Was geschieht im zweiten Vorstellungsgespräch?
Ich bin ziemlich genau eine Woche nach meinem ersten Vorstellungsgespräch zu einem zweiten Gespräch eingeladen worden.
Beim ersten Kontakt waren meine Gesprächspartner der Leiter der Personalabteilung und der Leiter des Fachbereichs, in dem ich arbeiten möchte. Im zweiten Gespräch ist nur noch der Leiter des Fachbereichs anwesend.
Mit welchen Fragen muss ich im zweiten Gespräch rechnen? Welchem Zweck dient dieser Kontakt? Kann es sein, dass eine engere Auswahl der Bewerber getroffen wurde und dass man nun mehr auf technische Fragen eingeht? Der geplante Zeitraum wird vom Unternehmen mit einer Stunde angegeben.
Antwort:
Im gesamten Bewerbungsprozess, dessen Höhepunkt das Vorstellungsgespräch ist, dominiert der sozial ungleich stärkere Arbeitgeber. Um diesen Prozess zu verstehen, muss man ihn also aus dem Blickwinkel des Unternehmens sehen:
Personalabteilung und künftiger Fachvorgesetzter haben zunächst aus den schriftlichen Bewerbungen eine Vorauswahl getroffen und aus 50 Zuschriften etwa fünf bis zehn Kandidaten für ein erstes Vorstellungsgespräch ausgewählt. Weitere etwa zehn Unterlagen liegen „auf Reserve“ für den Fall, dass von den Vorstellungskandidaten keiner eingestellt wird (in Wahrheit haben sie kaum noch eine echte Chance – aber das Unternehmen fühlt sich besser, wenn es die mit hohem Beschaffungsaufwand „erkauften“ Bewerbungen der II. Qualifikationsklasse nicht jetzt schon „wegwirft“, sondern erst später).
Der Rest der Unterlagen (ca. 30 – 35) liegt bereits auf dem Stapel „Absage, da ungeeignet“. Diese Bewerber erhalten ihre Unterlagen in etwa vier Wochen zurück (über schnelle Einladungen ärgert sich der Bewerber niemals, er freut sich über spontane Gunstbezeugungen dieser Art; schnelle Absagen jedoch nimmt er übel, also lässt man dieselben etwas „vor sich hinreifen“).
Nehmen wir einmal an, es seien sieben Bewerber zum ersten Gespräch erschienen. Davon ist dann einer in den Augen des Unternehmens „sehr interessant“, ein zweiter „auch noch interessant“. Der Rest ist „gestorben“, bleibt aber häufig noch eine Weile „auf Reserve“ liegen, ohne jemals eine echte neue Chance zu bekommen. Aber das Unternehmen fühlt sich besser, wenn es die fälligen Absagen nicht sofort absendet (siehe oben).
Diese zwei Kandidaten (manchmal drei, manchmal nur einer) werden zum zweiten Gespräch gebeten. In seltenen Fällen dient das der Erzielung von Klarheit, welchen von zwei gleich gut beurteilten Bewerbern man denn nun nehmen soll. Im Normalfall aber gilt für dieses zweite Gespräch beim potenziellen Arbeitgeber:
1. Während die ersten Vorstellungsgespräche weitgehend nach einem Standard-Schema ablaufen, gibt es eine solche „Norm“ für diesen zweiten Kontakt nicht.
2. Das Wichtigste an diesem Gespräch ist, dass es überhaupt stattfindet. Ich rate Arbeitgebern dringend dazu! Das gilt selbst dann, wenn sie das Gefühl hätten, beim ersten Kontakt sei eigentlich „alles“ besprochen worden, der richtige Kandidat sei gefunden und es gäbe gar keine offenen Fragen mehr.
3. Man hat beim ersten Gespräch am siebzehnten Mai die Tagesform des Bewerbers am siebzehnten Mai kennen gelernt – und weiß nicht, ob die für ihn typisch ist oder inwieweit sie durch den Adrenalinstoß im ersten Vorstellungsgespräch beeinflusst worden war. Auch die Gruppe der Teilnehmer auf Arbeitgeberseite unterliegt Formschwankungen, die Urteile beeinflussen. Und sie hat diesen jetzt auf Nr. 1 gesetzten Kandidaten vielleicht als letzten von zehn Gesprächspartnern kennen gelernt. Die anderen neun waren alle sehr schlecht. Aber ist der jetzige Spitzenkandidat eventuell bloß relativ gut („unter Blinden ist der Einäugige König“), absolut gesehen aber eigentlich nicht gut genug?
Also dient das zweite Gespräch in der Regel vorrangig der Absicherung bzw. Überprüfung der Eindrucks der Arbeitgeberseite aus dem ersten Kontakt. Und dabei erlebt man durchaus Überraschungen! Manche Bewerber, die siegreich die erste Runde überstanden hatten, bauen plötzlich ab. Vielleicht fühlen sie sich auch zu sicher, denken den Job schon in der Tasche zu haben, geben sich keine Mühe mehr.
4. Für den zum zweiten Gespräch geladenen Bewerber heißt das: Er hat eine echte Chance, den Vertrag angeboten zu bekommen.
5. Oft werden im zweiten Gespräch Fragen geklärt, die (beiderseitig) im ersten Kontakt offen geblieben sind oder die sich einer Seite inzwischen aufgedrängt haben. Aber stets steht der Kontakt unter der Devise: Der eingeladene Bewerber ist „einstellwürdig“. Bei tiefgreifenden Bedenken lädt man einen Kandidaten gar nicht erst ein.
6. Es gibt Arbeitgeber, die routinemäßig erst im zweiten Gespräch über „Kleinigkeiten“ wie Geld sprechen. Fast immer werden andere Details des späteren Vertrags wie Urlaubsdauer, Altersversorgung, Wettbewerbsverbot o. ä. erst dann überhaupt zur Sprache gebracht.
7. Oft nutzen Unternehmen das zweite Gespräch, um den oder die letztverbliebenen Kandidaten der nächsthöheren Entscheidungsebene vorzustellen (das Aussortieren in der ersten Runde blieb dem direkten Vorgesetzten und der Personlabteilung überlassen).
8. Der Bewerber darf/soll also optimistisch, aufgeschlossen – aber dennoch weiter um den guten Eindruck ringend ins zweite Gespräch gehen. Die Einladung sagt ihm: „Du hast eine klare Gewinnchance, aber noch hast du nicht endgültig gewonnen.“ Es kommt vor, dass Kandidaten, auf die man große Hoffnungen gesetzt hatte, im zweiten Kontakt total enttäuschen.
Kurzantwort:
Für das zweite Vorstellungsgespräch gibt es weniger klare Regeln als für das erste. Die Chancen des Geladenen sind jetzt schon viel besser – aber gewonnen hat er noch nicht.
Frage-Nr.: 2022
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 21
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2006-05-26
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