Heiko Mell 02.01.2016, 00:56 Uhr

Ist eine Habilitation bei einer angestrebten Industriekarriere sinnvoll?

Ich bin 26 Jahre alt, habe Maschinenbau an der TU … studiert und mit Auszeichnung abgeschlossen. Meine Dissertation im Berech Mechanik, auch an dieser TU, werde ich voraussichtlich in den nächsten Monaten fertigstellen. Während meiner Promotionszeit habe ich auf vielen internationalen Tagungen Vorträge gehalten und eine Vielzahl von Beiträgen publiziert. Außerdem war ich an Industrieprojekten beteiligt.

Mir wurde die Möglichkeit eröffnet, im Anschluss an die Promotion innerhalb von drei bis vier Jahren an meinem Institut zu habilitieren. Längerfristig will ich auf jeden Fall in der Industrie arbeiten. Ich stehe also vor der Entscheidung, mich sofort nach der Promotion im Alter von 27 Jahren oder erst nach der Habilitation um einen Job in der Industrie zu bewerben.

1. Welchen Vorteil bringt eine Habilitation für einen Industriejob oder ist sie eher hinderlich?

2. Bei einer Habilitation würde ich erst in einem Alter von 31 bis 32 Jahren in die Industrie einsteigen. Ist dies ein Nachteil?

3. Wie wird die Tatsache bewertet, an derselben Universität bzw. demselben Institut studiert, promoviert und habilitiert zu haben?

4. Wie wird eine Habilitation bei einem Industriejob in anderen Ländern bewertet?

Antwort:

Die Ausbildungselite deutscher Ingenieure schließt ihr Studium mit gutem oder sehr gutem Examen ab, promoviert mit sehr gutem Ergebnis und tritt im Regelfall mit ziemlich genau 31 Jahren in die Industrie ein.

Dieses Resultat übertreffen Sie um Längen – ich mache mir daher Sorgen um Ihre Zukunft.

Denn, wie hier oft nachzulesen ist, schon der obigem Standard entsprechende „normale“ Einserkandidat bekommt so nach sechs bis sieben Industriejahren sehr häufig Probleme unterschiedlichster Art mit dem beruflichen System (in kommerziellen Strukturen). Dann ist er nämlich so weit gekommen, dass fachlich Top-Qualifikation nicht mehr ausreicht und andere (Persönlichkeits-)Aspekte entscheiden. Darauf ist er oft nicht vorbereitet. Hinzu kommt, dass dort, wo helles Licht strahlt, mit dunklen Schatten zu rechnen ist. Und diese potenziellen Problemkandidaten übertreffen Sie noch. Da ist der Schluss erlaubt, Ihre Probleme in diesem Umfeld könnten eher noch größer werden als bei den anderen.

Einer FAZ-Notiz aus dem Juli 2008 entnehme ich, dass bei einer Umfrage der Personalberatung Heidrick & Struggles 1000 befragte deutsche Manager unter zwölf Karrierekriterien Intelligenz für weniger wichtig hielten und auf den letzten Platz setzten! Dort wird der Partner dieser Beratung, Oliver Dange, zitiert mit: „Dass Karriere nicht unbedingt stringent mit akademischer Intelligenz korreliert, können wir … aus unserer Praxis bestätigen.“ Das schreibe ich hier ja schon seit Jahren – seien Sie also vorsichtig und zumindest gewarnt, was Ihre Ziele in der Industrie angeht.

Hinzu kommt noch ein Aspekt, den Sie sehen müssen: Ob Sie das nun wollten oder nicht – eine Habilitation steht in der Industriewelt für „Eigentlich wollte ich Universitätsprofessor werden, das hat nicht geklappt und so verfolge ich jetzt meinen II.-Wahl-Weg.“

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Zu 1: Grundsätzlich ist kein Vorteil gegeben, ich würde eher von Nachteilen ausgehen. Die Habilitation ist so fest verwurzelt mit dem Begriff „Universitätskarriere“ und die wiederum gilt als passend für aus Unternehmenssicht so ganz „anders“ veranlagte Persönlichkeiten, dass diese Aussage berechtigt ist.

Natürlich sind Ausnahmen denkbar und sicher in der Praxis auch vereinzelt vorhanden. In einer hochspezialisierten Forschungsabteilung eines sehr großen Konzerns findet sich vermutlich durchaus der eine oder andere Mitarbeiter mit dieser Qualifizierung, aber um technischer Geschäftsführer oder technisches Vorstandsmitglied zu werden, krempelt man nach erfolgreicher Promotion besser die Ärmel auf und stürzt sich in die betriebliche Praxis. Und noch etwas: Mir ist aus 44 Berufsjahren keine Stellenanzeige in Erinnerung geblieben, in der ein Industrieunternehmen nach einer Habilitation gesucht hätte.

Zu 2: Nein, Sie wären noch fast im Standardalter für frisch promovierte Ingenieure. Am Alter würden Sie nicht scheitern.

Zu 3: Gemessen an den mit einer Habilitation verbundenen Problemen (s. zu 1) ist das dann kein besonderes Problem mehr. Studium, Diplom und Promotion an einer Hochschule sind durchaus üblich.

Zu 4: Dazu kann ich nichts Konkretes sagen. Aber wir mussten ja schon unseren bewährten Dipl.-Ing. aufgeben, weil man im Ausland wohl nicht immer etwas damit anfangen konnte. Also schließe ich: Wer den Dipl.-Ing. nicht kennt und wem der Dr.-Ing. nichts sagt, der wird wohl auch mit einer deutschen Habilitation nichts anfangen können.

Fazit: Sie müssen Ihr berufliches Ziel definieren und dann Ihren weiteren Weg danach ausrichten. Wie übrigens immer und überall.

Frage-Nr.: 2259
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 38
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2008-09-17

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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