Heiko Mell 02.01.2016, 05:05 Uhr

Wie komme ich als Konstrukteur in den Vertrieb?

Ich bin Dipl.-Ing., Ende 20 und habe seit drei Jahren einen guten Job als Konstrukteur in meinem Fachgebiet. Leider merke ich immer wieder, dass die Konstruktion nicht der Bereich ist, in dem ich den Rest meines Arbeitslebens verbringen möchte.

Es gibt dafür verschiedene Gründe, u. a. das Gefühl, nicht dafür geschaffen zu sein (mangelndes Fachwissen, z. T. bedingt durch mangelndes Interesse; was nicht heißt, dass mich der Bereich gar nicht interessiert). Hinzu kommt die Eintönigkeit des Jobs, was aber durch unsere Produkte zu erklären ist.

Vielleicht ist es Einbildung, vielleicht auch Realität, aber ich denke über einen Wechsel in den technischen Vertrieb nach. Ich finde die Verbindung von Wirtschaft und Technik besser und überlege, einen Master of Business Administration and Engineering auf mein Diplom aufzusetzen. Ein Problem ist jedoch, dass dies in meiner Firma nicht machbar ist. Hier besteht für mich auch keine Möglichkeit, aufzusteigen oder umzusatteln.

Grund für die Weiterbildung ist auch der Wunsch, in eine andere Region Deutschlands zu ziehen. Die Jobsuche gestaltet sich hierbei aber relativ schwierig. Wenn ich in der anderen Region nach einem dem heutigen vergleichbaren Job suche und parallel dazu die Weiterbildung mache, fürchte ich, die fachliche Kompetenz nicht „bringen“ und damit den Job nicht halten zu können. Um eine Position, die einen Wirtschafts-Ingenieur bzw. einen MBA voraussetzt, kann ich mich wegen fehlender Qualifikation noch nicht bewerben, zumindest traue ich mir das noch nicht zu.

Ich hoffe, mein Dilemma wird deutlich. Wie kann ich das Ganze nun richtig angehen, ohne dass ich am Ende zu alt bin für einen Neubeginn als Wirtschafts-Ingenieur? Ist das Zusatzstudium überhaupt empfehlenswert?

Wie gehe ich richtig vor? Studiere ich heimlich zwei Jahre neben dem Job und wechsle nach Abschluss den Arbeitgeber? Kann man sich mit einem gerade erst angefangenen Studium eventuell schon um die neue Position bewerben? Eines ist mir klar: In meinem heutigen fachlichen Umfeld werde ich nicht glücklich, solange das Gefühl fehlenden Fachwissens besteht. Selbststudium bringt hier auch nichts, wenn man kein tief gehendes Interesse an dem Thema hat.

Antwort:

Halten wir zunächst fest, dass Sie zwar erkennbar in einer Klemme sitzen, aber in einer selbst gebauten. Ich sage das nicht, um Sie anzugreifen. Es ist eine therapeutisch durchdachte Aussage, mit der ich gute Erfahrungen gemacht habe: Es hilft ungemein, wenn man akzeptiert, dass drückende Probleme auf eigenen Fehlern beruhen. Und nicht auf Pech, Schicksalsschlägen o. Ä. m.

Zur Begründung: Das Studium mit seinen Praktika, Praxissemestern und der trotz allem verbleibenden Zeit, sich Gedanken über sich, die „Welt“ etc. zu machen, Serien wie diese hier zu lesen, ist auch zur sorgfältigen Suche nach der Antwort auf eine wichtige Frage zu nutzen: Was kann ich, was nicht, wo will ich hin, wo passe ich hin, wo sind andere besser als ich, was liegt mir, was nicht? Und dann könnte man statt der Rucksacktour durch Australien eine durch Deutschland machen, um die Regionen herauszufinden, in denen man sich nun überhaupt nicht wohlfühlen mag (natürlich macht das niemand, aber als Vision ist „Studenten erkunden ihr Heimatland“ doch eine tolle Idee, finde ich).

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Und wenn Sie nun in einer Gegend sitzen, die Ihnen nicht gefällt, dort etwas tun, was Ihnen noch weniger gefällt, und sich fachlich überfordert fühlen – dann haben Sie Ihre Hausaufgaben während des Studiums nicht gemacht. Wie gesagt, ich will Sie damit gar nicht kritisieren, ich will nur Ursachen aufzeigen – und Nachahmer abschrecken. Schade, dass wir Ihre Examensnoten nicht kennen. Ein Konstrukteur sollte schon fachlich in den relevanten Fächern „gut“ sein – „gute“ Leute fühlen sich aber auch nicht so schnell überfordert. Sie merken schon, worauf ich hinaus will.

Und Ihre Produkte, das kommt erschwerend hinzu, finden Sie auch noch langweilig. Dann hätte man dort auf keinen Fall als Konstrukteur einsteigen sollen.

So, da das aber nun einmal alles geschehen ist und damit die Ausgangslage Ihres Falles prägt, müssen wir darauf aufbauen. Ich komme zu folgenden Einschätzungen und Empfehlungen:

1. Sie können in diesem Job nicht bleiben, Sie müssen da weg. Ob Ihre Probleme real sind oder ob Sie sich einige nur einbilden, ist nicht relevant, die Konsequenzen sind gleich.

2. Es ist durchaus möglich, dass der technische Vertrieb besser zu Ihnen passt und dass Sie sich dafür auch eignen. Sagen wir es einmal so: Nur sehr selten werden brillante Konstrukteure begnadete Verkäufer. Gerade bei diesen beiden Tätigkeitsbereichen gilt in der Regel: entweder oder, kaum sowohl als auch. Wobei man natürlich darauf hinweisen muss, dass ein schlechter Konstrukteur (so stellen Sie sich dar) keineswegs zwangsläufig ein guter Verkäufer sein muss. Aber er könnte!

3. Bei Ihrem Regionalthema enthalte ich mich. Ich habe keine Lust, in jedem zweiten Beitrag darauf hinzuweisen, dass man an keinen speziellen Ort, sondern nach einem speziellen Job streben soll. Man soll nicht Bundeskanzler werden, nur weil Berlin so toll ist. Das gilt auch für Texas und Wanne-Eickel, beispielsweise.

4. Es ist zwar durchaus richtig gesehen, dass eine Tätigkeit im Vertriebsbereich stärker in betriebswirtschaftliche Fragestellungen hineinführt – aber für einen Startjob gerade im technischen Vertrieb ist weder der zusätzliche Dipl.-Wirtsch.-Ing. noch der MBA zwingend erforderlich. Den späteren Vertriebsleiter schmückt das sehr, aber „learning by doing“ geht zumindest im Anfang auch.

5. Nur um die hier nun gar nicht mehr relevante Frage für andere Leser doch noch zu beantworten: Wenn man ein beruflich relevantes nebenberufliches Zusatzstudium anstrebt, dann gilt grundsätzlich:

– Dass man ein Zusatzstudium bloß beabsichtigt, beweist noch gar nichts (im Hinblick auf eine Qualifikation, die ein Bewerber vielleicht haben sollte).

– Dass man mit einem Zusatzstudium gerade angefangen hat, beweist absolut nicht, dass man für einen diese Zusatzqualifikation voraussetzenden Job schon qualifiziert ist.- Bewerber, die noch längere Zeit neben dem Job studieren, sind häufig nicht beliebt.

– Am besten absolviert man ein berufsbegleitendes Zusatzstudium neben einem Job, den man kennt und mit dem man problemarm zurechtkommt. Es empfiehlt sich nicht, den Stress einer Einarbeitung in einen neuen Job, eventuell noch den Stress, der mit der Aufnahme einer völlig ungewohnten Tätigkeit verbunden ist, mit dem Stress eines nebenberuflichen Studiums zu kombinieren.

6. Für Sie heißt das: Bewerben Sie sich extern um eine Position im technischen Vertrieb. Sprechen Sie offen darüber, dass Sie als Konstrukteur nicht glücklich sind (sprechen Sie lieber nicht von fachlicher Überforderung und mangelndem Interesse), erläutern Sie, dass Sie sich sorgfältig über Tätigkeitsalternativen informiert hätten (der Bewerbungsempfänger will Realisten, keine Traumtänzer), dass der technische Vertrieb Ihr besonderes Interesse geweckt hätte, dass Sie insbesondere gern kundenorientiert tätig sein würden und dass Sie die Chance zum beruflichen Neuanfang suchten, ein solcher Wechsel jedoch beim derzeitigen Arbeitgeber nicht möglich sei. Schön wäre es, wenn Sie dabei berichten könnten, Sie hätten als Konstrukteur gelegentlich mit Ihrem Vertrieb zusammengearbeitet oder sogar erste Kundenkontakte gehabt.

Da der Ingenieur mit wenigen Ausnahmen „reine Technik“ studiert und im ganzen Studium praktisch nichts über Vertrieb und Kunden erfährt, ist die betriebliche Praxis es gewohnt, Vertriebsingenieure selbst heranzubilden, sie ggf. erst einmal von dieser Tätigkeit überzeugen zu müssen – und z. B. auch frustrierten Konstrukteuren als Bewerbern zu begegnen.Sie können dann ja im Vorstellungsgespräch zusätzlich erklären: „Sofern sich im Laufe meiner neuen Tätigkeit die Notwendigkeit zum Erwerb einer Zusatzqualifikation ergibt, bin ich selbstverständlich gern zum Erwerb bereit, auch in meiner Freizeit.“

Denn die Firmen mögen eher nicht, dass der Konstrukteur sich durch ein MBA-Abendstudium quält (das er in dieser Form für den Job nicht braucht und das zu seiner Kündigung nach Erreichen des Studienzieles führen wird). Aber sie lieben Mitarbeiter, die eigene Zeit aufwenden, um für ihren ausgeübten Job noch besser qualifiziert zu sein.

Dann toben Sie einmal in diesem Sinne los. Und noch einmal: Ein Mitarbeiter im technischen Vertrieb muss weder zwingend MBA noch Dipl.-Wirtsch.-Ing. sein, muss sich aber für Kosten und andere betriebswirtschaftliche Details interessieren.

Kurzantwort:

1. Wenn dem Berufsanfänger die selbst gewählte Tätigkeit im selbst gewählten Produktumfeld in der selbst gewählten Gegend nach einiger Zeit nicht mehr gefällt, ist das weitgehend auf eigene Fehler zurückzuführen.

2. Der Wechsel von der Konstruktion in den Vertrieb geht auch nach ein paar Berufsjahren (je weniger, desto besser) noch. Umgekehrt ist es schwieriger.

Frage-Nr.: 2469
Nummer der VDI nachrichten Ausgabe: 8
Datum der VDI nachrichten Ausgabe: 2011-02-24

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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