwei mutige Partner getroffen haben: es war mutig vom Unternehmen, Ihnen bei dieser Erfahrungsbasis aus jenem so völlig anderen Unternehmen mit total anderen Strukturen jetzt diesen Job anzubieten – und es war mutig von Ihnen, diese Offerte anzunehmen. Ich zweifle also daran, dass Sie eine Idealbesetzung sind – insbesondere für eine Tätigkeit ohne Vorgänger, der den Job hätte prägen und der Sie hätte einarbeiten können.

3. Formal zuständig für die Zuteilung von Arbeit an Sie ist Ihr Vorgesetzter. Er trägt auch die Verantwortung für das Problem, das Sie schildern. Aber von dieser Feststellung haben Sie nichts. Sieht Ihr Chef plötzlich Rechtfertigungs- oder Handlungsbedarf, hat er zwei Möglichkeiten – die Vernunft gebietet ihm, sich für eine davon zu entscheiden:

a) Er erklärt die Schaffung der von Ihnen ein­genommenen Position für einen Fehler – der Bedarf an Beratung bzw. an Prozess­opti­mierung auf diesem Gebiet sei deutlich geringer als seinerzeit erwartet: Sie werden entlassen, die Position bleibt unbesetzt.

b) Er erklärt Sie für nicht so fähig wie erhofft: Sie werden entlassen, die Position wird anderweitig besetzt.

4. Sie brauchen Aufträge. Es kommt jetzt darauf an, wie in Ihrer sehr speziell ausgerichteten Abteilung Projekte entstehen:

Entweder geht die Initiative von Ihrer Abteilung aus, also Ihr Chef muss die Aufträge letztlich vergeben. Nun hat der aber, wie ganz klar erkennbar ist, keinerlei Ideen in dieser Hinsicht. Dann muss die Initiative von Ihnen kommen! Also fragen Sie Ihren Chef nicht: „Was soll ich tun?“, sondern schlagen Sie ihm eine Liste von denkbaren Projekten vor. Sie sollen Prozesse auf einem bestimmten Gebiet im Hause optimieren. Also schauen Sie sich in diesem großen Unternehmen um, wo es komplexe Prozesse dieser Art gibt und schlagen Sie dort ein Projekt vor. Oder Sie machen einen Stufenplan: „Ich beschäftige mich intensiv mit den Prozessen a, b und c, überschlage das jeweilige Optimierungspotenzial und entwickle dann daraus das Konzept für das erste von mir durchzuführende Projekt.“

Wichtig ist dabei das Prinzip, dem Chef keine Probleme vorzulegen („Ich habe nichts zu tun“), sondern Lösungskonzepte, die er nur noch abzunicken braucht! Gerade anspruchsvoll ausgebildete Akademiker in Stabsabteilungen werden mitunter gezwungen sein, sich „Arbeit zu suchen“. Ich habe das sogar schon als bewusst eingesetztes Auswahlkonzept gesehen.Oder Ihre Abteilung lebt (Inhouse-Consulting) wie externe Berater auch von Aufträgen, die fremde Abteilungen ihr erteilen. Dann müssten Sie also herumziehen und bei größeren Einheiten aus Ihrem betreuten Fachgebiet Aufträge akquirieren.

Letztlich gilt: Zwar ist die Rechtfertigung der eigenen Einstellung eigentlich nicht Aufgabe eines Angestellten, aber ich verspreche Ihnen: Wenn Sie dieses Problem nicht lösen, bekommen Sie ein noch größeres. Und Sie haben schon einen Flop im Lebenslauf. Dies wäre Ihr zweiter …

Kurzantwort:

Ein Angestellter kann in die Lage kommen, seine eigene „Existenzberechtigung“ durch aktive Arbeitsbeschaffung untermauern zu müssen (im Stab ist die Gefahr dafür größer als in der Linie). Auch wenn er „eigentlich“ dafür nicht zuständig ist: Die Folgen deutlicher Unterbeschäftigung hätte er zu tragen.

Frage-Nr.: 2012
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 17
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2006-04-28

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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