Offizier und Entwicklungsingenieur
Nach dem Abitur verpflichtete ich mich für zwölf Jahre bei der Bundeswehr, wo ich nach Offiziersausbildung und diversen Führungsverwendungen in der Truppe Maschinenbau studierte. Das Studium schloss ich mit „gut“ ab. Die letzten fünf Jahre meiner Dienstzeit war ich in einer logistischen Kommandobehörde eingesetzt, wo ich mit technischen Dokumentationen und Ersatzteilkatalogen von Waffensystemen zu tun hatte.
Es gelang mir, nach Ablauf der Verpflichtungszeit nahtlos eine Anstellung als Entwicklungsingenieur bei einem sehr bekannten deutschen Maschinenbauer zu bekommen. Für meinen Lebenslauf bedeutete dieser Wechsel natürlich einen kompletten Neuanfang. Es war aber immer mein Ziel, als „richtiger“ Ingenieur in einer Entwicklungsabteilung zu arbeiten.
Auch aufgrund meiner Begeisterung für die neue Tätigkeit gelang es mir, sehr schnell produktiv arbeiten zu können. Mittlerweile, nach gut drei Jahren, gelte ich auf meinem Spezialgebiet als Fachmann, nach meiner früheren Tätigkeit bei der Bundeswehr fragt niemand mehr. Mein Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen ist sehr gut.
Aus verschiedenen (nicht-privaten) Gründen erwäge ich momentan einen Wechsel. Dazu meine Fragen:
1. Sie empfehlen eine durchschnittliche Dienstzeit von fünf Jahren pro Arbeitgeber einzuhalten, um nicht als Schnellwechsler zu gelten und Standhaftigkeit zu beweisen. Zählen in dieser Rechnung auch die Dienstjahre bei der Armee mit? Oder sollte ich besser die fünf Jahre in der jetzigen Firma „vollmachen“?
2. Inwieweit kann mir meine lange Dienstzeit bei der Bundeswehr bei der Bewerbung um Sachbearbeiter- oder Gruppenleiterpositionen heute noch Probleme machen? Nach wie vielen Jahren Bewährung in der industriellen Praxis werden diese bedeutungslos? Hintergrund meiner Frage ist, dass ich in meiner Bewerbungsphase um eine Anstellung in der freien Wirtschaft mit teils haarsträubenden Vorurteilen zu kämpfen hatte. Nachdem ich nun beide Systeme kenne, kann ich zwar bestätigen, dass die Fach- und Führungskräfte der Wirtschaftsunternehmen keinesfalls besser oder wirtschaftlicher arbeiten als die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. Die Vorurteile werden aber dennoch weiter bestehen.
Auf Ihre Antwort bin ich sehr gespannt!
Antwort:
Letzteres gilt auch für mich. Denn beim ersten Lesen einer Frage erkenne ich meist nur, dass es um ein interessantes Thema geht, aber die Antwort entwickelt sich sehr oft erst beim Schreiben.Zunächst zum Grundsätzlichen:
Der berufliche Einstieg in eine Branche A (Bundeswehr) mit einer Tätigkeit B (Offizier) ist dann gewagt, wenn man vorher weiß- A und B sind sehr speziell, es gibt nichts Vergleichbares außerhalb dieses Bereichs,- ich werde sehr, sehr lange dort bleiben,- zu einem festgelegten Tag X muss ich dort weg und mir eine neue berufliche Basis suchen, die praktisch keine Ähnlichkeit mit A und B hat, ich muss also einen ziemlich radikalen Wechsel vollziehen.
Das bedeutet praktisch: Als gezielt gewählte Basis, um ein Ziel zu erreichen, das in einer anspruchsvollen Karriere außerhalb von A und B liegt, ist dieser Einstieg nicht optimal; im Gegenteil: Grundsätzlich wird von derartigen Planungen stets abgeraten.
Dass nun die Bundeswehr Zeitoffiziere gern ausbildet und fördert oder sogar dringend braucht, ist hier nicht unser Thema, darum muss sich der Verteidigungsminister kümmern. Er muss in dieser Laufbahn für so viel Attraktivität sorgen, dass die aus allgemeinen Laufbahnüberlegungen resultierenden Bedenken überspielt werden. Offenbar gelingt das. Das Studium, das man sonst vielleicht nur schwer realisieren könnte, ist hier ein Argument – oder man ist einfach gern Soldat, ohne sich wie der Berufsoffizier ausschließlich darauf zu konzentrieren.
Feststeht: Aus der Sicht der Unternehmen der freien Wirtschaft ist der dort schließlich hinstrebende Zeitoffizier eine Ausnahmeerscheinung oder sogar ein Außenseiter, je nach individueller Prägung des beurteilenden Entscheidungsträgers. Standard des Qualifikationsprofils eines sich bewerbenden 31-jährigen Dipl.-Ing. ist nun einmal: Abitur mit 19, selten Wehrpflicht oder Zivildienst (es wird ja kaum noch jemand eingezogen), in der Regel also Studium von 19 – 25, mit 26 Eintritt ins Berufsleben, seitdem fünf Jahre verwertbare Berufspraxis, im Idealfalle genau in der hier passenden Branche und Tätigkeit, der Mann ist (fast) reif für seine erste Beförderungsstufe.
Demgegenüber hat – im hier diskutierten Fall – der sich bewerbende Zeitoffizier sein Studium (das absolut anerkannt ist und bei dessen Bewertung keine Einschränkungen gemacht werden) vor einer ganzen Reihe von Jahren abgeschlossen, war seitdem weitgehend fachfremd tätig („Ersatzteilkataloge in einer Kommandobehörde“), kennt das zivile Arbeitsumfeld nicht – und steht oft unter Verdacht, sein künftiges berufliches Umfeld aus Gewohnheit „mal zur Nachtübung im Halbkreis antreten zu lassen“. Und was der Vorurteile mehr sind. Ich kenne die meisten.
Vorurteile entstehen aus Unwissenheit – wer etwas weiß und genau kennt, urteilt einfach (ohne „vor“). Aber zur Erklärung muss man wissen, dass insbesondere die etwas jüngeren „zivilen“ Entscheidungsträger kaum noch „gedient“ haben und dass der Zeitoffizier eine ihnen völlig fremde Welt verkörpert (die sie vielleicht nur aus Filmen über vergangene Kriege zu kennen glauben).
In der Praxis haben diejenigen Unternehmen, die sich aufgeschlossen an den sich bewerbenden Ex-Offizier herangetraut haben, keinesfalls schlechte Erfahrungen gemacht, ganz im Gegenteil. Schön, die Zuordnung des Bewerbers fällt schwer. Meist ist der Kandidat Hauptmann, das kennt man irgendwie, das ist ein Kompaniechef, der rund 100 Mann im Morgengrauen antreten lässt und Befehle ausgibt. Oder er ist Kapitänleutnant – das kennt man auch, der kommandiert beispielsweise ein U-Boot, kennt man aus „Das Boot“ („jawoll, Herr Kaleu“). Schön, aber fachlich ist seine Qualifikation oft unbewiesen, schließlich ist die Bundeswehr nicht Müller & Sohn GmbH. Also muss er als eine Art Anfänger einsteigen, von Führung kann zunächst keine Rede sein. Und, davon ist der zivile Entscheidungsträger überzeugt, hier ticken die Uhren anders, sind die Anforderungen vermutlich höher, wird effizienter gearbeitet. Schafft der Herr Hauptmann das?
Er schafft das, die Erfahrungen sind gut. Wenn er klug und gut vorbereitet ist (häufig!), weiß er um die Vorbehalte, argumentiert entsprechend und bekommt seine Chance. Der Soldat ist das Einstellen auf wechselnde Umfeldbedingungen in der Regel gewohnt und passt sich an. Später, sofern er sich fachlich rundum eingearbeitet, das neue Umfeld und seine Regeln in sich aufgenommen und sich fachlich qualifiziert hat, mag sich seine Persönlichkeitsprägung und Führungsschulung bei der Bundeswehr sogar förderlich auswirken, wenn er dann in die Führung im neuen Metier einsteigt.
Mein Schwerpunkt hier und heute ist der konkrete Fall des Hauptmanns, der zum Entwicklungsingenieur wird – eine Tätigkeit, die in der Bundeswehr völlig unbekannt ist.Apropos unbekannt: Das Wort „Verwendung“ kennt man im zivilen Bereich nicht – wer nicht als Ex-Offizier auffallen möchte, sollte das wissen. Und bei der Gelegenheit: Sie sprechen von „Dienstjahren bei der Armee“. Sagt irgendjemand „Armee“? Wir hatten eine VI. bei Stalingrad und später regional begrenzt eine nationale des Volkes. Aber so in den letzten zwanzig Jahren keine mehr. Das Wort ist nicht zu beanstanden, aber es lässt Interpretationen zu, die man entweder will, bloß in Kauf nimmt oder lieber vermeidet.
Noch ein Wort zum so oft befürchteten „Kasernenhofton“, mit dem die Angst gemeint ist, ein solcher Bewerber könnte übertrieben „forsch“, selbstbewusst und befehlsgewohnt auftreten. Bei den – vielen – Zeitoffizieren, die ich in Vorstellungs- und Beratungsgesprächen kennengelernt habe, war das praktisch niemals der Fall. Im Gegenteil, manchmal habe ich mir sogar gewünscht, sie würden etwas „schneidiger“ daherkommen, um im Wettbewerb mit altersgleichen Top-„Zivilisten“ überhaupt bestehen zu können!
Und nicht immer liegen die Verwendung bei der Bundeswehr und die spätere zivile Tätigkeit so weit auseinander wie hier, oft ist schon einmal eine fachliche Klammer gegeben (Beispiel: Logistik/Instandhaltung). Was man auch anerkennen muss: Bei der Formulierung des abschließenden Dienstzeugnisses gibt sich die Bundeswehr sehr viel Mühe und verwendet heute durchweg „industrieübliche“ Formulierungen.
Fazit: Ehemalige Zeitoffiziere haben es bei der Eingliederung in die freie Wirtschaft mitunter nicht leicht und müssen z. T. mit erheblichen Vorurteilen fertig werden. Aber Arbeitgeber, die das „Experiment“ einer Einstellung gewagt haben, sind nach kurzer Beschäftigungszeit oft sehr angetan.
Und falls es Hauptleute gibt, die nicht einsehen, dass der Zivilbereich sie nicht sofort mit offenen Armen aufnimmt und adäquat als Abteilungsleiter einstellt: Was so laufen soll, muss dann auch andersherum laufen! Also müsste die Bundeswehr den führungserfahrenen zivilen Abteilungsleiter spontan als Hauptmann einstellen, so der das wollte. Undenkbar sagen Sie? Das sagen wir halt umgekehrt auch.
So, geehrter Einsender, nun zu den konkreten Fragen:
Zu 1: Nein, Ihre Bundeswehrzeit zählt nicht mit bei dieser Dienstzeitbetrachtung. Sie hatten sich verpflichtet, man hatte in Ihr Studium investiert – Sie haben nicht eine Zeit lang allen Belastungen getrotzt und Stehvermögen gezeigt, Sie haben sich einfach vertragstreu verhalten. Ob Sie eventuell sogar zwischendurch freiwillig hätten gehen können, weiß im Zivilbereich niemand – und will niemand wissen.
Im Gegenteil, es gilt: Da Sie einen gewaltigen „Systemwechsel“ hinter sich haben, ist Ihre Bewährung im neuen, so ganz anderen zivilen Umfeld noch unbewiesen! Wenn dort alles so gut läuft, bleiben Sie lieber länger, bis Ihr Hineinpassen klarer erkennbar wird (4 – 5 Jahre). Eine erste Beförderung oder die Übertragung von mehr Sachverantwortung während dieser Phase wäre sehr schön (Sie sollen dort nicht nur „geblieben“ sein, Sie sollen auch noch Erfolge vorweisen).
Zu 2: Es ist das alte Lied: Da, wo Sie sind und arbeiten, sieht man bald nur noch den „Menschen + Fachmann“ in Ihnen. Was davor lag, ist in den Köpfen Ihres Umfeldes verschwunden. Das kann ein schlechtes Examen sein, es kann um viel zu viele Arbeitgeberwechsel oder um eine eigentlich „falsche“ berufliche Vorprägung gehen. Aber wenn Sie als unbekannte Person Ihre Bewerbung präsentieren, lebt alles wieder auf. Alte Vorurteile wirken wieder, fehlende Praxis im Metier ist wieder ein Thema. Gemildert wird das durch Ihre Erfahrungen im neuen Metier und vor allem durch bereits erwähnte Erfolge (z. B. Beförderungen). Aber zwölf eventuell misstrauisch-kritisch zu sehende (Vorurteile!) Jahre vor und zwei bis drei nach dem „Systemwechsel“ sind noch im Ungleichgewicht, selbst wenn man die „neuen“ Dienstjahre doppelt zählte.
Eine Illusion muss ich Ihnen rauben: Sie kennen ein bisschen die freie Wirtschaft, sehr intensiv die Bundeswehr und überhaupt nicht den „öffentlichen Dienst“. Wer letzteren erwähnt, meint die Mitarbeiter der Stadtverwaltung, die Beamten im Regierungspräsidium, im Schulamt oder im Ministerium. Ich werde mich hüten, dazu Beurteilungen abzugeben, aber niemand(!) meint „Bundeswehr“, wenn vom „öffentlichen Dienst“ die Rede ist. Das gilt auch dann, wenn nach irgendeiner Einstufung die Bundeswehr Teil des öffentlichen Dienstes wäre. Ich sagte nicht „sie ist nicht öffentlicher Dienst“, sondern „niemand meint …“.
Und falls das ein junger künftiger Zeitoffizier liest, der noch wählen kann: Sofern Sie später in der freien Wirtschaft arbeiten wollen (wo man Sie beschäftigen kann, aber nicht muss!), lesen Sie erst die vielen frei zugänglichen Stellenanzeigen, bevor Sie sich auf eine Studienrichtung festlegen. Sonst wundern Sie sich eines Tages – und wir wundern uns, worüber Sie sich wundern: Es liegt doch alles offen zutage, was gefragt ist. Und was nicht.
Kurzantwort:
1. Wer daran Anstoß nimmt, dass die freie Wirtschaft Ex-Zeitoffiziere nicht 1:1 als Führungskraft einstellt, müsste auch die spontane Eingliederung eines durch und durch zivilen Abteilungsleiters als Hauptmann bei der Bundeswehr befürworten (viel Spaß dabei).
2. Die treu durchgehaltenen zwölf Bundeswehr-Jahre des Zeitoffiziers gelten nicht als Beweis für Stehvermögen und „Treue zum Arbeitgeber“ in kommerziellen Unternehmen.
Frage-Nr.: 2454
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 1
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2011-01-06
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