Heiko Mell 01.01.2016, 23:05 Uhr

Karriere als Teamleiter oder Spezialist?

Ich bin Dipl.-Ing. (BA); Abitur 2,1; Studienabschluss 1,4; Mitte 20).

Zunächst war ich während meiner Berufsakademie-Studienzeit bei einem größeren Unternehmen der Zulieferindustrie tätig, konnte dort aber nicht übernommen werden (Stellenabbau). Jetzt bin ich seit etwas mehr als einem Jahr Entwicklungsingenieur in einer sehr großen Firmengruppe dieser Branche. Von meiner ersten Firma habe ich ein sehr gutes Arbeitszeugnis; auch das Feedback meiner Vorgesetzten hier ist durchweg positiv.

Mein Vorgesetzter hat mich jetzt darauf angesprochen, dass ich mir überlegen sollte, wie ich mir meine Zukunft in zwei bis drei Jahren vorstelle. Er müsse für seine „high potentials“ langfristige Pläne aufstellen. Er stellt mir zur Auswahl, dass ich zwischen den Laufbahnen Teamleiter, Teil-Projektleiter und „Spezialist“ abwägen sollte und fragt, wohin ich tendieren würde.

Mein Problem dabei ist nun, dass meine Interessen so vielseitig sind, dass ich mich mit einer Festlegung schwer tue. Mein langfristiges Ziel ist es, eine Leitungsfunktion in der Entwicklung zu übernehmen.

Bitte berücksichtigen Sie für Ihre Entscheidungshilfen folgende Umstände:

1. Die bei uns üblichen Teamgrößen sind vier bis sieben Mitarbeiter. Das Team, in dem ich arbeite, wird derzeit von einem anderen Teamleiter kommissarisch mitgeführt. Meine Kollegen sind im Schnitt doppelt so alt wie ich und – im Gegensatz zu mir – in der Region alteingesessen. Die Teamleiter arbeiten im Alltags- und im Projektgeschäft voll mit und bleiben im direkten Technikkontakt.

2. Die Teil-Projektleitung ist ebenso interessant für mich. Sie bietet die Chance, die Abläufe im Unternehmen besser kennenzulernen und ein Team aus der Projektebene heraus zu leiten. Nachteilig ist, dass ich die technische Ebene verlassen und „nur noch“ am Schreibtisch arbeiten würde.

3. Als Spezialist bekommt man einen Sonderstatus im Unternehmen und wird in der Gruppe weltweit zum zentralen Ansprechpartner für „sein“ Themengebiet. Das würde zu meiner Spezialisierung seit Anfang des Studiums über die Diplomarbeit bis zur jetzigen Tätigkeit durchaus passen; ich wäre durchaus in der Lage, die Stelle zu meistern.

Meine Befürchtung geht dahin, dass mich die langfristige Spezialisierung auf dem Arbeitsmarkt uninteressant machen kann.

Antwort:

Sie sind jung und fürchten sich ein bisschen vor der endgültigen Festlegung, die mit der Entscheidung verbunden ist. Es ist als wollte man einen allzu jungen Mann sehr früh zur Heirat drängen: Wen immer er nimmt, er schließt damit viele attraktiv erscheinende Alternativen aus.

Ich freue mich zunächst einmal darüber, dass Ihr Arbeitgeber überhaupt so systematisch an die Laufbahnplanung herangeht, ja so etwas überhaupt praktiziert. Nur bin ich mir nicht sicher, ob es so, wie Ihr Vorgesetzter es angeht, gemeint gewesen war.

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Nehmen Sie es als Kompliment, dass er Sie als „High Potential“ einstuft – das ist eine Auszeichnung. Ich glaube, er macht es sich aber mit der Realisierung etwas einfach. Kein solches System sieht einfach vor, dass der Kandidat eine Wunschlaufbahn ankreuzt – und dann geht es los. Ihr Chef, der Sie nun immerhin über viele Monate kennt, der mit dem Haus vertraut und lebenserfahrener ist als Sie, darf (und wird!) Ihre Wahl nicht einfach abnicken. Er muss sein eigenes Urteil über Sie, über Ihre Stärken und Schwächen in den Prozess einbringen, Sie beraten und dann gemeinsam mit Ihnen eine Entscheidung treffen. Keinesfalls darf er einen so jungen und unerfahrenen Menschen damit allein lassen. Gehen wir einfach davon aus, dass er das alles noch tun wird.

Fangen wir einmal mit der Vorbereitung der Auswahl durch Sie so an:Wenn Ihr langfristiges Ziel darin besteht, eine Leitungsfunktion in der Entwicklung zu übernehmen, dann können Sie sich von der Spezialisten-Variante schon einmal verabschieden. Die eignet sich vorrangig für Menschen, die weder führen wollen, noch können. Sie aber wollen eine Leitungsfunktion. Erledigt.

Die Situation innerhalb Ihres zufällig gerade bestehenden Teams mit dem fehlenden Leiter und den „speziellen“ Kollegen können Sie ebenfalls vergessen. Natürlich macht Ihnen der Gedanke an genau diese Position Angst – aber diesen Job gibt Ihnen niemand! Sie kreuzen nicht heute Teamleiter an und sind morgen (Fach-)Vorgesetzter Ihrer heutigen Kollegen. Jetzt würden Sie dann erst einmal geschult, gefördert und sonst wie vorbereitet. Und dann gibt man Ihnen eines – ferneren – Tages ein zunächst kleineres Team, das man irgendwo hat oder zusammenstellt. Große Organisationen machen grundsätzlich nicht jemanden zum Chef bisheriger Kollegen, sondern nehmen ihn nach der Beförderung da raus (Papst und Bundeskanzler sind Ausnahmen – aber man kann letzterem ja nicht gut ein anderes Volk geben). Sie sprechen von mehreren zehntausend Mitarbeitern in Ihrem (mir gegenüber benannten) Unternehmen, da würde sich schon ein Team zum Start in die Führung finden.

Ihre Abneigung gegenüber Laufbahnen (hier: Projektleiter), die Sie von der täglichen Arbeit am technischen Detail entfernen, teilen viele – junge – Ingenieure. Meist legt sich das. Sie hat das jetzt ein bisschen früh erwischt. Nach fünf Jahren Detailentwicklung sieht das dann schon ganz anders aus.

Ach ja, meine ganz spezielle Theorie über die Ursache Ihres „Problems“: Sie haben es sich mit Ihrem guten Abitur etwas zu leicht gemacht mit dem Studium, siehe auch der Sprung in den Noten. Talent für ein komplexeres, Sie stärker forderndes Uni-Studium hätten Sie gehabt. Vielleicht hätten Sie dann auch eine noch anspruchsvollere Startposition bekommen, in der Sie mehr Zeit zur (beruflichen) Reife gefunden hätten und nicht schon so früh als eine Art „Überflieger“ aufgefallen wären („High Potential“ nach einem Jahr).

Nun müssen Sie da durch, aber es bleiben ja nur zwei Varianten übrig. Akzeptieren Sie zunächst, dass jede(!) Entscheidung im Leben bedeutet, dass Sie mit dieser Festlegung andere Chancen weitgehend endgültig ausschließen – man gewöhnt sich daran. Meiden Sie den jeweils einfachsten Weg und setzen Sie sich Ziele, die Sie richtig fordern.

Und da man das Führen wirklich nur anstreben soll, wenn man es von ganzem Herzen will und sich absolut zutraut (Bedenken haben dann schon die anderen Leute), wäre im Augenblick der (Teil-)Projektleiter eine gute Lösung. Er verbaut Ihnen den Weg zu Ihrem Ziel nicht, schult Ihre Führungsfähigkeiten und gibt Ihnen jede Menge Chancen, sich weiterhin um jede Menge Details zu kümmern.

Und wann hätte jemals ein Berufssoldat die Beförderung zum Hauptmann, Oberst oder General angelehnt, bloß weil man da nicht mehr selber schießt. Man lässt schießen – ich finde, das hat auch was. Und es wird deutlich besser honoriert.

Kurzantwort:

Frage-Nr.: 2163
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 40
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2007-10-05

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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