Heiko Mell 02.01.2016, 01:41 Uhr

Wie kann ich als Hochbegabter Routine im Job vermeiden?

Frage: Ich hoffe, folgende Frage spricht alle an, die vom Entdecken leben und durch Routine sterben würden.
Ich bin gerade beim Beenden meiner Physikpromotion und bald auf Jobsuche in der Industrie. Nun habe ich mir schon viele Physikeranstellungen angeschaut, jedoch erscheinen mir die beruflichen Aufgaben für Physiker in den Unternehmen wenig fordernd und nicht abwechslungsreich genug zu sein. Ich möchte nicht nur ausführendes Werkzeug sein. Es gibt einige wenige Forschungspositionen, jedoch kann ich aus Erfahrung sagen, dass Forschung einen großen Teil nur Trail-and-Error mit ein bisschen Intuition beinhaltet und sehr langwierig sein kann – womit wiederrum die Abwechslung fehlt.
Ich kann mich in beliebige Sachverhalte schnell einarbeiten, solange es etwas zu entdecken gibt, aber sobald Routine einkehrt, kann ich mich sehr schwer motivieren. Es mag auf eine festgestellte Hochbegabung zurückzuführen sein. Ich kann aber auch gut mit Menschen zusammenarbeiten, da es in jeder Persönlichkeit auch viel zu entdecken geben kann. Genauso macht mir individuelles Unterrichten viel Freude, weil es dort gilt, die Denkweisen des Schülers zu verstehen und damit zu arbeiten.
Es heißt, Unternehmensberatung bietet Abwechslung. Ich möchte nicht – wie es heißt – für „Schmerzensgeld“ bei einer großen Unternehmensberatung Tag und Nacht arbeiten, aber ich werde versuchen, mich bei einer kleineren, eventuell noch technologiebezogenen Unternehmensberatung zu bewerben. Jedoch befürchte ich, auch dort eher nach festem wirtschaftswissenschaftlichen Muster arbeiten zu müssen. Außerdem wäre ein Abwenden von meiner Technologieorientierung schade.
Ich suche also viel Abwechselung, viel zu entdecken, nicht notwendigerweise eine technologiebezogene Tätigkeit (aber das wäre von Vorteil), Arbeit im Team, Reisen (solange die Möglichkeit zum Privatleben bleibt), unterrichtende/beratende Tätigkeit.
Ich biete: Bestnoten an einer ausländischen Universität, leider noch keine Industrieerfahrung. Ich denke, ich würde den passenden Job erkennen, wenn ich ihn vor mir habe, aber der muss erstmal gefunden werden.

Antwort:

Ich habe durchaus eine gewisse Schwäche für Einser-Kandidaten, das mag auch Hochbegabte einschließen (nur zur Klarstellung: Ich bin beides nicht).

Tasten wir uns an das Thema heran:Da ist zunächst die für uns anderen beruhigende Erkenntnis, dass Bäume nicht in den Himmel wachsen und dass viel Licht auch viel Schatten verursacht. So muss es im zweiten abgedruckten Absatz Ihrer Einsendung im letzten Satz einmal „Trial“ (statt Trail) und „wiederum“ (statt wiederrum) heißen. Bagatellen bei Normalsterblichen, aber wer sagt, er sei hochbegabt, fordert so etwas heraus. Sie hätten ja auch sagen können, Sie hätten diese oder jene Note im Examen als Physiker, dann wären wir immer noch beeindruckt gewesen, hätten aber ein paar Rechtschreibfehler nicht erwähnenswert gefunden. Aber ein pauschales „Hochbegabt“ erweckt Ansprüche (an Sie und Ihre Taten, jetzt und in Zukunft).

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Also mir kommt manches bei Ihren Ausführungen etwas verworren vor. Sie wollen vom Entdecken leben, fürchten, durch Routine zu sterben und sehen einen Ausweg im Unterrichten. Die Entdeckungen im Bereich der „Denkweise des Schülers“ in Ehren – aber wie 40 Jahre Physik für Oberstufenschüler ohne Routine gehen sollen, weiß ich nicht.

Wobei wir auf ein hochinteressantes Phänomen stoßen: Was ist überhaupt Routine? Ich lese in einem Lexikon: „Kunstfertigkeit, Gewandtheit, Übung“ – sonst nichts. Und alle diese Erläuterungen sind positiv belegt, nicht negativ, wie Sie dachten. Auch der aktuelle Duden beginnt mit „durch längere Erfahrung erworbene Gewandtheit“ und sagt dann noch „gewohnheitsmäßige Ausführung einer Tätigkeit“. Selbst Letzteres ist nicht „schlimm“ im eigentlichen Sinne. Auch ein Entdecker kann das gewohnheitsmäßig machen, ein Unterrichtender zweifelsfrei.

Diese Betrachtung löst Ihr Problem noch nicht. Schlimmstenfalls setzen Sie ein anderes Wort dafür ein, nennen Ihre Abneigung anders. Bleiben wir also der Einfachheit halber bei der umgangssprachlichen, negativ gemeinten Bedeutung von Routine.

Ich glaube, dass es reine Definitionssache ist, was darunter fällt – und dass es an jedem Menschen selbst liegt, ob er die Tätigkeit x als immer wieder neue, absolut abwechslungsreiche Herausforderung oder als stumpfsinnige Routine begreift. Ich habe es selbst in der Hand, ob ich morgens ins Büro fahre und denke: „Heute muss ich wieder zwei Vorstellungsgespräche führen (15.000 habe ich schon hinter mir)“ oder ob ich mir sage: „Das wird interessant. Hier liegen die Anforderungen etwas anders als bei dem Fall gestern, der Kunde stellt besondere Ansprüche, hat über schlechte Erfahrungen mit anderen Beratern berichtet und erwartet viel. Mindestens einer der beiden Kandidaten hat ein ungewöhnliches Problem im Lebenslauf, sehen wir einmal, was ich herausfiltern kann – eine spannende Geschichte.“

Das aber ist ein Detail am Rande. In der Hauptsache gilt: Ich bin über Ihre erkennbar werdende Grundeinstellung nicht so glücklich, wie ich es gerne wäre. Schön, Sie haben Ihr Studium offenbar mit Bestnoten abgeschlossen. Und Sie sind begabt. Damit sind Grundlagen für eine erfolgreiche Berufstätigkeit gegeben – mehr aber auch nicht. Das Studium ist nur eine Eintrittskarte ins Berufsleben. Sie haben jetzt eine mit Goldrand, das ist erst einmal alles. Noch haben Sie keine Ansprüche begründende Leistung erbracht. Tun Sie das erst einmal, zeigen Sie, dass Sie auch in der Praxis besser sind als andere. Dass Sie bessere Ergebnisse bringen, genialere Ideen haben, mit Widerständen besser fertig werden. Gesucht sind weniger Leute, die einfach nur intelligenter sind als andere. Gesucht sind hingegen Menschen, die mehr leisten und erreichen als andere.Stellen Sie sich einen Polo mit Porsche-Motor vor. Wenn der es richtig anstellt, lässt er überall(!) alle anderen Polos hinter sich. Nun aber wird dieses Superauto kapriziös: Nein, Stadtverkehr sei unzumutbar, so mit 50 von Ampel zu Ampel. Und Landstraße, da störe doch sehr die Begrenzung auf lächerliche 100 km/h. Autobahn schon eher, aber bitte ohne Baustellen, Staus und Geschwindigkeitsbegrenzungen – und ohne all die anderen Autos, die im Wege ständen. Am Ende besteht die Gefahr, dass man das Wunderauto in die Ecke stellt und eine Serienausführung als praxistauglicher vorzieht.

Ganz konkret: Aufgrund einer Begabung ein sehr gutes Studienresultat zu erreichen, ist noch nicht viel. Aber jetzt in der Praxis durch Engagement, Einsatzbereitschaft, Erfolgswillen und Ehrgeiz die meisten der anderen Begabten hinter sich zu lassen, das würde Ihnen das Recht geben, stolz zu sein. Was Sie am Anfang tun, ist gar nicht so wichtig – und Sie dürfen es sich aussuchen. Wenn Sie das dann besser machen als andere, winken Zufriedenheit und – in Maßen – Glück. Aber wenn Sie von Anfang an zu viele Forderungen stellen und Einschränkungen machen, stehen Sie sich selbst im Weg.

Kurzantwort:

1. Vorstandsvorsitzer, Bundeskanzler oder Universitätsrektor sind einfach nur (hochrangige) Standardjobs, die mit viel Routinetätigkeit verbunden sind. Man kommt dort hin mit dem Ziel, etwas leisten zu wollen. „Ich will glücklich werden!“, wäre dafür die falsche Basis.

2. Auch der begabteste Fußballspieler kann nur überzeugen, wenn er sich kompromisslos in die Routine und Disziplin von Training und Spiel in Bundesliga und Nationalmannschaft einordnet. Sonst wäre sein Talent verschwendet.

Frage-Nr.: 2296
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 10
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2009-03-04

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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