Karriere in der Entwicklungshilfe
Frage: In Kürze werde ich mein Studium als Dipl.-Ing. (Berufsakademie) voraussichtlich mit einem guten bis sehr guten Ergebnis abschließen. Meine Firma möchte mich auf jeden Fall übernehmen, in Kürze steht ein Übernahmegespräch an. Das Unternehmen ist im internationalen Anlagenbau erfolgreich tätig.
Mein Berufsziel ist Projektmanagement. Ich strebe eine Laufbahn in der Entwicklungshilfe an und möchte mich in meinem zukünftigen Leben auf jeden Fall mit erneuerbaren Energien beschäftigen.
Nun weiß ich, dass für sehr viele Stellen insbesondere bei internationalen Organisationen Berufserfahrung vorausgesetzt wird.
Soll ich zuerst bei meiner Firma bleiben, da ich mit der Thematik vertraut bin und dort Ansprechpartner habe, mit denen ich sehr gut klar komme? Oder soll ich mich sofort im Ausland bewerben und in die Thematik einsteigen, welche mich wirklich interessiert?
Schwerpunkte meiner späteren Laufbahn werden sicherlich sein: erneuerbare Energien, fairer Handel, Kooperation mit der Bevölkerung vor Ort.
Antwort:
Ich finde es gut, dass Sie sich für Ihre Ideale engagieren wollen. Aber ich muss im Rahmen meiner Mitverantwortung als Berater auch an Ihren Berufsweg von etwa 43 Jahren denken. In dieser Zeit wird sich Ihre Persönlichkeit festigen oder verändern, Ihre Interessen können andere werden. Aus heutiger Sicht ist ein ganz großes „Tier“ der Entwicklungshilfe am Ende Ihres Weges ebenso denkbar wie ein Abbau idealistischer und/oder romantischer Vorstellungen. Tritt letzteres ein, sollte der Weg in klassische Industrielaufbahnen so leicht wie möglich sein.
Hinzu kommt die Logik: Je mehr Sie können, an beruflich relevanten Erfahrungen mitbringen, desto besser können Sie anderen helfen. Darauf basiert ja wohl auch die von Ihnen zitierte Forderung internationaler Entwicklungshilfe-Organisationen nach Berufspraxis vor Eintritt dort.
Dies alles spricht dafür, zunächst einmal klassische Berufspraxis in einem Standard-Industrieunternehmen zu sammeln, dafür mindestens etwa drei bis fünf Jahre einzuplanen und dann neu nachzudenken. Wenn Sie anschließend für ein paar Jahre in die Entwicklungshilfe gingen, hätten Sie eine berufliche Basis für die Rückkehr. Fehlt diese Basis, wäre ggf. in ein paar Jahren gar keine „Rückkehr“ möglich, sondern es stünde der erstmalige Einstieg eines Menschen aus der Entwicklungshilfe in klassische Industrietätigkeiten an – das dürfte sehr viel schwieriger werden (die BA-Ausbildung zählt dann nicht als adäquate Berufspraxis).
Und es gibt noch ein Argument, das Sie zumindest einmal gehört haben sollten: Das Berufsleben eines Angestellten ist, wenn es langfristig erfolgreich verlaufen soll, schwierig genug. Schließlich dient es zunächst einmal zur Existenzsicherung. Politische Ausrichtungen, gesellschaftspolitische Grundhaltungen, von idealistischen Zügen geprägte Einstellungen, Hobbys und persönliche Leidenschaften sollten in den Beruf nur bedingt hineinspielen, sie eignen sich besser für die Freizeit. Ich will das an einem Beispiel aus der Praxis verdeutlichen: Es gibt sehr viele Sympathisanten, Wähler und Mitglieder von bestimmten Parteien, die sich soziale Gerechtigkeit (die es gar nicht gibt), die Interessen der sozial Benachteiligten (von denen sich manche auch selbst benachteiligt haben) oder generell ein Eintreten für die Belange der „kleinen Leute“ auf die Fahnen geschrieben haben. Aber tagsüber tätig sind diese Menschen in knallhart kapitalistisch ausgerichteten Konzernen, und ihre Arbeit dient dem zentralen Ziel, das Kapital der Anteilseigner (Aktionäre) zu sichern und deren Einkommen (Dividende) zu erhöhen.
Ich will das überhaupt nicht kritisieren, ich will Ihnen nur zeigen, dass dies Teil des Systems ist. Und diese Menschen können als abhängig Beschäftigte kaum anders handeln. Ein solches Verhalten ist also in dieser Gesellschaftsordnung üblich. Es würden sich übrigens auch gar nicht genug Menschen für alle offenen Positionen finden, würde jeder Angestellte zu viel von seiner gesellschaftspolitischen Grundausrichtung bei der Wahl seines Arbeitsplatzes einfließen lassen wollen.
Sagen wir es so: Man kann das tun, es ist aber weitgehend üblich, die beiden Dinge Existenzaufbau und persönliche Leidenschaft nicht miteinander zu verknüpfen.Ich will Ihnen das auch keinesfalls etwa ausreden – was hätte ich davon. Ich will Ihnen nur den Gedanken nahe bringen, dass man sehr wohl tagsüber klassische Anlagen bauen, privat für Entwicklungshilfeprojekte spenden und „fair“ gehandelten Kaffe trinken kann. Und es können keinesfalls alle Menschen, die sich für erneuerbare Energien begeistern, auch gleichzeitig in dieser Branche beruflich tätig sein.Damit kein Missverständnis aufkommt: Wenn Sie es trotz meiner Hinweise immer noch tun möchten, dann müssen Sie diesen Weg auch gehen.
Aber: Auch dieser zweite Aspekt (Warnung vor der Verknüpfung persönlicher Leidenschaft mit beruflichem Tun) spricht für einen beruflichen Start bei Ihrem Ausbildungsunternehmen. Und in drei bis fünf Jahren denken Sie noch einmal nach. Auf die Homepage der GTZ haben Sie sicher schon geschaut – dort wird übrigens für manche Positionen sogar eine Berufspraxis von mindestens zehn Jahren gefordert.
Kurzantwort:
Unabhängig von eventuellen „exotischen“ Plänen für „später“ kann es keinesfalls schaden, nach dem Studium erst einmal eine mehrjährige berufliche Praxis im Bereich klassischer Arbeitgeber zu erwerben. So kann man eines Tages „zurück“-kehren – ohne diese Basis stünde dann ein schwieriger Neueinstieg an.
Frage-Nr.: 2104
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 8
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2007-03-22
Ein Beitrag von: