Ist ein Beitritt in die Gewerkschaft für die Karriere schädlich?
Frage: Inwieweit bremst ein Beitritt in die Gewerkschaft (hier: IG Metall) die Karrierechancen?
Antwort:
Sie denken wohl, dass ich mir lange nicht mehr den Mund verbrannt habe und dass es nun an der Zeit wäre, dagegen etwas zu tun. Wissen Sie, wie viele Mitglieder und welche Macht allein die von Ihnen genannte Einzelgewerkschaft hat? Sie trauen mir ja eine Menge zu – wenn Sie glauben, ich bekäme die Antwort so hin, dass alle Beteiligten damit leben können. Probieren wir es also:Bevor man über etwas spricht, soll man erst einmal sicher sein, dass die Definition des Begriffes klar und eindeutig auf dem Tisch liegt. Es ist üblich, sich dazu beispielsweise eines Lexikons zu bedienen. Meines (Duden-Lexikon) sagt dazu u. a.:
„Die Gewerkschaften sind Organisationen von Arbeitnehmern zur Durchsetzung ihrer sozialen Interessen. … Die Gewerkschaften legen für die Berufs- oder Industriezweige bestimmter Länder mit dem entsprechenden Arbeitgeberverband oder Arbeitgeber Tarifverträge fest. Ziele der Gewerkschaften: gerechter Anteil am Sozialprodukt und arbeitsgerechte Löhne, Verminderung der Arbeitszeit, ausreichender Arbeitsschutz, soziale Sicherheit (…) Mitbestimmung im Betrieb, politische Repräsentation der Arbeitnehmer zur Verstärkung des politischen Gewichts. Darüber hinaus sind die Gewerkschaften häufig Verfechter der Sozialisierung.“ Dann heißt es noch: „Zur Durchsetzung ihrer Interessen stehen den Gewerkschaften … das Recht zu, … im Notfall den Streik auszurufen.“ Und: „Die modernen Gewerkschaften sind bewusst Mitträger der staatlichen Gesamtordnung und werden auch als solche betrachtet.“Soviel dazu. Das, was die Gewerkschaften erreichen, erzielen sie in der Regel in Verhandlungen oder härteren Auseinandersetzungen mit Arbeitgebern bzw. deren Vorständen. „Auf der anderen Seite des Tisches“ sitzen dann die Arbeitgeber. Man nennt beide Gruppen jeweils „Partner“ (z. B. Verhandlungs- oder Tarifpartner); wenn es hart auf hart geht, heißt es dann aber oft „Gegner“. Im Augenblick berichten die Medien beispielsweise täglich über den Kampf(!) der Lokführergewerkschaft gegen den Vorstand der Bahn, es ist inzwischen von Schimpfworten einer gegen die andere Seite die Rede.
Warum fragen Sie nicht, inwieweit etwa der Beitritt zur GDL die Chance fördert, vorstandsrelevante Karriere bei der Deutschen Bahn zu machen? Das hätte doch etwas.
Aber das sind Auswüchse. Im Regelfall gilt das, was im letzten Satz des obigen Zitats gesagt wird. Im Vergleich zur Situation in vielen anderen Ländern sind die meisten unserer Gewerkschaften tatsächlich so zu sehen. Und: Die Gewerkschaften haben vieles erreicht, von dem auch Nichtmitglieder oder ihnen fern stehende Gruppen profitieren.Vereinfacht gesagt, stehen bei neutraler Betrachtung „auf der anderen Seite“ (aus Gewerkschaftssicht) die Arbeitgeber. Wie nun definiert man die? Da ist mein Lexikon sehr viel zurückhaltender, knapper, unergiebiger: „Meist Unternehmer, der über Kapital- und Produktionsmittel verfügt.“ Und bei „Arbeitnehmer“ heißt es ausdrücklich: „nicht Vorstandsmitglied“.
Also Vorstände und Geschäftsführer sind Arbeitgeber. Im betrieblichen Tagesgeschäft rechnet man mindestens die Führungsebene darunter noch hinzu, von deren Angehörigen wird „arbeitgeberorientiertes Denken und Handeln“ erwartet. Juristisch ist das alles recht kompliziert, aber darum geht es hier nicht (die 2. Führungsebene besteht in der Regel aus leitenden Angestellten, die eben „Angestellte“ sind und eigentlich nicht formal Arbeitgeber sein können). Und die Mitglieder der üblichen 3. Führungsebene, die klassischen Abteilungsleiter, vertreten den ihnen unterstellten Mitarbeitern gegenüber den Arbeitgeber, sind selbst aber völlig eindeutig Angestellte.
Etwas vereinfacht gesagt: Führungskräfte ab Abteilungsleiter (einschl.) aufwärts sind bei Ausübung ihrer Funktion gehalten, arbeitgeberorientiert zu denken. Sie werden vom Arbeitgeber in ihre Funktion berufen. Die Gewerkschaft hingegen vertritt typische Arbeitnehmerinteressen. Das bedeutet: Wer karriereorientiert denkt, ehrgeizig ist, nach oben will, sollte zwingend aufgeschlossen sein für arbeitgeberorientiertes Denken. Die Mitgliedschaft in einer reinen Arbeitnehmerorganisation könnte daher durchaus als „falsches Signal“ gesehen werden.
Alles, was hier gesagt wurde, ist von betrieblichen Gepflogenheiten, der individuellen Einstellung einzelner Vorgesetzter oder von sonstigen Gegebenheiten abhängig. „Ausreißer“ sind beispielsweise mitbestimmte Betriebe (in denen es geschehen kann, dass ein Vorstandsmitglied, etwa der Arbeitsdirektor, einem Manager der zweiten Führungsebene dringend ans Herz legt, endlich in die Gewerkschaft einzutreten) – oder manche privat geführten Betriebe, von denen einige stolz sind, keinen Betriebsrat zu haben (wie die dann generell auf eine Gewerkschafts-Mitgliedschaft verantwortlich tätiger Angestellter reagieren, ist vorstellbar).
Und ich ziehe oben eine – fiktive – Grenze beim Abteilungsleiter. Nur: Wenn der arbeitgeberorientiert denken und handeln muss – wie groß ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass er jemanden zum Gruppenleiter beruft, der nach außen hin dokumentiert, er gehöre fest auf die „andere Seite des Tisches“ und zahle dort regelmäßig Mitgliedsbeiträge (aus denen u. a. Streikkassen gefüllt werden)?
Der Vollständigkeit halber sei noch auf die völlig neuen Karrierechancen hingewiesen, die Sie sich durch eine Mitgliedschaft erschließen würden: Jede Gewerkschaft hat ein hauptberufliches Corps an Funktionären. Ob es da dann förderlich für eine Karriere ist, nebenbei Mitglied im Arbeitgeberverband zu sein? (Ich weiß, dass das Beispiel etwas hinkt, aber es zielt in die richtige Richtung.)
PS 1: Die beispielhafte Frage, ob eine zusätzliche Mitgliedschaft beim Koalitionspartner(!) CDU eine SPD-Karriere fördern würde, verkneife ich mir einmal.
PS 2: Wenn das stimmt, was in einem der letzten aus dem Lexikon zitierten Sätze steht, dann gilt aber auch: Verfechter der Sozialisierung sind Arbeitgeber und ihnen nahestehende mittlere und höhere Führungskräfte eher nicht. Eigentlich ist schon damit – fast – alles gesagt …
Kurzantwort:
Man muss wissen, was man will und wo man hingehört. Karriereambitionen in der freien Wirtschaft bedeuten auch eine Grundorientierung in Richtung eines arbeitgebernahen Denkens. Oder: Einen Spagat beherrschen nur sehr wenige Leute, die meisten scheitern beim Versuch.
Frage-Nr.: 2179
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 51
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2007-12-14
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