Heiko Mell 01.01.2016, 22:56 Uhr

Was kann ich machen, wenn der Chef unfähig ist?

Ich habe nach meiner Promotion bei einem großen Unternehmen als Entwicklungsingenieur angefangen und bin dort inzwischen Gruppenleiter geworden.

Mein neuer Vorgesetzter, seit vielen Jahren im Konzern, ist seit einiger Zeit Leiter dieser Abteilung. Wie ich inzwischen erfahren habe, ist er von seiner alten Position (eine Hierarchieebene tiefer als heute) „weggelobt“ worden, da man dort mit seinem Führungsstil unzufrieden war.

Auch in seiner jetzigen Position zeigt sich immer mehr, dass er massive Schwächen in der fachlichen und personellen Führung sowie in seiner Leistungsbereitschaft hat. Er hält u. a. der Abteilung zu wenig den Rücken frei und wirkt zu wenig als Puffer zwischen Management und Mitarbeitern, so dass alle (auch die unsinnigen) Anfragen und Arbeitsaufträge direkt durchgereicht werden. Wenn Mitarbeiter aufgrund fehlender Vorgaben Fehler machen und diese vom Management (andere Führungskräfte, seine Chefs und andere) gerügt werden, stellt er sich nicht hinter die Mitarbeiter und übernimmt keine Verantwortung. Die Organisation seines privaten Engagements nimmt wesentliche Teile seiner Arbeitszeit ein und hat eine höhere Priorität als die fachliche und administrative Arbeit in der Firma. Zusätzlich fällt ihm strategisches Denken sehr schwer, was gerade in unserem Bereich wichtig wäre.

Seit einiger Zeit beobachte ich (und auch meine Gruppenleiter-Kollegen) das Unvermögen des Vorgesetzten. Anfangs haben wir das Verhalten noch damit entschuldigt, dass er ja noch lernt in der neuen Position. Jedoch haben mehrere Gespräche hinsichtlich unserer Erwartungen an seinen Führungsstil keinen Erfolg gebracht.

Als Gruppenleiter geben wir unser Bestes, um den Abteilungsleiter zu unterstützen und sein Fehlverhalten nach innen und außen zu kompensieren. Jedoch werden seine Führungsschwächen gerade in der derzeitigen schwierigen Situation des Konzerns so massiv, dass wir nicht mehr in der Lage sind, alle seine Fehler zu korrigieren. Dies führt u. a. dazu, dass es bei Abteilungsrunden in seiner Abwesenheit offene massive Kritik der Mitarbeiter an dem Abteilungsleiter gibt, die allerdings durchaus berechtigt ist.

Meine Fragen nun:

Wie weit darf und soll die Loyalität bei grober Unfähigkeit des Vorgesetzten gehen?

Hält man zu ihm bis zu seiner Ablösung und hat dann jedoch u. U. den Ruf, ihn gedeckt zu haben anstatt einzuschreiten und Schaden von der Firma abzuwenden?

Oder soll man die nächsthöhere Managementebene über die Unzufriedenheit in der Abteilung in Kenntnis setzen und ggf. eine Ablösung des Vorgesetzten vorschlagen?

Dort ist das Problem sicherlich schon erkannt worden, die explosive Stimmung in der Abteilung kennt man jedoch vielleicht noch nicht. Dies würde zwar einen Verrat an dem Abteilungsleiter bedeuten, aber u. U. die Loyalität zum höheren Management zeigen (frei nach dem Motto „man hasst den Verrat, aber man liebt den Verräter“).

Habe ich – mit meiner Promotion – und auch meine Gruppenleiterkollegen eventuell einen zu hohen Anspruch an das Führungsverhalten (gemäß dem Motto „das System ist für das Mittelmaß gemacht“)?

Antwort:

Zwei Ansätze zum Nachdenken vorab:

1. Sie bezichtigen einen Manager Ihres Konzerns der Unfähigkeit, so viel wird deutlich. Aber welchen?

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2. Irgendwo in Ihrer Darstellung steckt für mich eine Schlüssel-Information, die bestimmte Zusammenhänge aufzeigen könnte. Welche Formulierung ist das?

 

Teilen wir das gleichermaßen brisante und komplexe Thema in Unterpunkte auf, das erleichtert die Bearbeitung:

a) Ist die geschilderte Situation objektiv so zu bewerten wie Sie es tun oder wird sie aufgebauscht bzw. subjektiv verfärbt?

Ich gehe von tatsächlich gegebenen Schwächen des Chefs aus, die in der subjektiven Wahrnehmung „überhöht“ erscheinen. Vermutlich spielt auch ein gruppendynamischer Prozess eine Rolle: Inzwischen ist es üblich geworden, dass die Mitarbeiter bei Abwesenheit des Chefs über ihn herziehen und sich dabei gegenseitig hochschaukeln. Inzwischen kann der Abteilungsleiter „Guten Morgen“ wünschen – und hinter seinem Rücken wird jemand den Tonfall dieses Grußes kritisieren und zum Anlass nehmen, den Mann erneut der allgemeinen Verachtung preiszugeben.

Was für Fakten haben wir denn, die das „Versagen“ oder die „Unfähigkeit“ beleuchten könnten?

– Der Abteilungsleiter ist von der alten Abteilung „weggelobt“ worden, man war schon dort mit seinem Führungsstil unzufrieden: Allein der frühere Vorgesetzte dieses Mannes könnte das aussagen – das aber wird er Ihnen gegenüber niemals tun. Wert dieses Punktes: „Latrinengerücht“:

– Er hält der Abteilung zu wenig den Rücken frei und wirkt zu wenig als „Puffer“ zwischen Management und Mitabeitern: Es liegt in seinem Ermessen, wie er das handhabt. Er darf so handeln, Sie dürfen das unschön finden. Wert dieses Punktes: keiner.

– Er stellt sich nicht vor die Mitarbeiter, wenn die Fehler machen. Zunächst einmal sollen die Mitarbeiter keine Fehler machen – das ist die Messlatte. Was man unbedingt fordern kann, ist ein engagiertes Verteidigen der Mitarbeiter gegen ungerechtfertigte Angriffe – aber solche liegen hier nicht vor. Sein Verhalten ist unschön, Sie dürfen enttäuscht sein, er mag auch die Mitarbeiter demotivieren – aber mehr als eine Schwäche ist es nicht. Wert dieses Punktes: gering bis mittel.

– Die Organisation seines privaten Engagements hat eine höhere Priorität als fachliche Aspekte: Ein klarer Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten, eine Art Betrug an der ihn bezahlenden Firma. Aber: Für die Kontrolle seiner Arbeitszeit sind Sie nicht zuständig. Sie könnten ihn höchstens „weiter oben“ denunzieren. Das aber sollten Sie schön bleiben lassen. Damit Sie keine (moralische) Mitschuld übernehmen: Bemerken Sie das einfach nicht, reden Sie intern nicht darüber („wir sahen uns keineswegs aufgefordert, die Details der täglichen Arbeitszeit bei unserem Chef zu überwachen“ – das muss Ihre Devise sein). Wert dieses Punktes: keiner, weil Sie das nichts angeht.

– Er kann nicht strategisch denken: Es obliegt nicht den Gruppenleitern, das strategische Denken ihrer vorgesetzten Abteilungsleiter zu beurteilen. Je höher die Managementebene, desto größer die Anforderungen an strategisches Denken. Gruppenleiter stehen in der Hierarchie noch sehr weit unten. Wert dieses Punktes: keiner.

b) Grundbewertung der Details

Also was bleibt übrig: Der Mann hat sicherlich Schwächen, die aber zu einer Entlassung nicht ausreichen, absolut nicht! Was aber wollten Sie sonst mit ihm anstellen? Degradieren geht im System nicht. Ihn noch einmal versetzen und andere Mitarbeiter diesem „völlig unfähigen Vorgesetzten“ aussetzen, das wollen Sie ja wohl auch nicht. Nein, würden Sie ein offizielles Untersuchungsverfahren anstreben, würde dieser Abteilungsleiter das vermutlich überleben (hätte aber ein „schwarzes Kreuz“ in seiner Personalakte – denn es gilt als Schwäche, überhaupt den Anlass zu einer solchen Anklage zu geben).

Sicherlich macht Ihr Vorgesetzter Fehler in der Führung. Aber es schimmert als zentrales Motiv auch durch: Sie können ihn nicht ausstehen, verachten ihn, finden ihn zum K…, würden vielleicht lieber sich auf seinem Stuhl sehen. Auf dieser Basis eine Meuterei anzufangen, ist extrem gefährlich – und endet vermutlich mit dem Ende Ihrer Karriereträume. Denn das System mag keinen Druck von unten. Und vergessen Sie nicht: Der von Ihnen falsch zitierte Spruch lautet im Original „Man liebt den Verrat, aber man hasst den Verräter“. Möchten Sie dort gehasst werden?

Und noch etwas: Von einem Unterführer (Gruppenleiter) wird erwartet, dass er seinen Abteilungsleiter aktiv unterstützt. Das bedeutet: Wenn dieser Chef nicht anwesend ist, dürfen Sie eine kritische, ja mit verächtlichen Tönen durchsetzte Diskussion im Mitarbeiterkreis nicht einmal dulden(!), geschweige denn anführen! Sie tanzen da auf sehr dünnem Eis!

Springen wir einmal zu den beiden eingangs von mir formulierten „Ansätzen zum Nachdenken“:

 

Zu 1:

Sie bezichtigen, wenn Sie die Dinge so weiter treiben, vorrangig den Chef Ihres Chefs der Unfähigkeit! Er nämlich hat einen durch und durch ungeeigneten Mann zum Abteilungsleiter ernannt, hat sich dabei einen anderswo wegen Führungsschwäche weggelobten Burschen andrehen lassen, hat bei der zwangsläufig von ihm erwarteten Ausübung seiner eigenen Führungs- und Kontrollfunktion total versagt, weil er die Unfähigkeit seines nachgeordneten Abteilungsleiters weder erkannt noch etwas dagegen getan hat. Und das wollen Sie ihm offen ins Gesicht sagen (Sie tun es, wenn Sie ihm allein Ihren Brief an mich zeigen). Na dann viel Spaß dabei.

Und dieser Chef-Chef wird an die Wellen denken, die der Skandal in der internen Öffentlichkeit schlägt und daran, dass sein Chef ihm einige unangenehme Dinge sagen wird. Dann wird er einen Schuldigen suchen. Nun raten Sie einmal, auf wen er da kommt? Richtig, auf Sie! Ihre Gruppenleiter-Kollegen gehen sofort auf Tauchstation, die einfachen Mitarbeiter sind ohnehin nicht an dem Prozess beteiligt – aber Rädelsführer einer Meuterei werden traditionell erschossen. Schöne Aussichten wären das.

So, nun zu 2.:

Ziemlich am Ende Ihrer Einsendung heißt es: „Habe ich – mit meiner Promotion – und auch meine Gruppenleiterkollegen …“ Man beachte auch die Rang- und Reihenfolge zwischen Ihnen und den anderen Gruppenleitern. Schlüsselformulierung für mich aber ist: „… ich mit meiner Promotion …“ Also haben die anderen alle keine – die Gruppenleiter-Kollegen nicht und, die Vermutung ist erlaubt, Ihr Abteilungsleiter schon einmal gar nicht. Das könnte, wer das wollte, durchaus Bildungsarroganz nennen.

Eine Promotion berechtigt nicht zu einem Überlegenheitsgefühl über nicht promovierte Menschen, das ist eigentlich selbstverständlich. Der Dr. beweist nur, dass Sie sich auf einem – meist sehr engen – Spezialgebiet wissenschaftlich vertieft und erfolgreich betätigt haben. Damit verstehen Sie weder mehr von Strategie, noch von Führung oder Abteilungsadministration als andere Menschen.

Als Verdacht, für den ich keine Anhaltspunkte habe, der aber sehr gut als Erklärung passen würde: Ist Ihr vorgesetzter Abteilungsleiter „etwa“ FH-Ingenieur? Dann bekäme Ihre Abneigung eine zusätzliche Dimension – und Sie sollten sehr energisch an sich arbeiten!

Was können Sie nun tun?

– Mit dem Chef zu reden, bringt wahrscheinlich nichts. Dafür ist der Graben inzwischen zu tief, die Fronten sind verhärtet.

– In jedem Fall rate ich Ihnen, Ihre eigene Einstellung zu überprüfen. Sie segeln in gefährlichem Fahrwasser! Und, dies als Warnung: Die „Mittelmäßigen“ können recht aggressiv reagieren, wenn man sie merken lässt, dass man sie so einstuft. Ich habe bisher stets nur die Einser-Kandidaten darüber informiert, dass das System für die Ansprüche von Zweier-Kandidaten gemacht worden ist, von einer Unterteilung in Promovierte und Mittelmaß habe ich nie gesprochen.

– Manche Unternehmen haben eine 360 Grad-Beurteilung, in der auch Mitarbeiter ihre Chefs beurteilen. Dabei käme manches zur Sprache. Aber von „unten her“ einführen können Sie das nicht.

– Die offiziell zu empfehlende Reaktion auf einen extrem ungeliebten Chef ist Ihr Wechsel – der Abteilung oder des Unternehmens.- Mein persönlicher Rat für Sie: Versuchen Sie, Ihren Chef besser zu verstehen, sich in seine Situation zu versetzen, die Dinge mit seinen Augen zu sehen. Und seien Sie teils tolerant, teils realistisch: Ein Chef ist nicht dazu da, seinen Mitarbeitern ein ideales Umfeld zu garantieren. Das Sie bezahlende Unternehmen erwartet, dass Sie den Ihnen zugewiesenen Chef loyal und nach Kräften unterstützen! Und wenn der gefeuert wird, unterstützen Sie den nächsten.

– Ein offizieller Vorstoß beim Chef-Chef kommt bei dieser Sachlage nicht in Frage. Denn man hasst den Verräter (ohne dass sicher ist, dass man den Verrat liebt). Der Chef-Chef fragt sich sofort, wann der Rädelsführer der Meuterer wohl ihn bei seinem Chef denunziert – entsprechend wird er Sie behandeln.

– Gehen Sie davon aus, dass bei dem Lärm, den Sie da schlagen, längst etwas zum Chef-Chef gedrungen ist. Der sollte inzwischen wissen: „Irgendetwas in der Abteilung X ist nicht in Ordnung.“ Reagiert er nicht, wäre auch er unfähig. Was aber wollten Sie dann noch bei diesem „Laden“?

 

PS 1: Das System ist darauf ausgerichtet, niemals einen Mitarbeiter, der seinen Vorgesetzten „abgeschossen“ hat, anschließend an dessen Stelle zu setzen! Dies als allgemeine Warnung.

PS 2: Für Fälle wie diesen gibt es den Arbeitsmarkt. Dem betroffenen Mitarbeiter – hier dem Gruppenleiter – steht nur eine „Waffe“ im Existenzkampf zur Verfügung: Sie hängt wie ein unsichtbares Schwert an seiner Seite und auf der Scheide ist eingraviert „Kündigung“. Jede andere Maßnahme wird zu größerem Ärger führen.

Kurzantwort:

Es gibt kein vernünftiges Verfahren, einen als unfähig betrachteten Chef durch Druck von unten los- und damit glücklich zu werden.

Frage-Nr.: 2155
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 36
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2007-09-07

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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